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Familienpolitik Frankreichs Mütter begehren auf

Das Bild Frankreichs als Musterland für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bekommt Risse. Die Mütter wollen endlich mehr Zeit für ihre Kinder. Doch die will man ihnen nicht geben.

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Architektin Menzel mit Kindern Quelle: Dom Smaz/Rezo für WirtschaftsWoche

Die Kündigung kam per Einschreiben, am 23. Dezember. Als Julie Menzel den Brief öffnete, erfuhr die junge Architektin zum ersten Mal, dass ihr Chef mit ihrer Arbeit nicht zufrieden war. In den drei Jahren, die sie insgesamt für das Büro arbeitete, das in Lyon Schulen und Krankenhäuser plant, hatte er nie ein Wort erwähnt. In Menzel begann ein Verdacht zu keimen. Vielleicht hatte die Entlassung nichts mit der Qualität ihrer Arbeit zu tun, sondern damit, dass sie nach der Geburt ihres Sohnes Leo 18 Monate zu Hause geblieben war. Eine ungewöhnlich lange Zeit für eine Französin mit einem guten Job. Erst im Herbst war sie zurückgekehrt. Karriereknick Kinderpause. Das klingt wie eine Strafe in einem Land, das gerne als leuchtendes Beispiel für die Vereinbarung von Familie und Beruf zitiert wird.

Ein hervorragendes Netz von Betreuungsmöglichkeiten ermögliche es den Müttern, schon bald nach der Geburt wieder voll in den Job einzusteigen, wollen oft die – sehr verkürzten – Berichte über Frankreichs emanzipierte Superfrauen belegen. Wenn nur Deutschland auch genügend Krippenplätze zur Verfügung stelle, ließen sich Fachkräftemangel und Demografieproblem mit einer Klappe schlagen – das ist die Schlussfolgerung. Schließlich liegt die Geburtenrate in Frankreich bei 2,1 Kindern pro Frau. In Deutschland sind es 1,4. Es scheint, als würde das Ziel von Charles de Gaulle, des ersten Staatschefs nach dem Zweiten Weltkrieg, bis Mitte dieses Jahrhunderts aufgehen. Dann wird es vermutlich mehr Franzosen als Deutsche geben. Genau das wollte de Gaulle erreichen, als er – damals aus Furcht vor neuer Kriegslust der Nachbarn – den Grundstein für das Betreuungssystem bei gleichzeitiger finanzieller Förderung von Mehr-Kind-Familien legte.

Weniger bekannt ist ein gegenteiliger Trend: Die Enkelinnen der feministischen Schriftstellerin Simone de Beauvoir kämpfen neuerdings für mehr Zeit mit ihren Kindern. Sie tun dies sehr zum Unwillen von Altfeministinnen und einer jungen Familienministerin, die Gleichberechtigung von Mann und Frau zum obersten Ziel ihrer Amtszeit erklärt hat.

Wer nicht sofort wieder arbeitet, gilt als arbeitsscheu

„Ich war vermutlich ein wenig naiv“, sagt Julie Menzel. Wenige Wochen vor den französischen Kommunalwahlen wird auf den öffentlichen Baustellen der Stadt und im Umland im Akkord gearbeitet, damit die Lokalpolitiker bei Einweihungsfeiern noch schnell Erfolge präsentieren können. Leo und seine vierjährige Schwester Nina sind heute im Kindertreff. Normalerweise würde Menzel jetzt in Gummistiefeln durch einen Rohbau laufen, mit ihrer Festanstellung die Fixkosten der Familie sichern. Ihr Mann Peter arbeitet als freier Architekt. Doch seit der überraschenden Kündigung ist die 35-jährige Tochter einer Französin und eines Deutschen erst einmal Zuschauerin. „Wenn man nach der Geburt von Kindern nicht genauso viel arbeiten will wie zuvor, bekommt man hier schnell das Gefühl vermittelt, dass man die Tür hinter sich schließen kann.“

Dieser Druck ist neben dem Netz an Betreuungsmöglichkeiten ein wichtiger Grund für Frankreichs Frauen, bald nach der Geburt wieder arbeiten zu gehen. Wer trotz Krippenangebot, Tagesmüttern und „Nounous“, die ins Haus kommen, bei den Kindern bleibt, gilt schnell als arbeitsscheu. So legen nur 32 Prozent der französischen Mütter mit mindestens einem Kind unter acht Jahren laut einer Eurostat-Studie aus dem Jahr 2010 nach dem viermonatigen Mutterschutz noch eine Erziehungspause ein. In Deutschland sind es demnach 59 Prozent. Theoretisch könnten auch französische Eltern ab dem zweiten Kind bis zu drei Jahre lang zu Hause bleiben und würden sogar vom Staat dafür Geld bekommen. Nicht viel, 388 Euro monatlich, aber immerhin.

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