Heimarbeit & Co. "Auch in Zukunft gibt es kein Home-Office für alle"

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Keine Arbeitswelt der Zukunft mit dem Arbeitsrecht von gestern


„Wenn die Grenze zwischen Arbeitszeit und Freizeit eine völlig fließende wird, dann muss man Vorkehrungen treffen, die den Arbeitnehmer auch davor schützen, sich selbst auszubeuten“, sagt beispielsweise die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Ingrid Schmidt. Sie sieht das Arbeitsrecht dennoch gut für die Herausforderungen der digitalen Zeit gewappnet.
Etwas kritischer blickt Daimler-Personalvorstand Porth auf das Arbeitsrecht und den Arbeitnehmerschutz. Bei der Brüsseler Konferenz „Digitale Arbeitswelt: Chancen und Herausforderungen für Unternehmen und Belegschaft“ sagte er: „Der digitale Wandel kann nicht nur in den Fabriken und Büros stattfinden, sondern muss sich auch in den politischen Rahmenbedingungen widerspiegeln: Unser Arbeitszeitrecht wird der Realität nicht mehr gerecht.“


Man wolle den Schutz der Arbeitnehmer nicht aushebeln, aber das derzeitige Arbeitsschutzgesetz sei mehr als 100 Jahre alt und der Fabrikarbeiter von damals sei mit den heutigen Angestellten nicht mehr zu vergleichen. Das gelte im Übrigen auch für die Bezahlung, die auf eine Präsenz- und keine Ergebniskultur ausgerichtet sei. So lange Tarifverträge und Vergütungsstrukturen darauf ausgerichtet seien, den Akkordarbeiter am Fließband zu entlohnen, Menschen also nach Stunden oder Stückzahlen zu entlohnen, könne man auch niemanden für ein Projekt ins Home-Office schicken.

Porths Fazit lautet entsprechend: So lange noch die Regeln des jungen 20. Jahrhunderts gelten, könne man in Deutschland kein zweites Silicon Valley aufbauen.

Und so lange sich Politik und Wirtschaft derart uneins sind, was der Arbeitsmarkt denn nun braucht – mehr Schutz oder mehr Flexibilisierung – sieht es schlecht aus mit einem durchschlagenden Erfolg für entsprechende Maßnahmen.
Darüber hinaus müsse man sich auch darüber im Klaren sein, dass der Mensch nicht für dauerhafte Isolation bei der Arbeit gemacht ist. „Für einen kurzen Zeitraum funktioniert es über Video-Conferencing sehr gut. Das Gespräch an der Kaffeemaschine ersetzt es allerdings nicht“, sagt Rubens. Und letztlich komme es immer auf die Aufgabe und die Funktion an, ob Home-Office funktioniere. Wer bei Daimler am Band steht, hat schlechte Karten, der Designer kann dagegen vieles zuhause machen - wenn man ihn lässt.

Homeoffice: 10 Regeln für Arbeitgeber

Abgesehen vom Home-Office gibt es jedoch auch für Mitarbeiter in der Produktion immer mehr Flexibilität. Zum einen wird die Produktion immer weiter automatisiert, die Arbeit verlagert sich also in die Entwicklungs- und Serviceabteilungen. Aber auch am Fließband bewegt sich etwas, wie Christof Leiber, Vorstand des Softwareunternehmens Atoss, das sich auf bedarfsoptimierten Personaleinsatz spezialisiert hat, sagt. „Es findet überall Bewegung statt, im Handel gibt es schon jetzt keine starren Zeiten mehr.“
Bei der Lufthansa, einem der Kunden von Atoss, könnten die Mitarbeiter beispielsweise per Smartphone ihre Schichten miteinander tauschen: Die Software sucht, abhängig von Qualifikation, Überstundenkonto und Verfügbarkeit eine geeignete Vertretung aus und schon kann Mitarbeiter A früher nach Hause zum Kindergeburtstag. In Produktionsunternehmen funktioniere das ganzähnlich, dort stehe dann eben ein PC im Pausenraum, an dem Mitarbeiter ihre Dienste tauschen können. Und es gibt noch zahlreiche weitere Beispiele, wie Unternehmen ihren Mitarbeitern flexiblere Modelle anbieten. Bei Thyssenkrupp Rasselstein gibt es eine Regelschichtzeit von 31,5 Stunden pro Woche, bezahlt wird aber basierend auf einer Wahlmöglichkeit der Mitarbeiter für 32 bis 35 Stunden, wie Leiber erzählt. „So schafft man sich einen Puffer für flexible Produktionskapazitäten.“

Wichtig sei, bei egal welchen Maßnahmen, dass Mitarbeiter eingebunden werden und dass Transparenz herrsche, so Leiber. Aber nicht nur die Arbeitgeber, auch die Mitarbeiter müssten sich dem öffnen. Wer Flexibilisierung automatisch mit Laissez-faire beziehungsweise Ausbeutung übersetzt, verschenkt Potenzial.
Natürlich ist das Angebot für diejenigen, die mit ihren Händen arbeiten, noch deutlich geringer als das, aus dem Wissensarbeiter wählen können. Das sagt auch Leiber. „Es gibt in der Produktion erste zarte Ansätze, aber bis man da auf dem gleichen Stand ist, wird es wohl noch fünf bis zehn Jahre dauern.“ Er hofft jedoch, dass die Industrie 4.0 diesen Prozess beschleunigen wird.
Auch Rubens ist überzeugt, dass es sich lohnt, wenn Unternehmen und Mitarbeiter mehr Flexibilität wagen. Es gebe nun mal Leute, die mitten in der Nacht am besten arbeiten können und dafür bis mittags schlafen. Wieso sollte man die zwingen, genau dann zu arbeiten, wenn sie am unproduktivsten sind? „Es geht nicht darum, dass jeder macht, was er will, aber one size fits all bringt es eben auch nicht“, sagt Rubens. „Jedes Unternehmen braucht eine auf seine Leute maßgeschneiderte Lösung.“

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