
Chat-App, SMS, Mail und Telefon: Die ständige Erreichbarkeit empfinden nur wenige Deutsche als erstrebenswert. Eine Umfrage der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) ergab, dass es den Deutschen nicht wichtig ist, immer und überall erreichbar zu sein. Nur 16 Prozent halten die ständige Erreichbarkeit für wichtig.
Anders sieht es im Ausland aus. Im internationalen Durchschnitt beträgt die Zustimmungsrate 42 Prozent. Vor allem in Russland und China ist den Befragten Erreichbarkeit besonders wichtig. Dort stimmen jeweils 56 Prozent der Befragten der Aussage „Für mich ist es wichtig, immer und überall erreichbar zu sein“ zu – gefolgt von der Türkei (53 Prozent) und Mexiko (50 Prozent).
Dabei legten die Deutschen die gesündere Einstellung an den Tag, meinen Experten. E-Mails, SMS und andere Handy-Kommunikation nach Feierabend stehen seit längerem in der Kritik, weil ein Zusammenhang mit Stress und psychischen Erkrankungen vermutet wird. „Die ständige Erreichbarkeit ist absolut ungesund, weil wir überhaupt keine Gelegenheit mehr haben, abzuschalten und uns gehen zu lassen“, sagt Gesundheitspsychologin Julia Scharnhorst.
Fünf Tipps zur Stressbewältigung
Sagen Sie auch mal „Nein“. Haben Sie gerade keine Kapazitäten für eine neue Aufgabe oder ein Projekt, sagen Sie frühzeitig Bescheid. Selbstverständlich gibt es Situationen, in denen Sie mit „Ja“ antworten müssen. Aber vielleicht hat ein Kollege gerade mehr Zeit oder die Aufgabe ist doch nicht ganz so dringend.
Niemand ist perfekt, stellen Sie daher keine zu hohen und unrealistischen Erwartungen an sich selbst. Damit blockieren Sie sich nur.
Identifizieren Sie die Auslöser. Jeder Mensch gerät durch andere Dinge unter Druck. Um einen Überblick zu behalten, hilft es, sich eine Liste mit seinen persönlichen Stressfaktoren anzulegen. Stört Sie zum Beispiel das ständige „Pling“ eingehender E-Mails, stellen Sie den Computer auf lautlos und bestimmen Sie einen festen Zeitraum, in dem Sie Mails beantworten.
Stress zu unterdrücken, ist auf lange Sicht keine Lösung. Früher oder später wird er wieder hochkommen. Um das zu vermeiden, sprechen Sie darüber mit einem Kollegen und beziehen Sie auch ihren Chef mit ein. Allein das Gefühl, aktiv etwas gegen den Stress zu tun, hilft bei der Bewältigung.
Machen Sie Sport – Bewegung ist eine gute Methode, um Stress entgegenzuwirken, denn durch Sport werden Glückshormone wie Dopamin ausgeschüttet.
Im Alltag hilft schon ein kurzer Spaziergang zur Kantine oder morgens eine Station früher auszusteigen und den restlichen Weg zur Arbeit zu laufen. Nehmen Sie die Treppe statt den Aufzug und laufen Sie zum übernächsten Drucker statt zum nächstgelegenen.
Vor allem junge Menschen unter Druck
Den Druck, ständig sofort reagieren zu müssen, beobachtet sie in ihrer täglichen Arbeit gerade bei jungen Menschen. „Junge haben oft viel zu viele Kontakte und setzen sich dann gegenseitig unter Druck, immer schnell zu antworten“, erklärt Scharnhorst. Das laufe dann unter dem Vorwurf: „Ich sehe doch, dass du online bist, warum hast du mir noch nicht geantwortet?“ Teils resultiert aus dem Druck auch Streit. „Es haben sich schon Freundschaften getrennt deswegen. Manche empfinden das als Vernachlässigung oder Beleidigung“, betont sie.
Im internationalen Vergleich der Altersgruppen zeigt sich laut der GfK-Studie auch, dass es vor allem den Menschen zwischen 30 und 39 Jahren wichtig ist, ständig und überall erreichbar zu sein: Knapp die Hälfte stimmt der Aussage zu, dass dies wichtig ist – dicht gefolgt von den 20- bis 29-Jährigen (45 Prozent) und den Teenagern (43 Prozent). Einen Unterschied zwischen Männern und Frauen bei der Zustimmung gibt es in der Umfrage nicht.
Unternehmen untersagen Nutzung in der Freizeit
Insgesamt sei die Zahl der Krankheiten wegen psychischen Störungen in den vergangenen Jahren massiv gestiegen, sagt Scharnhorst. „Und das Thema „Ständige Erreichbarkeit“ ist seit Jahren schon ein Teil davon.“ Noch ungesünder sei es, wenn der Druck für Erreichbarkeit nicht von den Freizeit-Kontakten, sondern von der Arbeit komme. Einige Unternehmen regeln zum Gesundheitsschutz ihrer Angestellten deshalb inzwischen sogar den Einsatz von Smartphones oder Tablets in der Freizeit.
Die Länder-Unterschiede zwischen den 27.000 befragten Internetnutzern von 15 Jahren an führen Experten auf die Unterschiede in den Kulturen zurück. „Es gibt Kulturen, da sind der familiäre Zusammenhalt und die Menge an Kontakten viel größer. Da kommen schon mehrere Hundert zur Hochzeit“, sagt Scharnhorst. Daraus resultierten andere Ansprüche an soziale Netze und andere Traditionen.
Die Expertin rät dennoch dazu, dass Handy auch mal auszumachen: „Wir brauchen einfach Zeiten, wo wir komplett abschalten können und nicht noch mit halbem Gehirn im Arbeitsmodus sind“, warnt sie.