Generation Y Karriere machen – aber bitte in Teilzeit

Banken, Beratungen und Kanzleien bieten die Karriere im Schongang an – weniger Geld, dafür mehr Freizeit. Für die junge Generation ist das perfekt. Doch intern droht die Zweiklassengesellschaft.

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Raus aus dem Hamsterrad Quelle: Illustration: Miriam Migliazzi & Mart Klein

Sechzig Stunden pro Woche arbeiten? Für Frank Münzberg undenkbar. Der junge Anwalt mit Prädikatsexamen heuerte nach dem Referendariat in einer Großkanzlei an und saß schon nach vier Jahren in der Karrierefalle.

Up or Out

Seinen richtigen Namen möchte der Jurist nicht nennen, zu groß die Sorge, in einer leistungsgetriebenen Branche für immer als ambitionslos zu gelten. Denn in der Großkanzlei gab es für Münzberg nur zwei Optionen: entweder deutlich mehr arbeiten und Partner werden. Oder weitermachen wie bisher und angestellter Anwalt bleiben. Doch das würde gleichzeitig das Ende seiner Karriere bedeuten. Getreu dem Motto vieler Großkanzleien: Up or Out! Um dem zu entgehen, zog er lieber gleich die Konsequenzen aus seinem Bedürfnis nach mehr Zeit für die Familie. Und tauschte den Anwaltsberuf gegen eine Stelle in der Rechtsabteilung eines Konzerns ein.

Unvollendete Karrieren wie diese kennen Großkanzleien, aber auch Unternehmensberatungen und Investmentbanken zuhauf. Doch statt wie Münzbergs Arbeitgeber zu resignieren und die Talente ziehen zu lassen, stemmen sich andere mit aller Kraft gegen diese Entwicklung. Und zwar, indem sie weit mehr bieten als die gängigen Angebote wie Sabbaticals, Homeoffice und Teilzeit.

Sie locken die Generation Y mit einer Art Karriere im Schongang: Pünktlicher Feierabend, abgeschaltete Handys nach Dienstschluss, mehr Zeit für Freunde und Familie – so lauten die Eckdaten dieser alternativen Karrierepfade. Im Gegenzug muss die junge Generation auf üppige Gehälter, prestigeträchtige Projekte und eine steile Karriere verzichten. Vorreiter dafür ist die Großkanzlei Linklaters, die Anfang Mai ein solches Alternativprogramm vorstellte.

Leistungsbereit und pausenaffin

Während Experten und Branchenkenner schon vor einer Zweiklassengesellschaft in den Büros warnen, sehen die Unternehmen keinen anderen Ausweg, um der Generation Y mehr Freiheiten einzuräumen. Denn die Prioritäten der Hochschulabsolventen sind klar: Im Arbeitgeberranking 2016 der Beratungsgesellschaft Universum etwa gehörte eine gute Work-Life-Balance zu den wichtigsten Karrierezielen der 1414 befragten Jurastudenten. Passend dazu schaffte es mit Freshfields nur eine Großkanzlei unter die Top 20 der beliebtesten Arbeitgeber. Bei den Beratungen sieht es ähnlich aus. Im Consulting-Monitor von Odgers Berndtson gaben zuletzt 61 Prozent der Befragten an, als Berater nicht so viel Zeit für Freunde und Familie zu haben, wie sie sich wünschen. 71 Prozent würden gern raus aus der Arbeitstretmühle und in ein Unternehmen wechseln.

Wie es weltweit um die Work-Life-Balance bestellt ist

„Die Generation Y ist zwar leistungsbereit“, sagt Regine Graml, Professorin für Personalmanagement an der Fachhochschule Frankfurt, „aber sie will nach arbeitsintensiven Phasen ihren Ausgleich haben.“ Anders formuliert: Sie will Karriere machen, aber nicht um jeden Preis.

Linklaters etwa bemerkt schon seit einigen Jahren, dass die Vereinbarkeit von Beruf und Familie für Bewerber und Angestellte immer wichtiger wird. Klar, Teilzeitangebote, Sabbaticals und Homeoffice gibt es auch bei der Großkanzlei seit Jahren. Das neue Arbeitszeit- und Karrieremodell aber sorgte in der Branche für Aufsehen: Yourlink garantiert feste Arbeitszeiten. Das Programm reicht von einer 40-Stunden-Vollzeitwoche bis hin zu verschiedenen Teilzeitvarianten.

