
WirtschaftsWoche: Herr Heizmann, Ihr aktuelles Buch heißt "Essen erlaubt"...
Patric Heizmann: Der Titel meines Buches soll kein Aufruf sein, alles willenlos in sich hineinzustopfen. Gerade in Stresssituationen ist es unheimlich wichtig, dass man seine Ernährung reflektiert.
Wenn Arbeitnehmer in Stresssituationen am Arbeitsplatz essen, sollten sie das Problem daher bei den Stressfaktoren suchen anstatt in ihrer Ernährung: Was ist Stress eigentlich? Wo kommt er her? Und was macht er mit dem Mitarbeiter? Doch wenige gehen diesen Fragen nach.
Warum essen wir denn nebenbei am Arbeitsplatz?
Wir starren auf den Bildschirm, haben Termindruck und manchmal sogar psychosozialen Stress, weil am Arbeitsplatz gemobbt wird. Und wir setzen uns heutzutage zunehmend privat unter Druck. Essen wird hier zur Nebensache, manchmal sogar zum lästigen, zeitraubenden Übel.
Zur Person
Patric Heizmann ist der Gründer der Eat-Akademie, in der er mit weiteren Coaches Teilnehmer in Workshops darüber aufklärt, wie sie Stress bewältigen, geistig und körperlich fit bleiben. Heizmann ist Diplom-Sportmanager, Fitnesslehrer, Ernährungsexperte und Autor der Bücher "Ich werd' dann mal schlank" und "Essen erlaubt". Über 400.000 Bücher wurden im deutschen Buchhandel verkauft. Mehr als 350.000 Menschen haben ihn bis heute live erlebt.
Was meinen Sie mit privatem Druck?
Es gibt Speed-Dating, Fitnesstracker und Kaffee to go. Wir verzichten auf den Mittagsschlaf und machen stattdessen einen Power-Nap – wenn überhaupt. Wir schreiben uns ständig Mails und checken, was in sozialen Netzwerken wie Facebook passiert. Wir essen Fast Food. Viele kauen kein Obst mehr – sie trinken Smoothies. Durch diese Lebensweise verlieren wir den Blick für das Wesentliche.
Welche Konsequenzen hat das für unseren Körper?
Unter Stress schüttet die Nebennierenrinde im Körper die Stresshormone Adrenalin und Cortisol aus. Cortisol ist der Gegenspieler des Insulins: Wenn der Cortisol-Gehalt im Körper steigt, sinkt der Insulinspiegel – der Idealfall ist ein Gleichgewicht.
Durch Dauerstress verkleinern sich aber die „Zuckerschleusen“ im Gehirn. Dann veranlasst das Gehirn ein schier unkontrollierbares Verlangen nach Süßem, also Energienachschub. Das ist Zucker, der dann in solchen Mengen gegessen oder getrunken wird, dass er vom Gehirn nicht mehr komplett verbraucht werden kann und in den Fettspeichern endgelagert wird. Natürlich steigt durch den hohen Zuckerkonsum auch der Insulinspiegel.
Sobald der Zucker in die Fettzellen entsorgt wurde und der Insulinspiegel wieder niedrig ist und somit dem Gehirn wieder wenig Zucker zur Verfügung steht, schüttet der Körper wieder Stresshormone aus – das Spiel beginnt von vorn.
Wieviel Zucker steckt in...
In dem Schokoriegel (18 Gramm) stecken rund sechs Gramm Zucker.
In einem Riegel (58 Gramm) stecken rund 39 Gramm Zucker.
20 Gramm der Schokocreme enthalten rund 12 Gramm Zucker.
200 Milliliter Apfelsaft enthalten 20 Gramm Zucker.
200 Milliliter Cola enthalten etwa 18 Gramm Zucker.
200 Milliliter Milch enthalten 10 Gramm Zucker.
Eine Portion (50 Gramm) dieses Kinderprodukts enthält 7,6 Gramm Zucker.
Zwiebelsuppe aus der Tüte von Maggi enthält laut Hersteller 24 Gramm Zucker auf 100 Gramm der trockenen Zubereitung. Fertig gekocht entspricht das bei einer Portion von 250 Millilitern 3,3 Gramm Zucker.
Und wir nehmen zu.
Genau. Irgendwann fühlt man sich am Arbeitsplatz wie ein Bergsteiger auf 6000 Meter Höhe, der nach Luft japst – beziehungsweise weitere Energielieferanten braucht, um produktiv zu sein. Auf lange Sicht bildet sich so das Viszeralfett. Es liegt locker im Gewebe und daraus kann der Körper schnell Energie gewinnen. Es ist das gefährlichste Fett, weil es die Entzündungswerte erhöht und somit beispielsweise Herzkreislauferkrankungen befeuert.
Werden wir denn durch Stress automatisch dick?
Nein. Manche Menschen nehmen ab, weil sie unter Stress das Hungergefühl verlieren beziehungsweise die Zuckerschleusen im Gehirn sperrangelweit aufstehen. Sie magern ab. Dann erst wird das Gehirn mit zu wenig Energie versorgt. Diese Menschen neigen deshalb dazu, depressiv zu werden.
Diejenigen, die durch Stress zunehmen, sind seelisch wesentlich stabiler, ruhiger und hartnäckiger, wenn sie Ziele verfolgen. Sie brennen nicht so schnell aus, weil sie Energie-Reserven im Viszeralfett haben – was leider aber nicht so schön aussieht.
Also ist es besser, wenn man durch Stress zu- anstatt abnimmt?
Nicht unbedingt. Diese Situation ist vergleichbar mit der Wahl zwischen Pest und Cholera. Zu- und Abnahme haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit. Mittelfristig ist es aber besser, etwas dicker zu sein als dürr. Denn Depressionen bringen meist andere Erkrankungen mit sich.