Führung Organisationen brauchen Hierarchien

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Ein Rädchen kennt seinen Platz

Und genauso wenig, wie man ein Rädchen nach seiner Meinung fragt oder ob es einen Sinn in seinem Beitrag sieht, fragt man in der klassischen Pyramide die Mitarbeiter weiter unten auch eher weniger nach ihrer Meinung oder macht sich größere Gedanken, dass sie plötzlich mit einer eigenen Haltung auftrumpfen könnten. Ein Rädchen kennt seinen Platz. Und diese Philosophie funktioniert für sehr, sehr viele Unternehmen bislang ganz hervorragend.

Zweitens: Es ist bequem. Wir müssen damit rechnen, dass nicht alle Mitarbeiter selbstorganisiert, agil und eigeninitiativ arbeiten können oder wollen. Manche empfinden ihren Verantwortungsbereich zwar als kleines Kästchen. Aber es ist ihr Kästchen, ihr Reich.

Versuchen Unternehmen, solche Mitarbeiter zu mehr Selbstorganisation zu bringen, ist es, als würde man Stallhasen auswildern wollen. In seiner kleinen Box kennt sich der Stallhase aus, da macht ihm keiner was vor. Und andere Hasen sollen sich gefälligst aus seiner Box heraushalten. Doch in der freien Wildbahn könnte er keine zwei Tage überleben. Selbstorganisiert Futter suchen und agil überleben? Eher nicht sein Fall.

Für große Feldversuche einer Netzwerk-Organisation müsste daher der Ansatz einem viel größeren Publikum bekannt gemacht werden, das auf spielerische Art damit Erfahrungen machen und sich daran gewöhnen kann. Das ist bislang nicht der Fall.

Drittens: Es gibt entsprechende Gesetze. Was auch passiert in Unternehmen: Jemand muss dafür geradestehen. Natürlich findet es ein Team toll, gemeinsam über die Einstellung eines neuen Mitglieds zu entscheiden. Doch wer will die Verantwortung dafür tragen, den zweifachen Familienvater wieder zu entlassen? Und wer unterschreibt die Kündigung? Sogar innerhalb der sogenannten Organhaftung fordert der Gesetzgeber zumindest in Deutschland einen einzelnen Menschen als rechtlich Verantwortlichen.

Deswegen gibt es bei uns auch kein Unternehmensstrafrecht wie in den USA, wo eine Organisation als Ganzes in Haftung genommen werden kann (und dann beispielsweise bei Fehlverhalten oder Betrug exorbitante Schadenersatz-Forderungen bezahlen muss).

Daher bleibt bei Entscheidungen im Kollektiv immer die Frage: Wer trägt letztlich die rechtliche Verantwortung? Trotz dieser Tatsachen und Vorteile hat die klassische Pyramidenorganisation natürlich auch offensichtliche Nachteile. Sie verhindert aufgrund der vielen institutionellen Schnittstellen schnelle Reaktionen des Unternehmens, zum Beispiel auf dynamische Marktveränderungen. Sie provoziert Silodenken und hemmt die Kommunikation und Innovation eines Unternehmens. Und nicht zuletzt engt sie den Spielraum der Führungskräfte ein.

Gerade Mittelmanager sehen sich oft einer Sandwich-Situation ausgesetzt: Sie müssen die Anweisungen von oben ausführen und weitergeben, von unten bekommen sie ebenfalls Druck, und eigenen strategischen Spielraum haben sie in der Regel so gut wie gar nicht. In vielen Unternehmen können wir daher eher weniger von einer kraftvollen Führung, von einer Empowered Leadership sprechen.

Und wie wollen Sie denn auch Ihre Mitarbeiter „empowern“, wenn Sie sich selbst nur als Rädchen im Getriebe sehen und eine gewisse Machtlosigkeit fühlen? Wie wollen Sie Ihre Spielräume nutzen, Ihre Mitarbeiter fördern und sich gleichzeitig Freude und Energie bewahren?

Diese Kernforderungen sind es, die eine Empowered Leadership erfüllen muss. Bevor wir Mitarbeiter ermächtigen, sollten wir an die Manager denken und diesen unter die Arme greifen. Damit die Pyramide nicht ihre Leistungsträger verschleißt und das Unternehmen durch eine ausgelaugte Führung nicht auf der Strecke bleibt.

Die gute Nachricht: Für eine Revolution in der Führung müssen wir die Pyramide nicht abschaffen. Das wäre auch ein Herkules-Akt: Zu tief verankert ist dieses Organisationsmodell in den Köpfen von Managern und Mitarbeitern, in den Prozessen und Strukturen von Unternehmen.

Aber es gibt eine Alternative zur strukturellen Revolution, die manche junge Wilde unter den Beratern ausrufen. Sie müssen kein Fan von Holacracy, Unternehmensdemokratie oder Zero Hierarchy werden. Wir müssen die Organisation nicht neu erfinden. Wir müssen den Geist der Führung neu erfinden.

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