Wie wollen Sie die 16 Kaufleute gewinnen?
Indem wir sie bei der Kaufmannsehre packen. Und indem wir die 16 Namen in besonderer Weise vor uns hertragen. Wir werden die Stifter oft erwähnen, sie mit auf Tournee nehmen, sie vielleicht auch zu einem Netzwerk verbünden, das sich über gesellschafts- und kulturpolitische Themen austauscht, in der Stadt Gewicht haben wird. Wenn wir „nur“ ein Leipziger Klangkörper wären, wäre das sicherlich nicht leicht. Aber weil wir ein globales Unternehmen sind und das Gewandhausorchester durch die ganze Welt tourt, bin ich vorsichtig optimistisch, dass wir unser Ziel erreichen: Die Stiftung Gewandhaus im Jahre 2018.
Ein Jubiläumsjahr.
Richtig. Am 11. März 2018 wird das Orchester 275 Jahre alt.
Ein stolzes Alter. Ein stolzes Orchester. Eine urbürgerliche Institution – allerdings in einer nachbürgerlichen Zeit. Nehmen wir mal an, Sie gewinnen die 16 Kaufleute für ihre Stiftung. Die Leipziger selbst haben Sie damit noch nicht gewonnen.
Ich weiß. Kultur genießt nicht mehr den Stellenwert wie noch vor 50 oder 100 Jahren. Sie konkurriert mit unendlichen vielen Anbietern der Zeitverbringung um Aufmerksamkeit, und sie steht im Vergleich mit anderen Angeboten – Internet, Fernsehen, Computerspiele etc. – nicht immer rosig da.
Weshalb ihre enormen Kosten für den Steuerzahler heute begründungspflichtiger denn je sind. Warum ist Kultur, vor allem die Oper, so teuer?
Weil wir Hand- und Wertarbeit bieten. Man muss sich die Herstellung von Klassischer Musik und Oper vorstellen wie in einer Manufaktur. Nur stellen wir nicht Maschinen oder Schrauben her, sondern Bühnenbilder, Kostüme, Musik – mit Werkzeug, Körper, Stimme, Instrument. Und so was kostet Geld – viel Geld. Ich bin sehr dafür, unsere Kundschaft durch Schwellensenkungen – Früh- und Spätkonzerte, Lounge-Abende in Clubs, Musikvermittlung für Kinder… – da abzuholen, wo sie ist.
Andererseits halte ich unsere Konzertkultur nur dann für überlebensfähig, wenn auch das Publikum die Kraft, das Geld und auch das Interesse aufbringt, sie an ihrem genuinen Ort aufzusuchen: im Konzertsaal. Kultur kann nur funktionieren, wenn beide, Produzenten und Rezipienten, sich auf Augenhöhe begegnen. Es bringt nichts, sich anzubiedern. Und es wäre falsch, künstlerische Wertarbeit künstlich verbilligen zu wollen.
Der Konzertbetrieb ist in der Krise, heißt es allerorten, weil Musik nicht modern präsentiert wird.
Ich weiß nicht. Konzert- und Opernhäuser bieten doch heute schon fast alles an, was man sich ausdenken kann. Nie waren die Türen und Tore der Kulturanbieter weiter geöffnet. Es gibt Einführungen, moderierte Konzerte, Ein-Stunden-Formate, Vogelfänger-Veranstaltungen für Kinder- und Jugendliche… Alles schön und gut. Am Ende aber hat die Musik das letzte Wort. Sie muss für sich sprechen. Das gemeinsame Hören, die Präsenz der Musik auf dem Podium, im Raum – das ist immer noch ein großartiges Erlebnis. Man muss sich diesem Erlebnis nur aussetzen wollen.
Sie lehnen die Eventisierung des Konzertbetriebs ab?
Events sind okay. Ein Nummernprogramm mit einer tollen Sängerin, Open Air, vor 50 000 Zuschauern – warum nicht. Aber eine Eventisierung um jeden Preis? Nein. Ein Orchester muss seinen Wert auch behaupten.
Und vermarkten. Die Berliner Philharmoniker und die Metropolitan Opera in New York gehen da mit innovativen Ideen stramm voran.
Die Digital Concert Hall ist sensationell. Was die Berliner Kollegen, sehr großzügig unterstützt von der Deutschen Bank, der Musikwelt da vorgemacht haben, ist praktisch nicht mehr einholbar. Jahresabonnements für das Live-Streaming von Konzerten in hoher Tonqualität plus Zugriff auf ein riesiges Konzertarchiv – besser kann man eine globale Musikmarke nicht prägen. Die Berliner haben rund um die Uhr ein weltweites Publikum, mit der Folge, dass ihre Tourneekonzerte in Japan oder in den USA geradezu herbeigewünscht werden. Aber bitte: Dahinter steht ein hoher Millionenbetrag, ein riesiges Team, eine eigene Firma…
Auch die Met profitiert von der Digitalisierung. Sie bringt ihre Opernaufführungen in die Kinos der Welt.
Auch das eine geniale Idee. Ich glaube allerdings nicht, dass ein Kino-Konzert so gut funktionieren kann wie eine Kino-Oper. Deshalb gilt: Jeder muss seine Schwerpunkte setzen. Wir in Leipzig zum Beispiel haben mit dem Leipziger Label Accentus alle Mahler-Sinfonien für DVD produziert – in Kooperation mit dem Leipziger Künstler Neo Rauch, der für jedes Cover des Zyklus ein Bild gemalt hat.
Darüber hinaus haben wir den Exklusivvertrag von Riccardo Chailly mit der Decca genutzt, um mit beispielhaften Einspielungen Furore zu machen. Sie haben sich auch deshalb glänzend verkauft, weil wir das Erscheinen der CDs mit internationalen Tourneeterminen abgestimmt haben. Jetzt müssen wir umdenken. Bevor Andris Nelsons 2017 antritt, werden wir uns intensiv mit dem Thema Audio-Streaming beschäftigen. Vielleicht versuchen wir es mit einer eigenen Plattform, vielleicht gründen wir ein eigenes Label. Mal sehen.