Partner werden Anwälte nur auf dem klassischen Weg

Wann der Anwalt morgens anfängt und abends in den Feierabend verschwindet, stimmt er mit seinem Vorgesetzten ab. „Wir wollen den Mitarbeitern ein maßgeschneidertes Modell anbieten“, sagt Linklaters-Personalchef Thomas Schmidt. Außerdem ist allen Beteiligten bewusst, dass die Kollegen auf dem alternativen Karrierepfad nach Feierabend nicht mehr in ihre Mails schauen und das Handy ausschalten. „Solche Regeln zur Nichterreichbarkeit sind sinnvoll“, sagt Personalmanagement-Professorin Graml. „Alleine die Erwartung, erreichbar zu sein, stresst die Mitarbeiter.“

Wer die Vorzüge von Yourlink genießen möchte, muss allerdings in mehrerlei Hinsicht verzichten. Zum einen begnügen sich Mitarbeiter mit geregelten Arbeitszeiten mit einem Einstiegsgehalt von 80.000 Euro. Ein normaler Vollzeitbeschäftigter erhält 120.000 Euro. Zum anderen verzichten sie von vornherein auf den Einzug in die Chefetage: Es ist ausgeschlossen, eines Tages Partner zu werden. Dafür müssten sie zurück auf den klassischen Karrierepfad wechseln.

Die größte Herausforderung für Linklaters dürfte es daher künftig sein, die Arbeit sinnvoll und gerecht aufzuteilen. Sicher, Gutachten mit vorgegebener Frist oder Gerichtsprozesse können problemlos auch von Anwälten des Yourlink-Programms übernommen werden. Übernahmen und Fusionen federführend zu betreuen dürfte dagegen unmöglich sein: Dort verlangen die Mandanten permanente Erreichbarkeit.

Gefahr der Zweiklassengesellschaft

Was theoretisch gut klingt, muss sich nun in der Praxis beweisen. Zwar haben sich schon einige Interessenten gemeldet. Wirklich umgestiegen ist aber noch niemand.

Auch wenn Experten solche Angebote grundsätzlich begrüßen, so warnen sie gleichzeitig vor den Gefahren: „Wer über längere Zeit einen alternativen Karriereweg einschlägt“, sagt Lena Hipp vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, „der wird selten befördert.“ Bei den großen Projekten seien jene Angestellten selten dabei. Dadurch könnten sie sich weniger profilieren und allenfalls langsam aufsteigen.

Außerdem bergen solche Programme atmosphärischen Sprengstoff. Eine andere Kanzlei, die über ein ähnliches Programm nachdachte, hatte Angst, es würde nicht funktionieren. „Wir wollten keine Zweiklassengesellschaft mit ein paar schlechter bezahlten Anwälten, die de facto nicht viel weniger gearbeitet hätten“, sagt ein beteiligter Partner.

45 Stunden Teilzeit-Woche

Eine andere Möglichkeit, jungen Anwälten mehr Freiräume zu verschaffen, sind Teilzeitangebote. Bei CMS Hasche Sigle finden sich sogar auf Partnerebene zehn Juristen mit reduzierter Stundenzahl – deutschlandweit ein Spitzenwert.

Doch das Wort Teilzeit trügt. Die Arbeitsrechtsexpertin Martina Hidalgo arbeitet 80 Prozent, für sie heißt das trotzdem bis zu 45 Stunden in der Woche. „In keiner anderen Branche geht das als Teilzeit durch“, sagt die CMS-Anwältin. „Aber ich verschaffe mir so einen Puffer und habe ein reines Gewissen, wenn ich mal früher los muss.“

So wie neulich am Geburtstag ihres Mannes. Das Telefon klingelte, einem Mandanten drohte eine einstweilige Verfügung. „In solchen Momenten muss ich als Partnerin ansprechbar sein“, sagt sie. Gemeinsam mit einem Kollegen telefonierte sie mit dem Klienten, besprach das weitere Vorgehen und konnte sogar zum Geburtstagsabendessen zu Hause sein. „Das funktioniert, weil wir alle größeren, zeitkritischen Mandate im Team betreuen.“

Alles hat seinen Preis

Für die Mutter von vier Kindern kam es nie infrage, die Mandantenbetreuung aufzugeben. Dafür nimmt sie eine 45-Stunden-Teilzeitwoche und ständige Erreichbarkeit gerne in Kauf. „Egal, wie man sich entscheidet, man muss einen Preis zahlen“, sagt Hidalgo, „das gilt auch für die Generation Y.“

Timo Möller zahlte ihn trotzdem gerne. Der Ingenieur, der heute das McKinsey Center for Future Mobility leitet, war bis vor zwei Jahren als klassischer Berater tätig. Ständig behandelte er neue Themen, vier Tage in der Woche war er beim Kunden, seine beiden Kinder sah er kaum. Doch dann kam das Angebot, sich zu spezialisieren und den Thinktank zur Mobilität der Zukunft zu übernehmen. „Das hat mich vor allem inhaltlich gereizt“, sagt Möller, „zum anderen passte es gut in mein Privatleben.“

Denn als Experte ist Möller zwar auch viel unterwegs, bleibt aber nicht tagelang bei einem Kunden. Er organisiert seine Termine selbst und kann so abends nach Hause fahren, um die Kinder ins Bett zu bringen. Zwar hat McKinsey diese Expertenjobs aus inhaltlichen Gründen geschaffen. Dennoch ermöglichen sie Mitarbeitern, gleichzeitig für eine renommierte Beratung tätig zu sein und souverän über ihre Zeit zu entscheiden.

