High Potentials „Man gilt als arrogant und überambitioniert“

Die hohen Erwartungen an hochbegabte junge Mitarbeiter führen zu hohem Druck und Angst vor dem Scheitern. Quelle: imago images

Vorgesetzte, aber auch Kollegen schenken High Potentials besonders viel Aufmerksamkeit. Das ist nicht immer gut. Drei Talente berichten von Neid, Hybris und der steten Angst vor dem Versagen.

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Thomas Fuchs weiß genau, was Jammern auf hohem Niveau bedeutet. Vor gut zwanzig Jahren gründete er das Netzwerk Quarterly Crossing (QX), in dem heute rund 2000 Spitzenkräfte und Top-Talente Erfahrungen austauschen und ihre Karrieren vorantreiben. Ein Treffpunkt für Menschen, die viel erreicht haben oder noch viel erreichen möchten.

Es ist aber auch ein Schutzraum, in dem diejenigen, die als besonders begabt gelten, darüber sprechen können, was sie beschäftigt und bedrückt. Kaum jemand kennt die Befindlichkeiten deutscher High Potentials daher so gut wie QX-Gründer Fuchs. „Sie spüren eine Verantwortung dem Titel High Potential gerecht zu werden“, sagt er, „Das erzeugt durchaus Druck.“

Das mag zunächst einmal überraschen. Rekrutieren die Unternehmen doch vielversprechende Kandidaten für ihre speziellen Trainee-Programme, um ihnen eine steile Karriere zu ermöglichen. Dafür umsorgen sie die High Potentials und schenken ihnen viel Aufmerksamkeit. Und das soll ein Problem sein?

Es kann zumindest zu einem werden. Und kein kleines, wenn man den Forschern Jennifer und Gianpiero Petriglieri von der französischen INSEAD Business School glaubt. Die Wirtschaftswissenschaftler sprechen sogar vom „Fluch des Talents“, dem die besonders begabten in manchen Unternehmen ausgesetzt sind. Die Kurzfassung: Man werde beneidet, man werde überfordert und manchmal würde man sich eben selbst auch ein wenig auf den eigenen Fähigkeiten ausruhen.

QX-Gründer Thomas Fuchs ist es deshalb ein Anliegen, seinen Mitgliedern zu helfen, sich auf diese herausgehobene Rolle vorzubereiten. Sie sind fachlich exzellent und überdurchschnittlich motiviert. Um den Titel als förderungswürdiges Talent zu erlangen hätten sie meist bereits außergewöhnliche Leistungen gezeigt, sei es im Unternehmen oder in der Hochschule, sagt Fuchs. Wichtiger sei dagegen das, was er „Anschlussfähigkeit“ nennt. „Wenn man als High Potential bei Kollegen oder Vorgesetzten aneckt, dann schafft man sich trotz höherer Kompetenz und besserer Ideen Widerstände.“

Die WirtschaftsWoche hat mit drei High Potentials gesprochen. An dieser Stelle erzählen sie, welche Probleme ihnen wegen ihres Status entstanden sind und wie sie sie gemeistert haben. Weil sie zum Teil immer noch in dieser Rolle sind, sind ihre Namen geändert.

Lukas Mahler, 28, heute IT-Strategieberater

Ich bin gleich nach der Schule bei einem Medienkonzern als dualer Student eingestiegen. Nach dem Bachelor hatte ich aber das Gefühl, noch nicht fertig zu sein. Deshalb habe ich einen berufsbegleitenden MBA drangehängt und wurde dann Assistent des konzernweiten IT-Vorstands. Neben der ganz normalen Arbeit habe ich mich immer schon stark im Unternehmen engagiert. Für junge Leute im Konzern habe ich Events organisiert, auch die Managementassistenten habe ich stärker vernetzt. All das tat ich zwar aus Eigenantrieb, aber immer auch im Namen der Firma. Nicht, weil ich dafür mehr Geld wollte. Mein Payback waren ein riesiges Netzwerk und größere Sichtbarkeit im Konzern.

Ich bin bereit, viel zu investieren, wenn ich einen Sinn darin sehe. Und je mehr man leistet, desto größer wird auch das Vertrauen des Managements in die eigenen Fähigkeiten. Ich hatte meinem direkten Vorgesetzten einmal ein eigenes Projekt vorgestellt, um unser Recruiting zu verbessern. Er sagte: „Find ich gut, hier sind 30.000 Euro, mach mal.“ Völlige Freiheit, keine Vorgaben, ein Thema von 0 auf 100 Prozent bringen, das ist schon cool. Aber: Plötzlich ist man für alle sichtbar und das ist ein zweischneidiges Schwert. Man kann nämlich auch im Rampenlicht scheitern.

