Gewandhausorchester "Zwischen Boston und Leipzig besteht eine Atlantik-Brücke"

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Investitionen ins Orchester bringen der Stadt Geld ein

Und? Was, wenn es so wäre? Den meisten Leipzigern wäre es vermutlich egal – auch wenn der Oberbürgermeister sagt, ihr Orchester sei „das kostbarste, was Leipzig weltweit als Stadt zu bieten hat.“ 

Das Orchester ist in Leipzig hervorragend verankert. Wir haben sehr konstant 12.800 Abonnenten, freuen uns über eine Auslastung von 96 Prozent, sind der wichtigste musikalische Botschafter der Stadt. Leipzig steht zu seinem Orchester…

… und subventioniert es 2015 mit 17,3 Millionen Euro.

Wir wissen um unsere Privilegien, gerade in Zeiten knapper werdender Kassen. Aber wir wissen auch, dass wir eine ziemlich hohe Eigenfinanzierungsquote haben. Sie liegt zwischen 51 und 53 Prozent. Hinzu kommt, dass wir mit 185 Musikern das Konzerthaus, die Oper und die Kirche bespielen. Das heißt: Wir sind nicht nur das größte Orchester in Deutschland. Sondern auch das Orchester mit den am meisten beschäftigten Musikern.

Gleichwohl: Die Relevanz von Klassischer Musik versteht sich nicht mehr von selbst. Es gibt heute viele Menschen, die sich ein Leben ohne Mozart, Schubert, Wagner vorstellen können.

Die Frage der Förderung von Kunst und Kultur ist fast zu einem politischen Modethema geworden. Gut daran ist, dass wir dadurch zum Nachdenken über uns selbst gezwungen werden: Warum ist wichtig, was wir tun?

Nun?

Erstens: Musikalische Bildung. Unsere Schulen können oder wollen das nicht mehr leisten. Wir schon. Wir gehen in die Schulen, laden Kinder zu uns ein, verbinden Hochkultur mit städtischer Alltagskultur. Zweitens: Imagetransfer. Schauen Sie sich das Ruhrgebiet an, das seine Attraktivität, auch für Investoren, vor allem durch großzügige Kulturinvestitionen wieder gewonnen hat.

Drittens: Arbeitsplätze. Der Beschäftigungsmarkt der Kultur- und Kreativwirtschaft lag 2011 mit rund 720.000 abhängig Beschäftigten fast auf gleicher Höhe mit der Automobilindustrie mit 770.000 abhängig Beschäftigten. Viertens: Umwegrentabilität. Eine neue Studie, die die ökonomischen Effekte von Veranstaltungsbesuchen im Gewandhaus erhebt, kommt zu dem Schluss: Jeder ins Orchester investierte Euro bringt der Stadt über Hotels und Restaurants knapp 2,50 Euro ein.

Und um die Akzeptanz des Gewandhausorchesters dauerhaft zu sichern, überlegen Sie nun, den Eigenbetrieb der Stadt in eine Stiftung zu überführen? Was schwebt Ihnen da vor? 

Mir gefällt die Praxis in den Vereinigten Staaten. Dort engagieren sich vermögende Menschen, um Institutionen – Krankenhäuser, Universitäten, Orchester – zu unterstützen. Davon können wir uns etwas abgucken. In Deutschland werden in den nächsten Jahren zwei bis drei Billionen Euro vererbt – Geld, das sinnvoll angelegt werden will. Einen klitzekleinen Teil möchte ich versuchen, in Richtung Gewandhaus zu leiten.

Wir wollen 16 bürgerstolze Persönlichkeiten gewinnen, die bereit sind, 16 Millionen Euro zu stiften – Persönlichkeiten, die sich als ideelle Erben der 16 Kaufleute verstehen, die unser Haus 1743 gegründet haben. Verbunden wäre das Engagement mit der Verpflichtung von Stadt und Land, jeweils den gleichen Betrag, also noch einmal 32 Millionen, in die Stiftung einzubringen.

48 Millionen Euro Stiftungskapital – das hieße bei zwei Prozent Zinsen knapp eine Million Euro pro Jahr. Nicht gerade viel angesichts eines Etats von rund 40 Millionen Euro. 

Aber genug, um den Zuschuss der Stadt ans Gewandhaus einfrieren zu können. Die Stadt gewänne dadurch nicht nur Planungssicherheit, sondern könnte die nachhaltig eingesparte Million zum Beispiel in die freie Kulturszene fließen lassen, die sich seit Jahren stiefmütterlich behandelt fühlt. Das jedenfalls wäre unser Vorschlag: eine Win-win-Situation für die Stadt, das Gewandhaus, die freie Szene – und alle Leipziger Bürger. 

Und damit wollen Sie den Kämmerer überzeugen, über den jährlichen Zuschuss hinaus, einmalig 16 Millionen Euro locker zu machen?

Warum nicht? Auch für die Stadt lohnt es sich, wenn wir ihr Kapital und die Sponsorengelder nicht nur verbrauchen, sondern auch anlegen. Wir wollen eigenständiger werden, uns unabhängiger machen von Einsparungen, unsere Eigenfinanzierungsquote noch einmal anheben und langfristig mit weniger Zuschuss von Stadt und Land auskommen – auf der Grundlage eines wachsenden Kapitalstocks. 

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