Der klassische Beraterjob lässt das nicht zu. Dort ist es unabdingbar, mehrere Tage die Woche beim Kunden zu arbeiten, dann sind auch Überstunden die Regel. Das bestätigt eine Auswertung der Vergütungsberatung Compensation Partner von mehr als 256.000 Datensätzen. Demnach leisten Unternehmensberater am meisten Mehrarbeit. Um für die Generation Y trotzdem attraktiv zu bleiben, startete McKinsey 2011 das Programm Take Time. Dabei kann jeder Berater nach einem Projekt für bis zu zwei Monate unbezahlten Urlaub nehmen – jedes Jahr.

Präsenz überzeugt

Wie schädlich solche Programme tatsächlich für die Karriere sind, ist derzeit noch schwer abzuschätzen. Für Wissenschaftlerin Hipp steht aber fest: „Anwesenheit ist für Beförderungen immer noch enorm wichtig.“ Zu diesem Schluss kommt auch Juniorprofessorin Erin Reid von der Boston-Universität. Sie befragte im Jahr 2015 115 Mitarbeiter einer Unternehmensberatung. Und siehe da: Wer lange arbeitete und erreichbar war, erhielt gute Bewertungen. Wer auf flexible Arbeitszeiten und weniger Dienstreisen pochte, bekam ein schlechtes Zeugnis.

Ein Grund, warum Praktikanten und Juniorbanker bis spät in die Nacht in den Büros großer Investmentbanken schuften. Wer an der Wall Street oder im Londoner Bankenviertel Karriere machen will, muss mehr als 70 Stunden präsent und für den Vorgesetzten ständig abrufbereit sein – so zumindest die gängige Meinung.

Praktikanten haben Büro-Verbot - von Mitternacht bis 07.00 Uhr

Als 2013 ein Praktikant der Bank of America Merrill Lynch nach drei durchgearbeiteten Nächten tot in seiner Dusche aufgefunden wurde, war der Aufschrei groß, die Investmentbanken wollten sich bessern. Allerdings klingen die neuen Regeln eher nach Reförmchen statt nach Revolution.

Bei Goldman Sachs zum Beispiel darf der Nachwuchs immerhin zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens nicht mehr im Büro sein. Dennoch kollabierte im vergangenen Dezember ein Juniorbanker mitten in der Nacht im Frankfurter Büro. Die Bank of America verfügte, dass Juniorbanker mindestens vier freie Wochenendtage pro Monat nehmen müssen.

Auch das britische Geldhaus Barclays hat Richtlinien erlassen. Vorgesetzte sollen darauf drängen, dass der Nachwuchs seinen Urlaub tatsächlich nimmt. Zumindest freitags sollen sie nach 13 Uhr keine neuen Aufträge mehr verteilen, um Nacht- und Wochenendschichten zu vermeiden.

Keine Nachtschichten, mehr Talente

Aus dem Mund von Ken McGrath hören sich diese Regeln nach großen Errungenschaften an. Welche Auswüchse die Leistungskultur im Investmentbanking annimmt, wird dennoch schnell deutlich: „Ohne Zweifel ist unsere Industrie nur für sehr ambitionierte, hart arbeitende Menschen interessant“, sagt McGrath, der bei Barclays für das globale Talentmanagement zuständig ist. „Sie wissen, auf was sie sich einlassen. Unsere Pflicht ist es, ein Umfeld zu bieten, in dem ihr Ehrgeiz sich richtig entfalten kann.“ Gleichwohl sieht das Unternehmen auch die Notwendigkeit umzusteuern.

Denn viele Juniorbanker verschwinden nach drei bis fünf Jahren wieder. „Wir wollen, dass unsere Mitarbeiter so produktiv wie möglich arbeiten und folglich weniger Stunden im Büro verbringen“, sagt McGrath, „nur so werden wir die besten Talente langfristig an uns binden.“ Deshalb befragt Barclays alle sechs Monate die Mitarbeiter. Dabei können sie sowohl jene Chefs loben, die die Arbeitszeitregeln einhalten, als auch Vorgesetzte anschwärzen, die sich nicht um die Richtlinien kümmern. Denn letztlich sind die Führungskräfte diejenigen, die die Leistungskultur im Unternehmen prägen.

Je höher das Gehalt, desto mehr Überstunden
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„Solange die Partner durch ihre Zielvorgaben Druck erzeugen, hilft auch kein neues Karrieremodell“, sagt Professorin Graml. Dennoch gibt es Grund zur Hoffnung, denn die neue Generation zieht nun eben auch in die Chefetage ein. „Die Partner in meinem Alter haben selbst oft berufstätige Frauen“, sagt Anwältin Hidalgo. „Sie kämpfen mit den gleichen Problemen wie ihre Mitarbeiter.“ Hält der Kulturwandel an, dann würden sich künftig vielleicht auch Anwälte wie Münzberg trauen, mit richtigem Namen genannt zu werden – und zu ihrem Bedürfnis nach mehr Familienzeit zu stehen.

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