Gleichberechtigung Kluge Anleitung für eine geschlechtergerechte Welt

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Welche Gründe für Ungleichheit stimmen wirklich?

Domscheit-Berg, die selbst Politikerin der Piratenpartei war, beschreibt auch die geringe Beteiligung von Frauen in der Politik, zeigt sachlich die Männerdominanz in Behörden, Gremien und Ministerien auf. Selbst in den Medien fehlen Frauen an der Spitze. Vieles hat man schon gelesen, andere Daten dagegen sind selbst versierten Feministinnen neu. Zugleich überfrachtet die Autorin die Leserinnen und Leser nicht mit Studienergebnissen.

Alt, deutsch, männlich
Wie eine aktuelle Studie des „Board Diversity Index“ des Centrums für Strategie und Höhere Führung zur Diversität in Aufsichtsräten zeigt, sind die Positionen der Kapitalseite auch zum Ende des Jahres 2014 beinahe zu 80 Prozent mit Männern besetzt. Es dominieren die Über-60-Jährigen (63 Prozent), die Vertreter mit deutschem Pass (72 Prozent) und wirtschaftswissenschaftlichem Studium (47 Prozent). Quelle: dpa
Platz 16: HenkelDer Konsumgüterhersteller Henkel hat sich besonders in der Kategorie Geschlechterquote verbessert. Neben den fünf Männern sitzen auch drei Frauen im Aufsichtsrat von Henkel. In den übrigen Kategorien sieht es etwas schlechter aus. Bedenklich ist die Position von Theo Siegert. Der Betriebswirt sitzt nämlich nicht nur bei Henkel im Aufsichtsrat. Auch bei der Deutschen Bank, Ergo, Merck KGaA, DKSH Holding, Merck KG und Eon muss er Aufsichtspflichten nachgehen. Ob das angesichts der Menge an Mandaten möglich ist, bleibt fraglich.GeschlechtNationalitätenAusbildungAltersklassenfünf Männer, drei FrauenDeutschland (sechs Mal)Wirtschaftswissenschaften (4,5 Mal)dreiSchweiz (ein Mal)Ingenieurswissenschaften (0,5 Mal)Frankreich (ein Mal)Naturwissenschaften (drei Mal) Quelle: dpa
Platz 17: AdidasDer Sportartikelhersteller aus Herzogenaurach kann außer in der Kategorie Altersklassen in keiner anderen wirklich überzeugen. Vor allem die Internationalität lässt zu Wünschen übrig. GeschlechtNationalitätenAusbildungAltersklassenvier Männer, zwei FrauenDeutschland (fünf Mal)Wirtschaftswissenschaften (vier Mal)vierFrankreich (ein Mal)Geisteswissenschaften (ein Mal)Sonstiges (ein Mal) Quelle: dpa
Platz 18: BASFBei BASF merkt die BDI-Studie die Altersstruktur des BASF-Aufsichtsrats kritisch an. Waren es 2013 noch drei Altersklassen, sitzen derzeit nur noch Mitglieder aus zwei Altersklassen im Aufsichtsrat des Chemiekonzerns. Diese sind zudem mit 50 bis 60 Jahren vergleichsweise alt.GeschlechtNationalitätenAusbildungAltersklassenvier Männer, zwei FrauenDeutschland (vier Mal)Wirtschaftswissenschaften (zwei Mal)zweiLuxemburg (ein Mal)Rechtswissenschaften (ein Mal)USA (ein Mal)Ingenieurswissenschaften (ein Mal)Naturwissenschaften (zwei Mal) Quelle: DAPD
Platz 19: MerckBei Merck mangelt es im Aufsichtsrat an Internationalität. Deutsche und Schweizer teilen sich die Mandate. Eine schwache Diversität gibt es auch hinsichtlich der Geschlechterquote. Neben sechs Männern beaufsichtigen lediglich zwei Frauen die Vorstandsentscheidungen bei Merck.GeschlechtNationalitätenAusbildungAltersklassensechs Männer, zwei FrauenDeutschland (7,5 Mal)Wirtschaftswissenschaften (drei Mal)dreiSchweiz (0,5 Mal)Naturwissenschaften (zwei Mal)Medizin/Psychologie (zwei Mal)Sonstiges (ein Mal) Quelle: dpa
Platz 20: RWEBeim deutschen Energiekonzern RWE dominieren die Männer den Aufsichtsrat. Zwischen neun Männern findet man nur eine Frau dort vor. Vorsitzender des Aufsichtsrat ist Manfred Schneider (links), der außerdem auch bei Linde Aufsichtsratsvorsitzender ist.GeschlechtNationalitätenAusbildungAltersklassenneun Männer, eine FrauDeutschland (neun Mal)Wirtschaftswissenschaften (2,5 Mal)dreiÖsterreich (ein Mal)Rechtswissenschaften (drei Mal)Ingenieurswissenschaften (2,5 Mal)Geisteswissenschaften (ein Mal)Sonstiges (ein Mal) Quelle: dpa
Platz 21: AllianzPositiv hervorgehoben werden kann bei der Allianz die breitgefächerte Altersstruktur im Aufsichtsrat. Der Versicherer deckt von 40- bis 60-Jährigen Mitgliedern drei Altersklassen ab. Bei der Ausbildung hingegen herrscht wenig Diversität. Es dominieren Wirtschaftswissenschaftler und Juristen.GeschlechtNationalitätenAusbildungAltersklassenvier Männer, zwei FrauenDeutschland (drei Mal)Wirtschaftswissenschaften (3,5 Mal)dreiDänemark (zwei Mal)Rechtswissenschaften (2,5 Mal)Irland (ein Mal) Quelle: dpa

