Viele Zeitungen und Magazine haben Ressorts, die sich mit der Berufswelt beschäftigen - auch die WirtschaftsWoche. Dort wollen wir den Lesern zeigen, wie sie etwas erreichen können, was jeder anstrebt: Erfolg.
Dieses Anliegen ist durchaus legitim. Der große Raum, der den angeblichen Wegen zum Erfolg in den Medien gegeben wird, zeigt seine besondere Bedeutung in modernen Gesellschaften. Denn all diese Texte wollen ja nicht nur helfen, sondern sie bestätigen allein durch ihre Existenz auch, dass es gut und richtig ist, stets nach Erfolg zu streben. In einem eigens aktuellen Sonderband der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift „Leviathan“ schreibt Sighard Neckel deshalb sogar von einer „Pflicht zum Erfolg“.
Man kann dieser Pflicht kaum noch entkommen. Keine gesellschaftliche Domäne scheint übrig zu sein, in der man nicht unbedingt erfolgreich zu sein hat. Ein Arbeitgeber, der keine „Aufstiegsmöglichkeiten“ anbieten kann, hat bei Bewerbern keine Chance. Selbst Hobbys bleiben nicht verschont: „Grundregeln erfolgreichen Kochens“ will ein Buch vermitteln. Dank eines anderen Ratgebers kann man „Erfolgreich gärtnern durch Mischkultur“ lernen. Doch es gibt ein Problem.
Der Erfolg des Einen ist immer das Scheitern eines Anderen. Erfolg ist immer relativ. Wenn von Erfolg die Rede ist, dann geht es darum, dass jemand seinen Status verbessert, indem er sich gegen Konkurrenten durchsetzt. Erfolg als Leitmotiv macht das Leben zum Verdrängungswettbewerb.
Na und? War das nicht immer so?
Ja, einerseits. Erfolg und Misserfolg, Sieger und Verlierer gibt es immer dort, wo Menschen zusammen arbeiten und leben. An den feudalen Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts herrschte ein Verdrängungswettbewerb der Höflinge um die Gunst des Herrschers, der mit den Machtspielen in den Führungsetagen von Großkonzernen oder Volksparteien gut vergleichbar ist.
Doch andererseits gibt es einen Unterschied. Der Erfolg war nicht immer der dominierende Treibstoff menschlichen Handelns, zumindest nicht so alternativ- und lückenlos bis in die letzten Ritzen des sozialen Lebens wie heute.
Es gab gesellschaftliche Systeme, in denen der Verdrängungswettbewerb nicht der Modus des Zusammenlebens war. Im Mittelalter zum Beispiel die Klöster. Und in der Neuzeit die Universitäten.
Erfolg, der sich an irgendeinem messbaren finanziellen Ertrag bemisst, ist für Wissenschaftler nicht der Antrieb des Handelns. Zumindest entspricht das nicht dem hergebrachten Ethos der akademischen Gemeinde.
Geteilte Ideale
Gesellschaftliche Anerkennung bietet natürlich auch die Wissenschaft. Aber sie ist nicht in erster Linie Schauplatz eines Verdrängungswettbewerbs zwischen Konkurrenten, sondern eines Wettstreits auf der Basis geteilter Ideale - und mit einem gemeinsamen Ziel: Erkenntnisgewinn. Der ist nicht messbar und nicht exklusiv - und daher produziert er keine Sieger und Verlierer. Albert Einstein, Niels Bohr oder Werner Heisenberg wären sicher nie auf die Idee gekommen, eine Rangliste Ihrer Universitäten zu erstellen.
Das ändert sich erst jetzt durch die Bologna-Reformen, die das Steigern der Drittmittel und Studentenzahlen zum entscheidenden Maßstab des Handelns an den Universitäten erklären.
Wissenschaftsfremde Kriterien.
