




Morgen trifft man sich mal wieder. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig wird zu Gast sein im Wissenschaftszentrum für Sozialforschung Berlin, um mit dessen Direktorin Jutta Allmendinger und anderen über den „Ausweg“ aus „tradierten Rollen“ zu sprechen. Darüber also, wie „Erwerbsarbeit und unbezahlte Familienarbeit zwischen Frauen und Männern fairer zu verteilen“ sind.
Mit „Familienpolitik 2.0“ überschreibt die Ministerin ihren Vortrag. Doch was damit gemeint ist, sollte besser Anti-Familienpolitik heißen.
Denn sie lässt Familien zwar als Brosamen Elterngeld oder das viel kritisierte Betreuungsgeld zukommen. Doch das eigentliche Ziel dieser Politik ist nicht die Stärkung, sondern die Schwächung der Familie, indem sie die Wertschätzung der in keiner BIP-Statistik verzeichneten, aber für die Gesellschaft unverzichtbaren Dienstleistungen in den Familien beständig untergräbt.
Wenn Schwesig und ihre Verbündeten in Politik und Sozialwissenschaft – Jutta Allmendinger steht hier in der vordersten Reihe – von der „fairen Verteilung“ von Erwerbsarbeit und unbezahlter Familienarbeit sprechen, so ist die implizite Botschaft stets dieselbe: Erwerbsarbeit für Markt und Staat ist die einzig erstrebenswerte Beschäftigung, informelle Hausarbeit ist eine üble Fron, von der die Frauen, die sie (noch) überverhältnismäßig leisten, erlöst werden müssen.
Das Ziel sind Männer und Frauen, die beide möglichst nahe an der Vollzeit arbeiten. In der knappen Freizeit streiten sie dann darum, wer die Hausarbeit übernimmt.
Aber auch da will Manuela Schwesig mit Rat und Tat zur Seite stehen und für „Partnerschaftlichkeit“ in den Beziehungen sorgen. Es ist natürlich schwierig, den Männern etwas schmackhaft zu machen, von dem sich die Frauen verabschieden sollen.
Die „Vision“ der Manuela Schwesig beruht auf dem Glauben an ein Narrativ. Also an eine Erzählung, die Jahrzehntelang so oft erzählt wurde, dass sie mittlerweile fest im politischen Bewusstsein der meinungsbildenden Schichten verankert ist: Es ist die Geschichte der Befreiung der Frau von der Fron am „Herd“.
Die Familie ist in dieser Erzählung ein gesellschaftliches Gefängnis, das die Frauen daran hindert, sich frei zu entfalten – nämlich durch Erwerbsarbeit. Es ist daher auch eine sozialdemokratische, letztlich eine marxistisch-materialistische Erzählung, da sie auf der Überzeugung fußt, dass nur die Erwerbsarbeit dem Leben einen Sinn gibt.
Die „Herdprämie“ passt perfekt in diese Erzählung. Der Journalist Robin Alexander hat in einem preisgekrönten Essay sehr erhellend gezeigt, wie dieser Kampfbegriff gegen das Betreuungsgeld - also die 100 Euro, die Mütter bekommen, wenn sie ihr unter dreijähriges Kind selbst betreuen -, den politischen Diskurs versaut und den Stellenwert häuslicher Arbeit in Deutschland endgültig in den Dreck gezogen hat.
Wer „Herdprämie“ sagt, denkt an das „Heimchen am Herd“ und unterstellt, dass der „Herd“, also die solidarisch geleistete Hausarbeit jenseits des Marktes, eigentlich minderwertig gegenüber der ökonomisch formalisierten Arbeit ist. Und dass die „Herdprämie“ die Fesseln der Frauen aufrecht erhalten will.
Die neue Unterwerfung der Frauen





Natürlich ist die Erzählung von der Befreiung der Frauen nicht falsch. Die weitgehend auf die Familie beschränkte Rolle der Frau in der voremanzipierten Gesellschaft war tatsächlich durch ein großes Maß an Unfreiheit gekennzeichnet. Zumal diese Unfreiheit nicht nur durch gesellschaftliche Konventionen und Traditionen, sondern auch durch diskriminierende Gesetze befestigt war. Aber sie ist wie jede politische Erzählung bewusst einseitig.
Denn „gleichberechtigte Teilhabe“ an der Erwerbsarbeit könnte ebenso gut als eine Geschichte der Unterwerfung erzählt werden. Und es wird Zeit, diese Perspektive zu eröffnen.
Der lange Marsch der Frauen in die Fabriken und Büros ist nämlich auch die Geschichte des wachsenden Bedarfs des Arbeitsmarktes – man könnte auch sagen des Kapitals – nach günstiger Arbeitskraft. Die Freiheit von der Familie, die die Frauen gewonnen haben, wird bezahlt durch eine neue Unterwerfung: nämlich unter die Zwänge des Erwerbslebens.
Was im öffentlichen Diskurs kaum vernehmbar ist, obwohl Millionen Menschen es am eigenen Leib spüren: Die Ausbreitung von Markt und Staat auf Kosten der Familien ist auch eine Geschichte des Verlusts von Ordnung und Sicherheit. Die meisten Menschen wünschen sich einen „Herd“, einen Ort des Rückzugs vom öffentlichen, kalten, staats- und marktbeherrschten Arbeitsleben. Einen Ort, an dem man nicht nach den ehernen Gesetzen von Angebot und Nachfrage arbeitet und verdient, sondern aus allzu menschlichen Gründen, die dem Markt unbekannt sind.
Dieser Ort ist für die meisten Menschen die Familie.
Die traditionelle Familie mit ihrer auf Liebe, Treue und Verantwortung basierenden Mini-Ökonomie steht den Ansprüchen des Marktes im Wege: Sie enthält den Unternehmen Arbeitskraft und damit Wachstumspotential vor. Außerdem: In einer Volkswirtschaft, die vor allem aus Alleinernährer-Hausfrauen-Familien besteht, müssen Arbeitnehmer so gut bezahlt werden, dass sie allein Familien unterhalten können. In einer aus Zwei-Verdiener-Haushalten bestehenden Gesellschaft steigt die Marktmacht der Arbeitgeber, niedrigere Gehälter durchzusetzen.
Der Wirtschaftssoziologe Wolfgang Streeck hat diese Perspektive beleuchtet und auf den grundsätzlichen Konflikt hingewiesen, den die Ausbreitung des Marktes auf Kosten der Familien mit sich bringt: „Flexible Märkte verlangen flexible Sozialstrukturen, menschliches Leben aber braucht stabile Ordnungen.“
Die gegenwärtige Politik bietet als Lösung ihre Anti-Familienpolitik an: Der Sozialstaat muss alles übernehmen, wofür die in Erwerbsarbeit drängenden und gelockten Menschen keine Zeit und keine Nerven mehr haben. Das heißt, der Staat organisiert zum Ersatz der wegfallenden Familienarbeit Kitas und andere Dienstleistungen, die das verhasste „Heimchen am Herd“ (alias die Mutter) ersetzen sollen.
Das hat den willkommenen Nebeneffekt, dass aus informeller und in keiner volkswirtschaftlichen Statistik verzeichneten Familienarbeit neue Erwerbsarbeit entsteht: Das Gehalt von Erzieherinnen geht ins BIP ein, die Erziehungsleistungen von Müttern und Vätern nicht. Die Frauen arbeiten also außerhalb der Familie, um für die Aufgaben, die ihre Mütter noch selbst übernahmen, familienfremde Dienstleistungen finanzieren zu können.
Volkskrankheiten der Gegenwart





