Geschlechter-Diskriminierung „Die Gerichte in Großbritannien setzen ganz andere Maßstäbe an“

Quelle: imago images

Eine Ex-Managerin der Commerzbank bekommt nach einem Gerichtsurteil in Großbritannien 340.000 Euro, weil sie bei einer Beförderung übergangen wurde. Die Arbeitsrechtlerin Kristina Walter erklärt, welche Summen in Deutschland möglich sind – und wie sich solche Fälle beweisen lassen.

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Nach dem Urteil eines Londoner Gerichts muss die Commerzbank einer ehemaligen Managerin dort mehr als 300.000 Pfund (340.000 Euro) Schadensersatz zahlen. Die Frau hatte dem Frankfurter Institut eklatante Diskriminierung nach der Rückkehr aus ihrer Elternzeit vorgeworfen: Sie sei bei der Beförderung übergangen worden und forderte 580.000 Pfund Schadensersatz.

Das Gerichtsverfahren zog sich über sechs Jahre hin. Die Bank teilt in einem Statement mit, sie befinde sich „in der Frühphase einer Berufung“. Ein seltener Fall, der in Deutschland so kaum denkbar wäre, sagt die Arbeitsrechtlerin Kristina Walter von der Kanzlei CMS Hasche Sigle.

WirtschaftsWoche: Frau Walter, wie ungewöhnlich ist es, dass es zu so einem Hauptverfahren und dann – nach sechs Jahren – zu einer so hohen Schadensersatzsumme kommt?
Kristina Walter: Für deutsche Verhältnisse ist das sehr ungewöhnlich. Die Hürden sind hoch. Für Großbritannien und den angloamerikanischen Bereich ist es weniger ungewöhnlich. Dabei muss man in beiden Rechtsräumen zwischen materiellen und immateriellen Schäden unterscheiden. Bei materiellen geht es meistens um Geld, also etwa den entgangenen Verdienst aufgrund einer Geschlechterdiskriminierung. Der immaterielle Schaden bezieht sich auf die Persönlichkeitsrechtsverletzung, die damit einhergeht.

Kristina Walter Quelle: PR

Zur Person

Wären so hohe Schadensersatzsummen in Deutschland denkbar?
Eher nicht, denn in Deutschland gibt es im Fall einer verbotenen Benachteiligung eine Kappungsgrenze für immaterielle Schäden. Die liegt bei drei Bruttomonatsgehältern. Tatsächlich aber setzen die Gerichte eine Entschädigung regelmäßig bei etwa 1,5 Bruttomonatsentgelten an. Weniger als das lässt sich kaum rechtfertigen. Eine Abweichung nach oben ist möglich, wenn ein höherer Verschuldungsgrad vorliegt. Das ist der Fall, wenn jemand gleich aus mehreren Gründen oder wiederholt unzulässig benachteiligt wurde oder der Verstoß nicht nur versehentlich erfolgte.

Die ehemalige Commerzbank-Managerin hat allein 25.000 Pfund für die Persönlichkeitsverletzung zugesprochen bekommen.
Genau, das heißt in Großbritannien „injury to feelings“. Es gibt drei Stufen mit Entschädigungssummen bis zu 42.000 Pfund. Daran sieht man, dass die Gerichte dort ganz andere Maßstäbe anlegen.

Gibt es in Deutschland auch für die materiellen Schäden eine Deckelung?
Nein, aber das Gericht muss über eine angemessene, verhältnismäßige Höhe der Entschädigung befinden.

In welchem Rahmen?
Das ist ganz unterschiedlich. Im Falle einer nicht erfolgten Beförderung wäre dies die Differenz zwischen der tatsächlich erhaltenen und der Vergütung, die auf der höherwertigen Stelle gezahlt wird.

Die großen Karriere-Irrtümer

Das Gericht in London sagt, die Klägerin „hätte eine 60-prozentige Chance auf eine Beförderung gehabt, wäre sie nicht diskriminiert worden“. Woran lässt sich diese Prozentzahl ermessen?
Das ist interessant. Die Klägerin hat gesagt: Die Wahrscheinlichkeit, befördert zu werden, lag bei 80 Prozent. Die Commerzbank ging von einer 25-prozentigen Chance aus. An der Stelle setzt sich das Gericht seitenlang mit unterschiedlichen Punkten auseinander. Es gab zwei interne Bewerber. Im Wesentlichen geht es darum, wer davon welche Voraussetzungen hatte. Am Ende aber entschied das Gericht, dass die Chance bei 60 Prozent lag, da aus seiner Sicht eine 40-prozentige Chance für die beiden internen Kandidaten bestand.

Eine Diskriminierung bei einer Beförderung liegt stark im Auge des Betrachters. Wie argumentieren, wie beweisen Sie das als Anwältin?
Das ist nicht so leicht. Die Beweislast liegt beim Arbeitnehmer. Dieser muss darlegen können, dass er durch die Benachteiligung einen materiellen Schaden erlitten hat. Auch wenn eine Bewerberin nicht eingestellt wurde und dagegen klagt, muss sie Indizien vortragen, dass sie die bestgeeignete Bewerberin ist – auf jeden Fall aber besser als die eingestellte Person.

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Haben Sie Tipps, was Frauen dokumentieren oder aufbewahren sollten, um im Fall der Fälle gut argumentieren und solche Indizien vorlegen zu können?
Wichtig ist immer, in den Dialog mit dem Arbeitgeber zu treten und die eigenen Bedürfnisse und Ambitionen nach der Elternzeit anzusprechen und mit den Erwartungen des Arbeitgebers abzugleichen. Viele Unternehmen haben inzwischen gute Lösungen für die Vereinbarkeit von Familie und Karriere. Im Kampf um Talente sind die Arbeitgeber darauf angewiesen. Sie wollen die Personen halten und nach der Elternzeit schnellstmöglich wieder zurückgewinnen. Dafür müssen sie gute Angebote machen.

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