Ex-Minister Garrelt Duin „Als Politiker war ich zu 90 Prozent ferngesteuert“

Seitenwechsler: Garrelt Duin machte erst Karriere in der Politik, dann in der Wirtschaft. Quelle: Marcus Simaitis für WirtschaftsWoche

Nach seiner Zeit als Wirtschaftsminister in NRW wechselte Garrelt Duin in die Wirtschaft. Doch als Manager bei Thyssenkrupp hielt er sich nicht lange. Was ihn an der Konzernwelt, teuren Beratern und Journalisten stört.

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Als Berufspolitiker der SPD brachte es Garrelt Duin zum Wirtschaftsminister in Nordrhein-Westfalen. Er saß zuvor im Europaparlament und im Bundestag. Als seine Partei 2017 die Landtagswahl und Duin damit sein Amt verlor, fasste der damals 49-Jährige einen Entschluss: Er war zu jung für den Ruhestand – und wechselte die Seiten. Erst zog es Duin als Personalmanager zum Essener Konzern Thyssenkrupp, dann zur Handwerkskammer zu Köln, die er bis heute als Hauptgeschäftsführer leitet. Duin stört sich am öffentlichen Bild der Seitenwechsel. Nicht erst seit Altkanzler Gerhard Schröder, den es nach der politischen Karriere zu Rosneft und Nord Stream zog, mit seiner Nähe zum russischen Präsidenten und Kriegstreiber für Fassungslosigkeit sorgt, wird regelmäßig Kritik an den Seitenwechseln laut: Politiker würden von Unternehmen nur dank ihrer erstklassigen Kontakte ins Unternehmen geholt, manche würden noch im Amt Entscheidungen treffen, die sich für ihre kommenden Arbeitgeber auszahlen, so die Vorwürfe.

WirtschaftsWoche: Herr Duin, Sie sind heute Chef der Handwerkskammer in Köln. Wieso? Weil Sie handwerklich so begabt sind?
Garrelt Duin: Ausschlaggebend für meine Wahl im Sommer 2019 war das wohl eher nicht, aber filigrane Tätigkeiten jedenfalls liegen mir. Tatsächlich konnte ich mir eine Zeit lang vorstellen, Uhrmacher zu werden.

Sie wurden allerdings zunächst einmal Politiker. In Nordrhein-Westfalen waren Sie Minister für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Handwerk. Das Handwerk trug keiner Ihrer Vorgänger im Titel.
Ich war damit der einzige Handwerksminister in Deutschland. Das war natürlich ein super Türöffner, bei vielen Empfängen wurde ich mit „Herr Handwerksminister“ begrüßt. Allerdings muss ich dazu sagen: Es war nicht meine Idee, die Entscheidung fällten SPD und Grüne bei den Koalitionsverhandlungen.

Waren die Handwerker von all Ihren damaligen Gesprächspartnern die nettesten? Oder warum sind Sie heute Chef der Handwerkskammer?
Die nettesten waren sie auf jeden Fall. Statt formeller Stehempfänge im Hotel gab es bei den Handwerkern rheinische und westfälische Abende – also sehr zünftig, mit Pils statt Sekt. Aber dafür auch sehr persönlich und launig. Das liegt auch an der Struktur der allermeisten Handwerksbetriebe: Sie sind in Familienhand, haben nur eine Handvoll Mitarbeiter, die Eigentümer wohnen auf dem Gelände des Betriebs. Und das prägt den Charakter der Eigentümer, sie sind häufig nahbarer als die Manager einer großen Aktiengesellschaft.

Warum haben Sie mit der Politik aufgehört?
Es gab verschiedene Gründe, auch sehr persönliche. Ich war aber auch mit knapp 50 Jahren mit allem durch: Kommunalpolitik, Europaparlament, Bundestag, Minister. Und es lag an Menschen wie Ihnen: an Journalisten.

Wieso das?
In der Zeit als Minister habe ich in der journalistischen Begleitung Dinge erlebt, die ich so nicht hinnehmen wollte. Es erschien etwa ein großes Portrait über mich in einer Tageszeitung. Mit dem Journalisten hatte ich allerdings nie darüber gesprochen, der hatte sich einfach Szenen ausgedacht. 

Das ist allerdings eher die Ausnahme im Journalismus.
Mag sein. Ich hatte nicht den Panzer, um das wegzulächeln.

Das klingt, als vermissten Sie das Interesse an Ihrer Person heute gar nicht.
Die Öffentlichkeit hat natürlich ihren Reiz: Ich saß bei Anne Will, Maybrit Illner und einer Politiksendung von Stefan Raab. Ich will diese Zeit gar nicht missen, bin damit aber einfach durch. Ich kenne viele Politikerinnen und Politiker, denen das deutlich schwerer fällt.

Was fehlt Ihnen denn dann?
Direkter Einfluss.

Das müssen Sie erläutern.
Zwar habe ich auch als Minister nur wenige Entscheidungen ganz allein getroffen. Aber eines vermisse ich: Die Richtung vorzugeben, insbesondere, wenn es um grundlegende Fragen geht. Die aktuellen Änderungen bei der Energiewende sind dafür ein Beispiel. Am wenigsten vermisse ich übrigens die Fremdbestimmtheit. Als Politiker war ich zu 90 Prozent ferngesteuert: Ich wurde morgens abgeholt, abends nach Hause gebracht, in der Zwischenzeit funktionierte ich. Meine Reden wurden vorgeschrieben, die Termine vom Büro organisiert. In der Handwerkskammer bin ich viel freier. Ich komme morgens entspannter und besser gelaunt ins Büro als damals ins Ministerium.

