Geschwister-Forschung Werden Erstgeborene eher Führungskräfte?

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Erstgeborene sind minimal intelligenter – und werden Ärztin oder Ingenieur. Und Jüngere machen was Kreatives? Welche Rolle die Geschwisterreihenfolge für die Karriere spielt und was ein Geschwisterforscher sagt.

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Eine Führungskraft berichtete kürzlich aus einem Managementseminar: „Wir Teilnehmer sollten uns anhand unserer Geschwisterposition im Raum aufstellen.“ Nur wenige waren, wie er, die Jüngsten in der Geschwisterreihenfolge – und die meisten Erstgeborene. Es drängt sich aus dieser Beobachtung die Frage geradezu auf: Werden also vor allem die ältesten Kinder später mal Chef – weil sie früh Verantwortung aufgetragen bekommen, sich gegen Eltern zuerst durchsetzen müssen?

Weit verbreitet ist die Annahme, dass die Reihenfolge der Geburt Einfluss auf unsere Persönlichkeit hat. So heißt es beispielsweise über die Jüngsten in der Familie häufig, sie seien abenteuerlustig, rebellisch, risikofreudig – kurzum, sie sind Draufgänger.

Geforscht wird seit über einem Jahrhundert dazu. Schon der Wissenschaftler und Schriftsteller Sir Francis Galton veröffentlichte 1874 ein Werk, in dem er feststellte, dass wichtige gesellschaftliche Positionen von Erstgeborenen besetzt werden.

Dass die Reihenfolge der Geburt die Persönlichkeit beeinflusst, wurde vor allem in den 1990er-Jahren von Frank Sulloway vertreten. Der amerikanische Psychologe entwickelte ein Modell der Familiendynamik, untersuchte dafür Lebensläufe von 10.000 Personen. Sulloway zufolge verfügten Erstgeborene über das Privileg, sich der Aufmerksamkeit der Eltern sicher sein zu können. Mittlere sind geborene Diplomaten, verhalten sich sozial. Jüngere Geschwister hingegen müssten sich erst ihre „Nische“ erkämpfen und dafür risikoreicher sein, werden zu Rebellen. Die Geschwisterreihenfolge präge die Persönlichkeit, so vereinfacht gesagt seine Schlussfolgerung.

Mittlerweile wird Sulloways Modell kritischer gesehen. Die Annahme, dass die Geschwisterreihenfolge die Persönlichkeit von Menschen prägt, gilt bis auf kleine Effekte als überholt. „Frühere Autoren haben den Einfluss der Geschwisterposition sehr plakativ dargestellt. So etwa wie: Erstgeborene sind schlauer und erfolgreicher. Das klammert aber viele weitere Faktoren aus“, erklärt Jürg Frick. Er ist Psychologe und forscht seit vielen Jahren zu Geschwistern. Ein erstgeborenes Kind könnte in seiner Rolle verantwortlich sein für jüngere Geschwister, dafür Anerkennung der Eltern bekommen, daran wachsen. „Es gibt Untersuchungen, die nahelegen, dass Erstgeborene eher Führungspositionen einnehmen“. Genauso gebe es aber viele Gegenbeispiele. Manche älteren Kinder wehren sich gegen die Rolle, leiden unter der Zuschreibung, gehen in Opposition zu den Eltern.

Jeder, wie er kann: Sieben Führungsstile

Auch Frick hat für Seminare Personen gebeten, sich anhand ihrer Geschwisterposition zu sortieren. Spannend, erzählt er, sei immer, wenn sich Teilnehmende dann austauschen. „Manche Sandwichkinder sagen, es sei die schlechteste Position – Druck von oben und unten“. Andere sagten, es sei die beste, sie hätten die jeweiligen Vorteile genossen. „Es hängt also nicht von der Position ab, sondern wie sie subjektiv wahrgenommen wird und was Personen daraus machen. Das ist der Schlüsselpunkt, um Geschwister zu verstehen.

Nesthäkchen sind keine Rebellen, Erstgeborene minimal intelligenter

Die Annahme, Letztgeborene seien Rebellen, wurde beispielsweise 2019 durch ein Forscherteam und drei große Datenanalysen widerlegt. „Die These, dass die Dynamik in der Familie, die wiederum durch die Geburtsreihenfolge geprägt sein könnte, die Risikobereitschaft beeinflusst, scheint durchaus intuitiv und plausibel“, sagte Ralph Hertwig, Direktor des Forschungsbereichs Adaptive Rationalität am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung und Mitautor der Studie. Doch weder in Umfragen, noch in Versuchen, noch in Stichproben historischer und risikoaffiner Persönlichkeiten, ließen sich Hinweise für die Annahme finden.

