Spätestens im November finden viele Angestellte eine E-Mail ihrer Personalabteilung oder ihres Vorgesetzten im Postfach, die daran erinnert, so langsam die verbliebenen Urlaubstage einzuplanen – und zwar bis zum Jahresende. Bisher ist das aber nur eine freiwillige Erinnerungshilfe. Unternehmen wollen ihre Mitarbeiter so dazu bewegen, keinen Urlaub ins Folgejahr mitzunehmen, weil sie sonst Rücklagen bilden müssen.
Was bisher schon in vielen Unternehmen Praxis war, wird nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 6. November zur Pflicht für Arbeitgeber. Demnach ist nun nicht mehr der Arbeitnehmer allein dafür verantwortlich, ob er seinen Urlaubsanspruch geltend macht. Arbeitgeber müssen nach der jüngsten Rechtsprechung ihre Angestellten auffordern, den Urlaub zu nehmen. Sonst verfällt der Anspruch nicht mehr automatisch.
Gut für die Angestellten, schlecht für die Arbeitgeber? So einfach ist es nicht. Die wichtigsten Fakten zum Resturlaub.
1. Wie deutlich muss der Arbeitgeber werden?
Tatsächlich ändert sich für Arbeitnehmer relativ wenig, während Arbeitgeber nun die Verpflichtung haben, ihre Angestellten an deren Urlaub zu erinnern. Wie scharf die Aufforderung ausfallen muss, damit sie zählt, ist laut Arbeitsrechtsanwalt Christian Hoefs, Arbeitsrechtspartner in der Kanzlei Hengeler Mueller in Frankfurt, noch nicht ganz klar. „Die generelle Aufforderung, ‚jetzt nehmen Sie bitte mal alle Ihren Urlaub‘, genügt wohl nicht“, sagt Hoefs. „Es muss wohl konkreter werden in der Art: ‚Frau X oder Herr Y, Sie sind verpflichtet, Ihren Resturlaub von x Tagen zu nehmen, tun Sie das bitte.‘“ Erst wenn der Arbeitnehmer das dann immer noch nicht täte, könnte der Urlaubsanspruch verfallen.
Wichtig ist laut Hoefs auch, dass die Möglichkeit, den Urlaub zu nehmen, auch realistisch ist. Wenn also kurz nach der Aufforderung, Urlaub einzureichen, neue Aufgaben verteilt werden, die in der verbleibenden Zeit nicht zu schaffen sind, dann kann der Arbeitgeber auch nicht glaubhaft machen, er habe an den Urlaubsanspruch erinnert.
2. Übertragung des Resturlaubs ins Folgejahr
In vielen Fällen ist es möglich, übriggebliebene Urlaubstage auf das erste Quartal des Folgejahres zu übertragen. Laut Bundesurlaubsgesetz soll der Urlaub zwar innerhalb eines Kalenderjahres genommen werden. Einige Ausnahmen gelten dennoch: Voraussetzung sind persönliche oder betriebliche Gründe, etwa dass ein Arbeitnehmer länger krank war oder die Arbeitsbelastung keine Abwesenheit zuließ. Die Übertragung bedarf keines Antrags, sondern erfolgt automatisch. Der Rechtsexperte schränkt lediglich ein: „Ob die Voraussetzungen im konkreten Fall erfüllt sind, darüber lassen sich sicherlich auch wieder Rechtsstreits führen.“ Die Regel sei aber die automatische Übertragung. Wer sichergehen will, sollte sich beim Arbeitgeber vergewissern oder sogar eine schriftliche Bestätigung erteilen lassen.
3. Negative Effekte für Unternehmen
Für Unternehmen könnte sich aus der neuen Regelung ein negativer Effekt ergeben, dass „in nicht unerheblichem Ausmaß Urlaub nicht beansprucht wird und schlicht ohne Entschädigung verfällt“, sagt Jurist Christian Hoefs. Dieser Selbstausbeutung aufseiten der Arbeitnehmer soll die vom EuGH vorgeschriebene Neuerung nicht zuletzt entgegenwirken. De facto haben manche Unternehmen bislang also davon profitiert, dass ihre Mitarbeiter freiwillig oder unwissentlich mehr arbeiteten als sie mussten – aus welchen Gründen auch immer.
