Gesellschaftliche Debatte Der Zwang zum Erfolg macht uns fertig

Erfolg ist das einzige Motiv allen Handelns geworden. Doch eine Gesellschaft, die sich pausenlos selbst in Sieger und Verlierer aufteilt, zerstört Organisationen - und entmündigt die Menschen. Ein Plädoyer wider den Erfolgskult.

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Quelle: imago / mausolf

Viele Zeitungen und Magazine haben Ressorts, die sich mit der Berufswelt beschäftigen - auch die WirtschaftsWoche. Dort wollen wir den Lesern zeigen, wie sie etwas erreichen können, was jeder anstrebt: Erfolg.

Dieses Anliegen ist durchaus legitim. Der große Raum, der den angeblichen Wegen zum Erfolg in den Medien gegeben wird, zeigt seine besondere Bedeutung in modernen Gesellschaften. Denn all diese Texte wollen ja nicht nur helfen, sondern sie bestätigen allein durch ihre Existenz auch, dass es gut und richtig ist, stets nach Erfolg zu streben. In einem eigens aktuellen Sonderband der sozialwissenschaftlichen Zeitschrift „Leviathan“ schreibt Sighard Neckel deshalb sogar von einer „Pflicht zum Erfolg“.

Man kann dieser Pflicht kaum noch entkommen. Keine gesellschaftliche Domäne scheint übrig zu sein, in der man nicht unbedingt erfolgreich zu sein hat. Ein Arbeitgeber, der keine „Aufstiegsmöglichkeiten“ anbieten kann, hat bei Bewerbern keine Chance. Selbst Hobbys bleiben nicht verschont: „Grundregeln erfolgreichen Kochens“ will ein Buch vermitteln. Dank eines anderen Ratgebers kann man „Erfolgreich gärtnern durch Mischkultur“ lernen. Doch es gibt ein Problem.

Der Erfolg des Einen ist immer das Scheitern eines Anderen. Erfolg ist immer relativ. Wenn von Erfolg die Rede ist, dann geht es darum, dass jemand seinen Status verbessert, indem er sich gegen Konkurrenten durchsetzt. Erfolg als Leitmotiv macht das Leben zum Verdrängungswettbewerb.

Na und? War das nicht immer so?

Ja, einerseits. Erfolg und Misserfolg, Sieger und Verlierer gibt es immer dort, wo Menschen zusammen arbeiten und leben. An den feudalen Fürstenhöfen des 18. Jahrhunderts herrschte ein Verdrängungswettbewerb der Höflinge um die Gunst des Herrschers, der mit den Machtspielen in den Führungsetagen von Großkonzernen oder Volksparteien gut vergleichbar ist.

Doch andererseits gibt es einen Unterschied. Der Erfolg war nicht immer der dominierende Treibstoff menschlichen Handelns, zumindest nicht so alternativ- und lückenlos bis in die letzten Ritzen des sozialen Lebens wie heute.

Es gab gesellschaftliche Systeme, in denen der Verdrängungswettbewerb nicht der Modus des Zusammenlebens war. Im Mittelalter zum Beispiel die Klöster. Und in der Neuzeit die Universitäten.

Erfolg, der sich an irgendeinem messbaren finanziellen Ertrag bemisst, ist für Wissenschaftler nicht der Antrieb des Handelns. Zumindest entspricht das nicht dem hergebrachten Ethos der akademischen Gemeinde.

Geteilte Ideale

Gesellschaftliche Anerkennung bietet natürlich auch die Wissenschaft. Aber sie ist nicht in erster Linie Schauplatz eines Verdrängungswettbewerbs zwischen Konkurrenten, sondern eines Wettstreits auf der Basis geteilter Ideale - und mit einem gemeinsamen Ziel: Erkenntnisgewinn. Der ist nicht messbar und nicht exklusiv - und daher produziert er keine Sieger und Verlierer. Albert Einstein, Niels Bohr oder Werner Heisenberg wären sicher nie auf die Idee gekommen, eine Rangliste Ihrer Universitäten zu erstellen.

Das ändert sich erst jetzt durch die Bologna-Reformen, die das Steigern der Drittmittel und Studentenzahlen zum entscheidenden Maßstab des Handelns an den Universitäten erklären.

Wissenschaftsfremde Kriterien.

Der Professor, den Bologna sich wünscht, ist nicht mehr in erster Linie am Erkenntnisfortschritt orientiert, sondern am Erfolg. Und der soll durch nichts anderes als einen messbaren Ertrag begründet sein. 

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