Manchmal sind es nur wenige Sekunden, die über ein ganzes Spiel entscheiden. Dann ist es egal, welche Mannschaft in den vergangenen 90 Minuten die bessere war. Wer als Favorit galt. Wer mehr gekämpft hat. Denn dann zählt nur noch der eine Schuss.
Alle Augen sind auf den einen Spieler gerichtet. Und alle fragen sich das gleiche: Wird er den Elfmeter verwandeln – oder unter dem Druck versagen?
Am Freitag startet die Fußball-Europameisterschaft. Neben dem allseits beliebten Rudelgucken, den wehenden Fahnen, heißen Bockwürstchen und eiskalten Getränken ist ein solch wichtiges Turnier immer auch ein Lehrstück in Sachen Druck. Warum hält der eine Spieler ihm stand, während der andere versagt?
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Glücklicherweise haben sich schon viele schlaue Köpfe mit dem Thema beschäftigt. Hendrie Weisinger ist einer von ihnen. Der US-Psychologe berät Manager und Athleten. Außerdem hat er ein Buch zum Thema Druck geschrieben. „Performing under Pressure“ kletterte sofort auf die Bestseller-Liste der New York Times.
Kein Wunder: Das Thema betrifft jeden. In der modernen Leistungsgesellschaft ist Karriere ohne Druck einfach nicht mehr möglich. Erlebt doch schon der Schüler angespannte Momente, etwa bei der Matheklausur oder der mündlichen Abitur-Prüfung. Und so geht es munter weiter. Jeder weitere Aufstieg auf der Karriereleiter bringt neue Herausforderungen mit sich.
Der Student, der vor dem Professor und seinen Kommilitonen ein Referat halten muss. Der Berufseinsteiger, der beim Bewerbungsgespräch mit unangenehmen Fragen gelöchert wird. Doch was hilft unter Druck? Lässt sich etwa aus dem Fußball lernen?
Die tröstliche Nachricht vorweg: „Die meisten Bewältigungsmechanismen sind innerhalb von Wochen bis Monaten erlernbar“, sagt der Sportpsychologe Jens Kleinert. Was er, Psychologe Weisinger und andere Experten raten, um in den entscheidenden Momenten zu glänzen, haben wir in den neun besten Tipps für Sie zusammengefasst.
Ängste aufschreiben!
Wer vor einer wichtigen Aufgabe seine Ängste zu Papier bringt, schneidet unter Druck besser ab. Dabei hilft der gleiche positive Effekt, der auch bei einer Gesprächstherapie genutzt wird. Wer konkrete Sorgen oder Komplexe ausspricht, verarbeitet schneller. US-Psychologin Sian Beilock ist sich sicher, dass das auch vor einem wichtigen Vortrag oder einer Prüfung hilft. Die Angst vor dem Versagen wird kleiner, wenn man sie sich bewusst macht.
So unterschiedlich reagieren wir auf Stress
Stressforscher schätzen, dass Stressanfälligkeit zu 30 Prozent genetisch bedingt ist.
(Quelle: Lothar Seiwert, Zeit ist Leben, Leben ist Zeit)
Frauen, die während der Schwangerschaft hohe Cortisolwerte aufweisen, bekommen stressanfälligere Babys.
Traumatische Erlebnisse in den ersten sieben Lebensjahren, der Zeit der Entwicklung der Identität, können lebenslänglich stressanfälliger machen.
Erfolgsorientierte, ehrgeizige, sehr engagierte, ungeduldige und unruhige Menschen sind besonders stressanfällig.
Feindseligkeit, Zynismus, Wut, Reizbarkeit und Misstrauen erhöhen das Infarktrisiko um 250 Prozent. Humor hingegen zieht dem Stress den Stachel. Eine Studie an 300 Harvard-Absolventen zeigte: Menschen mit ausgeprägtem Sinn für Humor bewältigen Stress besser.
Der wichtigste Faktor, der über Stressanfälligkeit bestimmt, ist die Kontrolle über das eigene Tun. Je mehr man den Entscheidungen anderer ausgeliefert ist, desto höher das Infarktrisiko.
Wer für seine Arbeit Anerkennung in Form von Lob oder einem angemessenen Gehalt bekommt, verfügt über eine bessere Stressresistenz.
Wer eine gute Stellung in der Gesellschaft hat, verfügt auch über einen Panzer gegen Stress. Das ist auch bei Pavianen zu beobachten: Gerät das Leittier durch einen Konkurrenten in eine Stresssituation, schnellt der Cortisolspiegel hoch, normalisiert sich aber rasch wieder. Bei den Rangniedrigeren ist der Cortisolspiegel ständig erhöht.
Einer der stärksten Stresskiller ist das Gebet. Studien belegen: Der Glaube an eine höhere Macht, die das Schicksal zum Guten wenden wird, beugt vielen Krankheiten vor.