Auch dass Erstgeborene schlauer und durchsetzungsfähiger sind, können Studien nicht bestätigen. Forscher der Universitäten Mainz und Leipzig veröffentlichten vor einigen Jahren eine große Studie, für die sie die Daten von über 20.000 Erwachsenen aus Deutschland, USA und Großbritannien analysierten. Dabei zeigte sich für alle drei Länder, dass wichtige Persönlichkeitseigenschaften nicht mit der Geschwisterposition zusammenhängen. Lediglich bei der Selbsteinschätzung des Intellekts fanden sich minimale Unterschiede: Erstgeborene berichteten beispielsweise häufiger, über einen großen Wortschatz zu verfügen und abstrakte Ideen gut begreifen zu können. Zwar sinke die durchschnittliche Intelligenz vom Erst- zum Letztgeborenen leicht. Dieser Effekt auf die Intelligenz lasse sich in großen Stichproben zuverlässig finden, sei aber auf der individuellen Ebene wenig aussagekräftig, erklärte Studienautor Stefan Schmukle. Denn wenn man zwei Geschwister vergleicht, hätte dennoch in über 40 Prozent der Fälle das später geborene den höheren IQ. „Und die gefundenen Effekte sind so klein, dass es zweifelhaft ist, ob sie für den Lebensweg bedeutsam sind.“

Fürsorge der Eltern: Über exklusive Aufmerksamkeit

Dass verschiedene Geschwisterpositionen mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen einher gehen, das sehen Forscher also nicht. Dass die Rollen in der Geschwisterkonstellation dennoch Auswirkungen auf Ausbildung und Berufslaufbahn haben, dafür sprechen andere Ergebnisse. Beispielsweise fanden Forscher des Max-Planck-Instituts für demografische Forschung 2017 heraus, dass Erstgeborene mit höherer Wahrscheinlichkeit renommierte Fächer wie Medizin oder Ingenieurwesen studieren. Die Forscher untersuchten dafür Daten von 146.000 schwedischen Studierenden.

Jüngere Geschwister entscheiden sich demnach eher für Journalismus, Lehramt oder Kunst. Die Ergebnisse legten nahe, dass Eltern mehr in ihre zuerst geborenen Kinder investieren als in die folgenden, begründete der Bevölkerungsforscher Kieron Barclay die Ergebnisse. Das scheine Unterschiede in den Fähigkeiten und Ambitionen der Kinder sogar innerhalb der Familie zu bewirken.

Dabei unterscheide sich nicht lediglich das erste Kind von allen darauffolgenden, sagt Barclay. Vielmehr nähmen die Verschiedenartigkeiten mit dem Rang in der Geburtenreihenfolge zu: „Zum Beispiel ist relativ gesehen die Wahrscheinlichkeit für ein zweites Kind, Medizin zu studieren, um 27 Prozent kleiner als für das erste Kind. Und der Unterschied zwischen dem ersten und dem dritten Kind beträgt sogar 54 Prozent.“ Ebenso fanden die Forscher heraus, dass beispielsweise die Wahrscheinlichkeit zweiter Kinder, Kunst zu studieren, 27 Prozent höher ist als die des ersten Kindes, während der Unterschied zwischen dem drittgeborenen Kind und dem ältesten Geschwister schon 36 Prozent beträgt.

Zwar hätten die früher geborenen Kinder bessere Schulnoten. Doch auch wenn die Wissenschaftler diesen Effekt herausrechneten, blieben die unterschiedlichen Neigungen bei der Wahl des Studienfachs bestehen, heißt es in der Studie.

Warum die Vorlieben unter Geschwistern bei der Berufswahl unterschiedlich sind, haben die Forscher dabei nicht untersucht. Allerdings scheine wieder die Fürsorge der Eltern eine Rolle zu spielen. So profitierten die zuerst Geborenen exklusiv von der vollen Aufmerksamkeit der Eltern, so lange sie das einzige Kind sind – das gebe ihnen einen Vorsprung.

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Geschwisterforscher Frick wiederum wünscht sich mehr qualitative Langzeitstudien. So könnten Einzelfälle besser untersucht werden. Denn: „Manchmal spielen Geschwister eine zentrale Rolle. Manchmal sind sie ein kleiner Einflussfaktor. Aber in der Regel haben Geschwister doch einen erheblichen Einfluss, weil sie über lange Jahre wichtige Beziehungspartner darstellen.“

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