Grundeinkommen Warum Menschen trotz finanzieller Sicherheit weiterarbeiten

Am Sonntag dürfen die Schweizer über die Einführung des bedingungslosen Grundeinkommens abstimmen. Viele Eidgenossen sagen aber schon im Vorfeld: ich werde trotzdem weiter arbeiten. Wieso eigentlich?

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Auch wenn das bedingungslose Grundeinkommen eingeführt wird, wollen viele Schweizer weiter arbeiten gehen. Quelle: REUTERS

Für die Finnen wird es ein großes, sozialpolitisches Experiment, in der Schweiz ist es am Sonntag Gegenstand einer Volksabstimmung: das bedingungslose Grundeinkommen. Jeder Bürger - vom Bettler bis zum Top-Manager, ob mit oder ohne Job bekommt monatlich Geld vom Staat. In Finnland hält man 800 Euro für angemessen, in der Schweiz fordert die Volksinitiative für ein bedingungsloses Grundeinkommen 2500 Franken, also gut 2260 Euro - schließlich sind dort die Lebenshaltungskosten höher.

Der finnische Ministerpräsident Juha Sipilä und die Schweizer Volksinitiative erwarten sich dadurch vor allem vier Dinge:

  1. Rückgang der Armut
  2. größere Attraktivität von geringfügigen Beschäftigungen
  3. steigenden Konsum
  4. den Wegfall des Verwaltungsapparats rund um die Empfänger von Sozialleistungen

Diese Wünsche könnten sich auch tatsächlich erfüllen. Nur neue Jobs schafft das bedingungslose Grundeinkommen sicher nicht, wie Alexander Spermann vom Institut der Zukunft für Arbeit (IZA) gegenüber WirtschaftsWoche sagte. Dennoch hält Spermann es für sinnvoll, dass Finnland das Experiment startet.

"Wir wissen viel zu wenig darüber, wie sich Menschen verhalten, wenn sie ein Grundeinkommen bekommen. Stellen Sie die Arbeit ein oder bekommen sie einen zusätzlichen Arbeitsanreiz? Über diese Fragen wird hitzig debattiert, aber uns fehlen empirische Erkenntnisse."

Schweizer wollen weiterarbeiten

Offenbar kommt eine erste Antwort auf die Frage nun aus der Schweiz. Die Initiatoren der Volksabstimmung haben bereits Anfang des Jahres das Meinungsforschungsinstitut Demoscope beauftragt, die Schweizer zu fragen: Würden Sie für 2500 Franken zu Hause bleiben? Nur zwei Prozent der Erwerbstätigen sagten: "Ja, bestimmt". 21 Prozent sagte, sie wollten "eher nicht" auf ihren Job verzichten und 69 Prozent waren ganz sicher, auch mit Grundsicherung weiter arbeiten zu gehen.

In wirtschafts- und sozialwissenschaftlichen Studien wird davon ausgegangen, dass diese Entscheidung auch von der Höhe des Grundeinkommens abhängt. In Finnland sei der Anreiz, zu Hause zu bleiben, eher gering, weil die geplanten 800 Euro in etwa der Arbeitslosenhilfe entsprechen. Und auch in der Schweiz garantieren 2500 Franken zwar das Über-, aber kein sorgenfreies Luxusleben.

Wissenswertes über Finnland

Dieser Erklärungsansatz klammert allerdings einen Aspekt aus: den Stellenwert von Arbeit. Auch wer genug Geld hat und nie wieder arbeiten muss, geht in der Regel irgendeiner Beschäftigung nach - und sei es einmal die Woche als ehrenamtlicher Helfer im Tierheim.

Denn Arbeit hat auch über den rein monetären Aspekt hinaus Bedeutung für das eigene Leben. Wir definieren uns über das, was wir tun. Auf die Frage nach dem Namen folgt in jeder Smalltalk-Runde unweigerlich die Frage: "Und, was machen Sie beruflich?" Nicht umsonst fallen viele Menschen mit dem Ruhestand oder bei Jobverlust auf einmal in ein Loch: Von heute auf morgen werden sie nicht mehr gebraucht, fühlen sich überflüssig.

Natürlich macht nicht jeder Job glücklich und in den wenigsten Berufen kann man sich tatsächlich selbstverwirklichen. Aber auf der Couch liegen und Geld zählen macht eben auf Dauer auch nicht glücklich - nicht einmal bei richtig großen Summen. Das zeigt unter anderem eine Forsa-Umfrage aus dem Jahr 2013: Demnach würde nur jeder dritte Mann und jede vierte Frau nach einem Lottogewinn in Höhe von zehn Millionen Euro ganz zuhause bleiben und nie mehr arbeiten.

Die gleiche Erfahrung machen auch die Lotterien und Glücksspielanbieter mit Lottomillionären: Zwar wechseln 33 Prozent der befragten Männer und 25 Prozent der Frauen den Arbeitgeber, den Job ganz an den Nagel hängen aber die wenigsten. Arbeitspsychologen sind entsprechend vom hohen Stellenwert des Berufes überzeugt - wenn auch das Gehalt stimmt. Wer von seiner Arbeit nicht leben kann, ist auf Dauer auch im schönsten Beruf nicht glücklich.

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