Hatten Sie immer einen Plan B für den Seitenwechsel?
Tatsächlich habe ich schon ein paar Jahre vor meinem Ausstieg den Entschluss gefasst, mit der Berufspolitik aufzuhören. Einen konkreten Plan hatte ich allerdings nicht. 2017 habe ich erst mal ein halbes Jahr Pause gemacht, mich umgeschaut, Sprachkurse belegt. In der Zeit erhielt ich ziemlich lukrative Angebote: Beratungen wollten mich für ihre Mandanten als Türöffner nach Berlin holen. Die zahlen gut, obwohl sie in erster Linie mein Telefonbuch kaufen wollten. Ich wollte damals jedoch nicht an die Türen meiner ehemaligen Kollegen klopfen. Nach einem halben Jahr merkte ich irgendwann: Mir wird langweilig.

Sie gingen als Personalchef der Sparte Industrial Solutions zu Thyssenkrupp. Allerdings nur für anderthalb Jahre. Warum haben Sie da aufgehört?
Thyssenkrupp ist ein spannendes und sehr innovatives Unternehmen. Ich bin dankbar für die damalige Chance. Aber ich war ein Manager von 200 weltweit, darüber noch zwei Ebenen von Entscheidern. Für mich war der Konzern zu groß und zu unpersönlich; in der damaligen Zeit wurde die Strategie, verbunden mit Personalwechseln, häufig geändert und teure Berater gingen ein und aus. Heute scheint man das überwunden zu haben. Aber Familienunternehmen liegen mir mehr.

Seit September 2019 sind Sie bei der Handwerkskammer. Hatten Sie beim Wechsel einen Amtsbonus?
Ich hatte einen Malus: Es ist kein Selbstläufer, als Sozi einen Wirtschaftsverband zu leiten. Ich musste einen ganz normalen Bewerbungsprozess durchlaufen, mit 90 Konkurrenten. Es gab auch einige Kollegen im Verband, die sich gefragt haben, warum jetzt der Ex-Minister zur Handwerkskammer kommt, warum ich mich hier niederlasse und ob ich in ein paar Jahren wieder weg bin, wenn die Politik wieder ruft. Erstens tut sie das aber gar nicht und zweitens wäre ich wohl auch taub auf diesem Ohr.

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Profitieren Sie bei der Handwerkskammer von Ihrer politischen Erfahrung?
Natürlich sind die guten Kontakte unheimlich wertvoll. Ich kann aber auch andere Erfahrungen einbringen: Als Politiker wollen Sie ja gefallen, wollen einnehmend wirken, nicht ausgrenzend. Auch in unserer Kammer wollen wir die unterschiedlichsten Betriebe und Gruppierungen gleichermaßen vertreten: vom Uhrmacher bis zum Straßenbauer, vom Azubi über den angestellten Gesellen bis hin zum Inhaber.

Sind Sie Lobbyist?
Das hoffe ich.

Wieso?
Weil es meine Pflicht ist. In Paragraph 91 der Handwerksordnung heißt es, dass die Kammern die Interessen des Handwerks vertreten müssen. Und das tun wir: Wenn die Stadt jetzt etwa das Auto aus der Innenstadt verdrängen will, dann lobbyiere ich dagegen und will Ausnahmen für Handwerksautos durchsetzen, die sonst nicht mehr auf die Baustellen kommen.

Für Sie ist Lobbyismus etwas Gutes?
Politik ist nun mal der Wettstreit verschiedener Interessen. Auch die SPD gründete sich, um die Interessen der Arbeitnehmer zu vertreten. Es ist vollkommen legitim, dass die Politik von Lobbyisten begleitet wird: ob nun vom Deutschen Gewerkschaftsbund oder Greenpeace, von einem riesigen Chemieunternehmen oder der Handwerkskammer. Sicherlich braucht es Transparenz, die nun etwa das Lobbysregister schaffen soll. Und wenn eine Regierung selbst als Käufer, etwa von Rüstungsgütern oder zuletzt Masken auftritt, müssen beide Seiten äußerst vorsichtig sein, damit alles sauber bleibt. Ansonsten ist Lobbyismus allerdings nichts Schlechtes und wird viel zu häufig mit Korruption gleichgesetzt.

Haben Sie sich beim Seitenwechsel Gedanken gemacht, wie ihr Wechsel öffentlich wahrgenommen wird? Es gab ja auch Kritik bei Ihrem Wechsel zu Thyssenkrupp.
Um es einigen Kritikern recht zu machen, hätte ich mich zu Hause einmauern müssen und nie wieder rauskommen dürfen. Aber mit Ende 40 kann ja das Berufsleben nicht zu Ende sein, nur weil man sich ein paar Jahre in öffentlichen Ämtern bewegt hat. Es hätte für zwei Jahre Übergangsgeld gegeben, das sind 50 Prozent vom Ministergehalt. Aber danach wäre das bis zur Rente auch noch ein ziemlich langer Weg, dann ganz ohne Einkommen. Ich konnte mich also gar nicht einfach zur Ruhe setzen.

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