Auch wenn 30.000 Euro für einen Konzern nicht besonders viel Geld ist – für mich ist es das schon. Und es war ja auch mein Risiko. Das Projekt stand und fiel mit meinem Namen, da war niemand, der in die Bresche springt, wenn es schiefgeht. Diese Chance, mich zu beweisen, wollte ich nicht kaputt machen. Deshalb war von Anfang an Druck da. Und mein Einsatz dafür war extrem hoch.

Mehr Fluch als Segen?

Mit solchen Aufgaben wächst aber auch der Neidfaktor. Kollegen denken dann oft: „Wir schauen uns erstmal an, was der Typ so kann.“ Und sie warten dann ab, bis ich einen Fehler mache, um dann draufzuhauen. Außerdem gibt es immer wieder Trittbrettfahrer. Wie in jedem Team gibt es Leute, die wollen die Sichtbarkeit. Aber wenn es ums Arbeiten und Organisieren geht, dann hat keiner Zeit. Die Leute ruhen sich aus, weil sie wissen: Im Zweifel mache ich die Arbeit sowieso.

Im Bereich der Vorstandsassistenz ist mir noch etwas aufgefallen: Selbst unter den High Potentials gibt es Hierarchiestufen, je nach dem, an welchen Vorstand man berichtet. Denn je höher man angesiedelt ist, desto näher dran ist man an den konzernweiten Entscheidungen, desto mehr Informationen hat man - und desto wichtiger fühlt man sich. Das kann einem zu Kopf steigen. Man weiß Dinge früher und detaillierter als andere. Das kommt bei anderen natürlich schlecht an, wenn man das raushängen lässt.

Man hat somit viel geliehene Macht. Man könnte vielleicht sogar Dinge durchsetzen, indem man sagt, „Das ist der Wunsch vom Chef“. Aber das ist kurzfristig gedacht. Wer so arbeitet, wird es mit den Kollegen in Zukunft schwerer haben. Die Leute müssen einen auch danach noch mögen. Man muss jeden respektvoll behandeln, sich der exponierten Position bewusst sein und sie nicht negativ ausnutzen.

Irgendwann dauerte mir der Aufstieg im Konzern zu lange. Ich bin jung und möchte Veränderungen schnell umgesetzt sehen. Ich habe keine Lust und keine Geduld 20 Jahre auf den nächsten Karriereschritt zu warten, weil jemand vor mir sitzt, der sich nicht bewegt. Ich bin deshalb in die Beratung gewechselt. Das war ein bewusster Schritt. Ich hatte kein Netzwerk, kein großes Standing, musste mir vieles neu erarbeiten. Aber ich war bereit, ein Opfer zu bringen, um in fünf, sechs Jahren die Früchte zu ernten.

Paul Klemens, 28 Jahre, Automobilkonzern

Ich bin bei einem großen Autobauer in einem Trainee-Programm ausgebildet worden, das sich speziell an künftige Führungskräfte richtet. Den Teilnehmern eilte sowieso schon ein gewisser Ruf voraus, ich bin dazu aber noch Absolvent einer Business School und damit in den Augen mancher Kollegen die Inkarnation des Bösen. Ich laufe nicht durch die Firma und sage „Hallo, ich bin High Potential“, aber man wird in dieser Rolle in eine Ecke gedrängt: Ich war der arrogante Business School Typ, der alles besser weiß, aber vom Leben keine Ahnung hat.

Ich denke, diese Ressentiments sind auch in der langen Tradition des Konzerns verwurzelt. Manche Leute arbeiten in der zweiten oder dritten Generation in dieser Firma. Es gibt deshalb eine Denke, die sagt: Man muss eine gewisse Zeit hier sein, um Führungsaufgaben zu übernehmen. Wenn jemand sich anschickt, nach nur ein oder zwei Jahren diese Rolle zu suchen, ist das ein No Go. Man gilt dann eben als arrogant und überambitioniert und als jemand, der zu viel will. Aber gerade als Management-Trainee sollte man doch diesen Anspruch haben.

Es gibt viele Diskussionen im Haus von Leuten, die sagen: Man kann einfach nicht nach zwei oder drei Jahren Führungskraft sein. Und ich verstehe auch, woher das kommt. Wer mit 38 gerade erst Teamleiter geworden ist, obwohl er mit 25 hier angefangen hat, der findet es natürlich nicht cool, wenn ein Trainee nach drei Jahren die gleiche Hierarchieebene erreicht hat. Das führt zu Neid, aber an dieser Stelle ist das Gefühl fehl am Platz.