4. Auszahlung oder Vererbung der Urlaubstage
Wer als Angestellter auf ein paar Euros zusätzlich zum Jahresende hofft, hat genauso wie bisher falsch gerechnet. Der gesetzliche Urlaubsanspruch kann nicht in Bares umgemünzt werden. Die einzige Ausnahme ist, wenn jemand aus einem Unternehmen ausscheidet und keine Zeit mehr bleibt, um verbliebene Urlaubstage zu nutzen. Außerdem können die Urlaubstage Verstorbener in Form einer Auszahlung an die Hinterbliebenen vererbt werden. Arbeitsrechtler Hoefs sieht für die Auszahlung nur ein Schlupfloch: „Dass Urlaub nicht mit Geld abgegolten werden darf, bezieht sich nur auf den gesetzlichen Mindesturlaub von 20 Tagen. Über die restlichen Urlaubstage kann also theoretisch Abweichendes vereinbart werden.“
Das sagt das Arbeitsrecht zum Thema Urlaubsanspruch
Wer sechs Tage pro Woche arbeitet, hat einen Mindestanspruch von 24 Urlaubstagen pro Jahr, bei einer Fünftagewoche stehen Arbeitnehmern 20 Tage zu und bei einer Viertagewoche 16 Urlaubstage.
Tarif- oder Arbeitsverträge können deutlich längeren Urlaub vorsehen - 30 Tage Jahresurlaub sind in vielen Berufen und Branchen üblich. Die Zahl der Urlaubstage hängt allerdings noch von weiteren Faktoren ab. Verschiedene Personengruppen bekommen mehr bzw. weniger, als andere.
Auch wenn ein Mitarbeiter krankheitsbedingt das gesamte Jahr ausgefallen ist, hat er Anspruch auf seinen Jahresurlaub. Diesen kann der Mitarbeiter in den ersten drei Monaten des Folgejahres nehmen.
Bei Jugendlichen ist der Urlaubsanspruch nach Alter gestaffelt: Wer unter 16 ist, bekommt bei einer Fünftagewoche 25 Urlaubstage. Azubis unter 17 Jahren erhalten 23 Urlaubstage, bei unter 18-Jährigen sind es 21 Urlaubstage.
In der Probezeit hat man pro vollem Monat Anspruch auf ein Zwölftel des Jahresurlaubs. Wer also einen Anspruch auf 20 Tage Jahresurlaub hat und nach drei Monaten Probezeit Urlaub nehmen möchte, bekommt fünf Tage frei.
Mitarbeiter mit einer Schwerbehinderung, die fünf Tage pro Woche arbeiten, haben einen Anspruch auf fünf Extraurlaubstage.
Neue Mitarbeiter erwerben ihren vollen Urlaubsanspruch nach sechs Monaten. Wer im Januar anfängt, kann also im Februar noch keine drei Wochen Urlaub nehmen.
Der Urlaubsanspruch ist grundsätzlich aufs jeweilige Kalenderjahr beschränkt. Mitarbeiter müssen daher alle ihre Urlaubstage bis zum 31. Dezember nehmen, sonst verfällt der Anspruch. Wer seinen Urlaub wegen Krankheit, einer Urlaubssperre oder anderen betrieblichen Gründen nicht komplett verbrauchen konnte, kann den Resturlaub jedoch auf das Folgejahr übertragen. Der Resturlaub muss dann in der Regel aber bis zum 31. März genommen werden – es sei denn, Arbeitgeber und Arbeitnehmer einigen sich auf eine Übertragung über den März hinaus.
Grundsätzlich regelt das Bundesurlaubsgesetz den Urlaubsanspruch. Ein Recht auf bezahlten Urlaub haben alle, die arbeiten gehen: Vollzeitkräfte genauso wie Teilzeitkräfte, befristete oder geringfügig Beschäftigte genauso wie Lehrlinge, Referendare und Volontäre.
5. Dokumentationspflicht des Arbeitgebers
„In Zukunft müssen Arbeitgeber genommene Urlaubstage deutlich sorgfältiger als bisher dokumentieren und aktiv tätig werden, um zu gewährleisten, dass Arbeitnehmer ihren Urlaub auch nehmen“, sagt Christian Hoefs. Daraus folgt, was in umsichtig geführten Betrieben längst gängige Praxis ist: Mitarbeiter beziehungsweise Teams sollten untereinander abklären, wer wann und wie lange Urlaub machen will. So können Abwesenheiten meist gut abgefedert werden. Ein grober, vorab für das ganze Jahr angefertigter Urlaubsplan gewährleistet einen besseren Überblick. Und nicht erst im November sollten Vorgesetzte vielleicht einmal nachsehen, ob sich beim einen oder anderen Mitarbeiter nicht noch eine größere Anzahl unbeanspruchter Urlaubstage türmt.
Nehmen viele Mitarbeiter ihren Urlaub mit ins Folgejahr, setzt sich das Problem wahrscheinlich am Ende des nächsten Jahres fort. Und nicht zuletzt sollte klar sein: Erholungsurlaub sorgt für gesündere und bestenfalls motiviertere Mitarbeiter.