Die Ungleichheit zwischen Männern und Frauen hat Gründe. Aber welche stimmen wirklich? Das beleuchtet Domscheit-Berg im zweiten Teil des Buches. Sie unterzieht eine Reihe von Erklärungen einem Check, etwa dass Frauen einfach den falschen Beruf ergriffen und statt eines sogenannten Mint-Fachs (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik) ein geisteswissenschaftliches Fach studierten. Doch tatsächlich ist der Gender Pay Gap in den Mint-Berufen, wo Frauen händeringend gesucht werden, sogar noch größer als in anderen Bereichen – eine Frau schadet sich also auch noch, wenn sie das "Richtige" studiert. Wie kommt das?

Mit biologistischen Erklärungen hält sich Domscheit-Berg nicht zu lange auf, denn weder hat die Steinzeit heute noch einen Einfluss auf unser Verhalten noch können die Gene für unsere Präferenzen verantwortlich gemacht werden. Stattdessen zeigt die Autorin, dass die Ursachen für die Geschlechterungerechtigkeit in einem komplexen Zusammenspiel von Erziehung, Prägung und starren Machtverhältnissen liegen. Für die Karriere heißt das: "Die lebenslange Sozialisierung führt tatsächlich häufig dazu, dass Frauen mit verstärkter Zurückhaltung ihre eigene Karriere behindern. Andererseits gelten auch hier doppelte Standards. Denn trommeln sie für ihre Leistung, gelten sie schnell als überehrgeizig und unsympathisch. Die Gratwanderung zwischen zu wenig und zu viel Selbstmarketing müssen nur Frauen beherrschen. Männern bleibt sie aufgrund anderer Geschlechtsstereotypen erspart."

Diese Unternehmen bieten die besten Karrierechancen für Frauen

Domscheit-Berg reduziert die Gleichberechtigungsfrage aber nicht auf den Arbeitsmarkt oder die Frage, wer wie viel im Haushalt arbeitet. Sie thematisiert auch Sexismus und Gewalt sowie die private Partnerwahl, die immer noch entscheidend für ein Frauenleben ist. Und hier spricht sie unangenehme Wahrheiten aus: "Liebe macht leider blind, und so finden sich oft progressive Frauen mit konservativen Partnern wieder. (...) Hoch qualifizierte Frauen verlassen den Arbeitsmarkt oder Karriereleiter häufig, weil sie durch ihre Partner nicht die nötige Unterstützung erhalten, die für eine weitere berufliche Entwicklung erforderlich wäre. (...) Ist der Arbeitgeber keiner der Weltverbesserer in puncto Vereinbarkeit von Leben (...) und Arbeit, dann hängt fast alles vom Partner ab. Ist er nicht kooperativ, wird er zur Bremse für seine Partnerin, sie steigt aus oder ab oder trennt sich."

Als Ergänzung zum Buch hat Domscheit-Berg eine Website veröffentlicht, auf der sie nüchtern Zahlen, Daten und Fakten rund um den Status quo der Gleichberechtigung zusammengetragen hat. Damit will sie Interessierten die Möglichkeit geben, "Behauptungen an ihrer Datenquelle selbst nachprüfen zu können, eigene Schlussfolgerungen zu ermöglichen und insgesamt eine sachlichere Debatte zu unterstützen".

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