Stärken vergewissern!
Ebenfalls hilfreich: Notieren Sie sich vor einem Test oder Prüfung Ihre Stärken. Das kann ein Ehrenamt sein, sportliche Erfolge oder ein Hobby, in dem Sie besonders gut sind. Wer sich bewusst macht, mehr zu sein als nur der Verhandlungspartner, der gleich das Maximum für sein Unternehmen herausholen soll, geht die Aufgabe gelassener an. Und scheitert deshalb seltener.
„Was-wäre-wenn“ spielen!
Wer mit dem Unwahrscheinlichen rechnet, lässt sich durch nichts schocken. So überlegen sich Chirurgen vor einer Operation nicht nur Plan A, sondern auch Plan B, C und D. Wenn dann wirklich etwas schief läuft, können die Ärzte einfach reagieren. Ohne lange nachzudenken. Schließlich haben sie alle Möglichkeiten vorher schon mehrmals durchdacht.
Die richtige Einstellung
Ziel fokussieren!
Der Weg ist mitnichten immer das Ziel. Vor einer wichtigen Präsentation hilft es mehr, sich auf das übergeordnete Ziel zu fokussieren als auf die tatsächliche Aufgabe. Deshalb sollten Sie niemals denken: „Gleich muss ich glänzen, es ist die wichtigste Präsentation der Welt.“ Denken Sie besser daran, was Sie noch erreichen wollen, etwa der führende Experte für südostasiatische Kunst zu werden oder der beste Vertriebsleiter, den Ihr Unternehmen je hatte. Dahinter steht ein einfacher Mechanismus: Wer an den Lohn für die Mühen denkt – egal ob materieller oder ideeller Natur – sorgt für positive Gefühle und mindert den Druck.
Musik hören!
Es ist ein bekanntes Bild: Boxer, die vor dem Kampf ihre persönliche Hymne hören. Auch die Fußballprofis Mesut Özil, Mario Götze und Nachbar Jerome Boateng sieht man selten ohne ihre großen Kopfhörer. Aus gutem Grund, sagt Experte Hendrie Wiesinger. Musik löst Blockaden, lindert Ängste und hilft dabei, sich auf das Wesentliche zu fokussieren.
Wann Druck nützlich ist
Druck erhöhen!
Man gewöhnt sich an alles, auch an Druck. Wer sich dem Gefühl freiwillig ausliefert, desensibilisiert sich dafür. Schritt für Schritt. Zum Beispiel, indem Sie ihren Vortrag einfach mal in der Hälfte der Zeit halten. Oder ohne Notizen. Oder mit einem laut plärrenden Fernsehen im Hintergrund. Eines ist ganz sicher: Die Realität wird Sie anschließend weniger schocken.
Die Partnerin mitnehmen!
Klingt skurril, ist aber wissenschaftlich bewiesen. Männern hilft es, wenn die Freundin oder Ehefrau vor einem wichtigen Vortrag dabei ist. Das zeigte sich bei Speichelproben in einem deutlich niedrigeren Cortisol-Spiegel, auch bekannt als Stresshormon. Vorausgesetzt allerdings, es handelt sich um eine intakte Beziehung. Andernfalls hatte die Anwesenheit des Partners den gegenteiligen Effekt und der Cortisol-Spiegel stieg. Bei Frauen konnte dieser Effekt übrigens nicht nachgewiesen werden.
Wie die Star-Geigerin mit Druck umgeht
Mit dem Druck anfreunden!
Der US-amerikanische Basketballspieler LeBron James antwortete auf die Frage, wie er mit dem Druck vor einem besonders wichtigen Spiel umgehe: „Ich empfinde keinen Druck. Das wird ein riesiger Spaß, ein tolles Spiel und ich freue mich auf die Herausforderung“. Damit macht er vieles richtig: Anstatt permanent über den Schrecken des Augenblicks nachzudenken, ist es besser, sich mit positiven Bildern auf die Drucksituation einzustimmen. Denn die richtige Einstellung kann spielentscheidend sein. So fand die US-Psychologin Sian Beilock in einer Studie heraus, dass Menschen, die sich permanent Sorgen machen, anfälliger dafür sind unter Druck zu scheitern. Es gilt also: Das Glas ist halbvoll. Und zwar immer.
Zum Yogi werden!
Bereits in den Siebzigerjahren konnte der US-Forscher Richard Davidson mithilfe eines Hirnscans beweisen, dass Menschen, die regelmäßig meditieren, besser mit Druck umgehen als andere. Woran es liegt? Sie können sich besser konzentrieren und lassen sich weniger häufig von äußeren Faktoren wie Lautstärke oder Hitze ablenken. Golflegende Tiger Woods schwört darauf. Und Tischtennis-Profi Timo Boll will mithilfe des Ommmms sogar bei Olympia gewinnen. Wie genau - das steht in der neuen Wiwo.