Der Professor, den Bologna sich wünscht, ist nicht mehr in erster Linie am Erkenntnisfortschritt orientiert, sondern am Erfolg. Und der soll durch nichts anderes als einen messbaren Ertrag begründet sein.
Parteien als Erfolgsmaschinen
Der zunehmende Zwang zum Erfolg zersetzt nicht nur in den Universitäten althergebrachte Kulturen der Anerkennung. Besonders weit fortgeschritten ist dieser Prozess auch in den Volksparteien. Vor allem die CDU ist mittlerweile zu einer Erfolgsmaschine verkommen, in der die Logik des Ertrages (konkret: Wählerstimmen und Regierungsfähigkeit) die letzten Reste an Überzeugungen aufgelöst hat. Anerkennung erhält in solch einer Partei, wer ihr und damit sich selbst Erfolg verschafft. Ein anderes Motiv ist nicht mehr vorgesehen.
Organisationen, die sich auf solche Weise selbst ihren Wesenskern amputieren, brechen irgendwann als leere Hülle in sich selbst zusammen. Denn ohne ein Fundament an Idealen, das die Mitglieder eint, verlieren sie jede Legitimation.
Wer soll sich für eine Partei interessieren, deren Politiker sich erkennbar nur dem eigenen Erfolg verschrieben haben?
In den Wahlprogrammen der Politiker wird der Erfolg daher nicht gepredigt – so erfolgsbesessen ihr Handeln auch ist. Der Erfolgskult ist unbrauchbar für die politische Kommunikation, weil er keine integrierende Kraft hat. Er schafft kein "Wir", sondern sortiert ständig Gescheiterte aus. Aber auch die sollen schließlich wählen.
Wahlkämpfer und Leistungsträger
Umso mehr umschwärmen Wahlkämpfer die „Leistungsträger“, zu denen sich fast jeder Wähler zählen kann, egal ob erfolgreich oder gescheitert. Doch je lauter die Politik die Leistung feiert, desto deutlicher wird, dass Leistung nicht mehr das ist, was sie für freiheitliche Gesellschaften einmal war: die Norm, die über Erfolg und Misserfolg entscheiden soll.
Innerhalb von Wirtschaftsunternehmen sind Leistungen bis zu einem gewissen Grad noch glaubwürdig als Basis des Erfolgs – neben der Selbstdarstellung. Doch für die gesamte Gesellschaft gilt das längst nicht mehr.
Nichts anderes hat im Grunde auch der neue Star-Ökonom Thomas Piketty in seinem viel beachteten Buch über das Kapital im 21. Jahrhundert festgestellt: Allenfalls in den Jahrzehnten nach den Weltkriegen erschien ökonomischer Erfolg als Anerkennung objektivierbarer Leistungen.
„In der Gesellschaft der Gegenwart“, stellt Soziologe Neckel fest, „haben wir es vielfach mit leistungslosen Vorteilen zu tun, die Akteuren Erfolge gewähren.“
Ohne eigene Leistung
Die historisch einmalige Erbschaftswelle zum Beispiel sorgt für eine Oberschicht der unverdient Vermögenden, die sich den Erfolg auch ohne eigene Leistung kaufen können. Aber auch die öffentlich sichtbarsten Erfolgreichen - ob Fußballprofis oder Hollywood-Stars - erbringen wohl kaum Leistungen, die ihre Millioneneinkünfte glaubwürdig rechtfertigen können.
Für den Erfolg zählt nur mehr der Output, der Ertrag, das Ergebnis - und nicht die Anstrengung.
Besonders offensichtlich wird das an der Beliebtheit von Casting-Shows wie „Germanys Next Top Model“ oder „Deutschland sucht den Superstar“. In ihnen wird ein „gehaltloser Erfolg“ zelebriert, wie Olivier Voirol und Cornelia Schendzielorz in einem gleichnamigen Aufsatz im "Leviathan" feststellen.