Für uns junge oder angehende Führungskräfte ist das ein Dilemma: Es kann gut sein, dass Mitarbeiter uns absichtlich das Leben schwermachen. Damit muss man umgehen lernen. Ich habe mein Verhalten an diese Gegebenheiten angepasst. Ich bin eigentlich Fan klarer, ehrlicher Worte. Gerade, wenn man bestehende Strukturen verändern will. Aber ich wurde mit der Zeit viel diplomatischer, wenn es darum ging, Fehler der Vergangenheit anzusprechen und habe mir vorgenommen, immer sehr behutsam vorzugehen, wenn ich kritisiere. Alles andere wird sonst schnell als persönliche Attacke gewertet.

Diese Veränderung gilt vor allem im Umgang mit Gleichgestellten. Für die Zusammenarbeit auf dieser Ebene ist der Status des High Potentials eher Fluch als Segen. Im Top-Management gibt es viele, die eine gewisse Furchtlosigkeit und die Bereitschaft, Dinge offen anzusprechen, sehr schätzen. Die haben selbst schon viel erreicht und erkennen sich vielleicht auch in diesen Eigenschaften ein Stück weit wieder.

Den hohen Erwartungen gerecht werden

Was ich nach drei Jahren im Unternehmen gemerkt habe: Ich möchte diese Seite von mir nicht ständig unterdrücken. Es ist das, was mich ausmacht und mich überhaupt erst hier hingebracht hat. Wenn ich das Gefühl habe, Kollegen dauernd mit Samthandschuhen anfassen zu müssen, dann muss ich mich verstellen. Mir geht es auch gar nicht um Anstand und Höflichkeit, die sind für mich selbstverständlich. Aber die ehrliche Meinung muss man im eigenen Team aushalten können, sonst kommt man nicht weiter.

Ich bin jetzt an einem Punkt, an dem ich merke: Ich könnte hier Karriere machen, und das wahrscheinlich schneller als andere. Aber ich merke auch, dass Kollegen mir das neiden und mich deshalb ständig hinterfragen. Das macht mich persönlich nicht glücklich. Ich halte deshalb die Augen nach einem Job offen, bei dem das nicht so ist.

Felix Tänzer, 27 Jahre, Telekommunikationskonzern

Ich tue mich schon mit dem Wort High Potential schwer. Darin liegt eine Abgrenzung, die ich eigentlich gar nicht will. Ein Unternehmen besteht nicht aus Einzelpersonen, sondern aus einer Gruppe von Menschen, die zusammen etwas leistet. Bezeichnungen wie diese machen den Zusammenhalt komplizierter.

Ich habe mich aber bewusst für ein Trainee-Programm entschieden, das sich an junge Talente richtet, die eine Managementaufgabe anstreben. Ich habe dabei ein paar Dinge gelernt. Zum einen braucht man eine starke Grundmotivation zur Leistung. Das ist wichtig, denn die Anforderungen, die an einen gestellt werden, sollte man ständig übertreffen. Das wird erwartet. Ebenfalls erwartet wird, dass man sich in jedes Thema schnell einarbeiten kann. Und ich erwarte von mir selbst, dass ich während all dieser Tätigkeiten auch ein Vorbild für andere bin.

von Kristin Rau, Jan Guldner, Cornelius Welp

Natürlich gibt es auch Probleme. Zum Beispiel habe ich erlebt, dass Vorgesetzte, die einen anderen Bildungshintergrund haben und nicht von einer Top-Uni oder Business School kommen, eher skeptisch sind. Andere Chefs sehen in jedem, der möglicherweise sehr begabt ist, eine direkte Konkurrenz. Meine Erfahrung ist, dass man sich, insbesondere in sehr hierarchischen Strukturen, darauf einlassen muss und zunächst überlegen, wie man dem Vorgesetzten beim Erreichen seiner Ziele helfen kann.

Als High Potential kommt man immer mit Vorschusslorbeeren in ein Team. Gerade deshalb wird man sofort ins kalte Wasser geworfen. Die Leute wissen ja nicht, ob die große Erwartungshaltung gerechtfertigt ist. Entweder hält man also, was der Ruf verspricht und man kommt damit klar. Oder man wird der Erwartungshaltung nicht gerecht. Dann ist es wichtig, mit dem Vorgesetzten über die Lücke zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu sprechen. Gemeinsam kann man dann überlegen, wie das künftig besser laufen kann – ohne den High Potential zu demotivieren. Dass all das mit hohem Druck verbunden ist, ist sowieso klar.

Wichtig ist, dass man all das nicht alleine auf sich nimmt. Es ist immer hilfreich, mit Menschen zu sprechen, die ähnliche Erfahrungen gemacht haben und zu erfahren, wie sie damit umgegangen sind. Nur so kann man den Erwartungen und der hohen Verantwortung gerecht werden.

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