Doch die Gegenbewegung gegen die Expansion der Erwerbsarbeit kann gar nicht ausbleiben. Die seelischen Volkskrankheiten der Gegenwart – Burn-Out und ähnliche – sind auch Symptome des Ungleichgewichts zwischen Erwerbsleben und Privatheit.
Der überdimensionierte Fokus auf die Erwerbsarbeit und die Verachtung der Familienarbeit ändert nichts daran: Eine Gesellschaft, die nicht aus den abstrakten Nutzenmaximierern der ökonomischen Modellrechnungen, sondern aus Menschen mit menschlichen Bedürfnissen besteht, braucht eine Balance zwischen Erwerbsarbeit und informeller Arbeit, die in Familien und anderen freiwilligen Verbünden nach marktfremden Gesichtspunkten geleistet wird.
Eine neue Wertschätzung für unbezahlte Arbeit in der Familie wird vermutlich schon dadurch unausweichlich, dass die Wachstumsmöglichkeiten der Wirtschaft und des Staates unübersehbar an ihre Grenzen kommen. Wenn die Wirtschaft nicht mehr wächst, werden die Menschen umso mehr auf ihre Familien angewiesen sein.
Im geregelten Erwerbsleben stehen die Einzelkämpfer besser da. Doch in Krisen sind Familien, wie Frank Schirrmacher in seinem Buch „Minimum“ zeigt, überlegen im Überlebenskampf: Die Einzelkämpfer kamen bei der Tragödie der Siedler am Donnerpass im Schneesturm zu Tode, Familienmitglieder hingegen überlebten.
Doch auch ohne die Angst vor der großen Krise stellt sich für Männer und Frauen jenseits von Schwesigs Vision der „Partnerschaftlichkeit“ eine grundsätzlichere Frage als die, wer den Abwasch am Feierabend übernimmt.
Warum eigentlich soll eine Existenz als Sachbearbeiter in einem Großraumbüro, der für anderer Leute Kapital die Rendite erwirtschaftet, so viel erstrebenswerter sein als die Existenz von Müttern und Vätern, die ohne fremde Aufsicht eigenverantwortlich einen Haushalt führen und sich um das schönste und wichtigste auf der Welt kümmern, nämlich die eigenen Kinder?
Könnte es vielleicht sein, dass für die Mehrheit der Männer und Frauen, die keine große Erfolgskarriere machen und sich nicht als „Supertalent“ selbst verwirklichen, sondern einfach nur ihren Karren mehr oder weniger gut bezahlt durch den Dreck ziehen, die Erwerbsarbeit sehr viel weniger befreiend ist, als die herrschende Erzählung der Emanzipation weismacht?
Beruf
Die Frage ist keineswegs hypothetisch, sondern stellt sich Menschen heute immer klarer, wenn sie realisieren, dass die Erwerbsarbeit keineswegs für jeden von ihnen eine Verheißung des großen Glücks ist.
Die Frage wird befördert von den immer deutlicher werdenden Anzeichen der Überforderung der Gesellschaft durch das Eindringen der Marktmechanismen in alle Ritzen des Lebens. Je stärker die Erwerbstätigen unter der zunehmenden Verdichtung und Entgrenzung der Erwerbsarbeit leiden und je größer dadurch die Zahl der unter Stress, Burn-out und Erschöpfung leidenden Erwerbsarbeiter wird, desto eher dürfte die Erkenntnis wachsen, dass Kochen, Wickeln und Wäscheaufhängen im Vergleich dazu gar nicht so furchtbare Beschäftigungen sind.
Zumindest solange man sie nicht als Dienstleister auf dem Arbeitsmarkt anbietet - sondern es aus Liebe tut. Und dafür von seinen Mitmenschen nicht als „Heimchen am Herd“ verachtet wird.