Die Wettbewerbe, die Heidi Klum und Dieter Bohlen da veranstalten, kommen ohne jegliche Leistungskriterien aus. Die Gunst des Publikums beziehungsweise die abstrusen Urteilssprüche der allmächtigen Heidi entscheiden über Erfolg oder Scheitern.
Losgelöst vom Leistungsträger
Mittlerweile können wir uns – obwohl uns die Politik anderes einreden will – kaum noch Illusionen machen: Nicht nur Heidis Top-Models, sondern auch die Supererfolgreichen der Gegenwart sind völlig losgelöst vom Leistungsprinzip. Ob sie nun geerbt haben wie die Quandts, Tennis spielen können wie Boris Becker oder durch die Erfindung von Facebook in zehn Jahren 26 Milliarden Dollar verdient haben. Jegliche Vergleichbarkeit mit den normalen „Leistungsträgern“, die die Parteien in ihren Wahlprogrammen ansprechen, ist da hinfällig geworden.
„Die Einkünfte der Oberschichten stehen so allein wie einst der feudale Reichtum in vorbürgerlichen Zeiten“, stellt Neckel fest. Die wirklich großen Erfolge sind durch keine allgemein akzeptierte Norm mehr zu rechtfertigen – außer durch den Erfolg selbst.
Und der Einzelne? Was bedeutet das Leitmotiv Erfolg für die Menschen, die ihm folgen?
Das Leben wird zum Kampf als Dauerzustand. Je radikaler der Erfolgszwang, desto mehr wird der ihm folgende Mensch vom Gemeinschaftswesen wieder zum Wolf, zu Hobbes‘ „homo homini lupus“. Und der Stress ist sein unzertrennlicher Begleiter.
Seinen erkämpften Wohlstand, den Ruhm und die Freiheiten kann der Erfolgsmensch nie wirklich genießen. Denn die Konkurrenten schlafen nicht und ihr Erfolg bedeutet eigenes Scheitern.
Das totale Streben nach Erfolg schafft somit neue Abhängigkeiten. Denn wer Erfolg haben will, liefert sich dem Werturteil anderer aus – Kunden, Vorgesetzten, Wählern oder den Fernsehzuschauern einer Talentshow.
Dieses „Regime der Fremdbewertung“, wie es Neckel nennt, vereinnahmt die gesamte Persönlichkeit, wenn ihm keine Grenzen gesetzt werden. Wer in einem Unternehmen aufsteigen will, muss sich ihm mit Leib und Seele verschreiben. „Hyperinklusion“ ist, wie die Ökonomin Philine Erfurt Sandhu in einer Untersuchung zeigt, ein entscheidendes Erfolgskriterium in Unternehmen.
Erfolg haben daher gerade jene selbstoptimierten „High Potentials“, deren einziger Maßstab nur noch ein inhaltsleerer Wille zum Erfolg ist. Der Schriftsteller Philipp Schönthaler stellt sie in seinem trostlosen Roman „Das Schiff das singend zieht auf seiner Bahn“ vor.
Wie man sich dem totalen Erfolgsdogma entzieht, ist üblicherweise kein Thema der Ratgeber-Literatur. Vielleicht ist das eine der letzten Lücken auf diesem Markt.
Immun gegen den selbstentfremdenden Erfolgsdruck machen wohl zwei Güter.
Entweder eine finanzielle Ausstattung, die so üppig ist, dass einem Erfolg gar nichts bedeuten muss, weil man ihn ohnehin in die Wiege gelegt bekommt. Simone Bagel-Trah muss dank ihrer Vorfahren keine Erfolgs-Ratgeber lesen.
Und die Nicht-Erben? Ihnen steht zumindest der Erwerb kulturellen Kapitals frei - als Schutzhaut gegen übergriffige Dogmen jeder Art.
Der Weg dahin ist Bildung – nicht Ausbildung! Sie kann unbezahlbaren Gewinn bescheren.
Und der ist über alle Werturteile anderer Menschen erhaben.