Denn eine Reihe von Untersuchungen zeigt: Die Mehrheit der Hochbegabten hat kein Interesse an einer steilen Konzernkarriere. Ein Forscherteam um den Psychologen Rüdiger Hossiep von der Universität Bochum analysierte für eine Studie im Jahr 2013 die Charakterunterschiede von überdurchschnittlich intelligenten Menschen im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung. Etwa 500 Mensa-Mitglieder beteiligten sich. Die größte Abweichung zeigte sich ausgerechnet in jenen Eigenschaften, die im Berufsleben wichtig sind. Zwar waren die Hochbegabten durchaus motivierter, Probleme zu lösen – an Führungspositionen hatten sie jedoch deutlich weniger Interesse.
Sie wollen eben optimieren, nicht organisieren; gestalten, nicht verwalten; kreieren, nicht delegieren. Das bestätigen die Langzeitstudien von Camilla Benbow und David Lubinski von der amerikanischen Vanderbilt-Universität. Seit mehr als 30 Jahren begleiten sie etwa 5000 Personen, die als Kinder in den Achtzigerjahren einen Universitätstest locker bestanden hatten. Kürzlich schauten die Forscher nach, was aus den 320 schlausten Teilnehmern der Versuchsgruppe geworden war – die obersten 0,01 Prozent der Bevölkerung.
Die großen Karriere-Irrtümer
Viele ambitionierte Menschen verlassen sich auf logisch erscheinende Theorien, die nur auf Erfahrungen Einzelner basieren. Natürlich gibt es auch nützliches Erfahrungswissen, aber ohne psychologische Reflexion und systematische Aufbereitung bleibt es Einzelwissen.
Beim Mentoren-Prinzip fördern erfolgreiche Top-Manager ihre jüngeren, unerfahrenen Kollegen. Der Mentor will dem Mentee nach bestem Wissen und Gewissen sagen, „wo es lang geht“. Ist der Mentor gut, schrumpft das Wissensgefälle nach kurzer Zeit – und damit auch die Wichtigkeit des Mentors. Dieser wird dann oft wütend und eifersüchtig und ist versucht, die Karriere seines Schützlings zu hemmen.
Es ist eine verbreitete, aber falsche Annahme, dass Chefs offene und konstruktive Kritik benötigen, um besser zu werden. Denn diese wirkt sich oft desaströs auf die Karriere des Kritisierenden aus. Zumindest unbewusst will sich kein Chef Kritik anhören, schon gar nicht in seiner Position.
Es ist die Haltung des Gebens, die zum Erfolg und damit zur Karriere führt. Auch als unerfahrener Mitarbeiter kann man seinem Mentor etwas „geben“. Anstatt eine Beziehung zu seinem Mentor anzustreben, in der man nur selbst profitieren will, macht man seinem Vorbild Komplimente, zeigt seine Bewunderung und bittet um Rat und Hilfe.
Man muss nicht unbedingt mehr im Unternehmen arbeiten, wenn man höherwertige Positionen im Unternehmen erreicht. Top-Manager müssen vor allem die Verbindung zwischen der eigenen beruflichen und privaten Person intensivieren und als Persönlichkeit auf das Unternehmen wirken und dieses repräsentieren.
Karrieren hängen nicht von einzelnen Situationen ab, sondern entwickeln sich über einen langen Zeitraum. Bei Entscheidungen unter Zeitdruck ist es unerlässlich, innezuhalten. Je länger sie pausieren, ohne nachzudenken, umso unwahrscheinlicher ist eine Fehlentscheidung.
Talent ist zu vernachlässigen, wenn alle anderen Dimensionen für eine Karriere – wie das Streben nach höchstem Können und eine stabile Psyche – stimmen.
Die individuelle Karriere folgt keiner Normalverteilung. Für sie gibt es keine berechenbare Wahrscheinlichkeit. Die realen Einflussgrößen sind Widerstände und Krisen, die zu bestehen sind und an denen man wachsen kann.
Wer das System Karriere nicht durchschaut, hält die Erfolge seiner Karriere für Zufall. Es ist jedoch nicht Glück, sondern der autonomer Wille der Ambition – also harte Arbeit unter der Regie seiner Ziele.
Und siehe da: Überraschenderweise hatten nur 63 Prozent der geistigen Crème de la Crème einen höheren akademischen Grad wie beispielsweise den Master erreicht. Die wenigsten waren schöpferisch tätig, nur zwei der Supergenies waren im Vorstand eines „Fortune“-500-Unternehmens gelandet. Die Studie von Benbow und Lubinski belegt eine vermeintliche Banalität: Unter Hochbegabten gibt es offenbar eine ähnliche Bandbreite wie unter Normalbegabten. Das zeigt sich oft schon in der Schule. Hochbegabte Kinder verschwenden ihre Aufmerksamkeit ungern mit vermeintlich banalen Aufgaben.
„Im Unterricht habe ich mich damals kaum gemeldet. Die Fragen kamen mir zu einfach vor, gleichzeitig wollte ich ja nicht als Streberin dastehen“, sagt die Mathematikerin Liefkes heute. Manche erfahren erst im Studium, was es überhaupt bedeutet, für Klausuren tatsächlich lernen zu müssen, da sie das als Schüler kaum mussten – andere scheuen selbst diese Mühe. Eine überdurchschnittliche Intelligenz führt daher nicht automatisch zur erfolgreichen Karriere. „Der IQ ist schließlich nicht gleichbedeutend mit Motivation oder Ehrgeiz“, sagt der Psychologe Scheer. Nur eine Eigenschaft haben fast alle Hochintelligenten. Sobald sie sich in ein Aufgaben- oder Themenfeld eingearbeitet haben, wird ihnen schnell langweilig.
Typisch sind daher Zickzacklebensläufe und viele angefangene und abgebrochene Stationen. Routine empfinden sie als Tortur – das müssen auch Unternehmen berücksichtigen. „In vielen Firmen sitzen Hochbegabte, die Großartiges leisten könnten“, sagt Scheer. „Man muss ihnen nur herausfordernde Aufgaben geben.“
Wichtig sei nur, dass das nicht als Sonderbehandlung kommuniziert wird. Interne Ideenschmieden, losgelöst von starren Hierarchiestrukturen – mit solchen Maßnahmen könnten Firmen vom hohen IQ der Angestellten profitieren. Das hat sich mittlerweile bei vielen Arbeitgebern herumgesprochen. „Fast täglich gehen Mails über den Verteiler, in denen jemand einen Mitarbeiter sucht“, sagt Mensa-Mitglied und Business-Stammtisch-Gründer Wolfram Koller. Seine Vereinsfreundin Marna Michel hat aus diesem Bedarf ein Geschäftsmodell entwickelt – sie bringt hochbegabte Brainstorming-Teams mit Unternehmen zusammen.
Andere Superintelligente machen sich ebenfalls gerne selbstständig. So können sie sich auf die eigentliche Tätigkeit konzentrieren. Ohne Smalltalk, langwierige Konferenzen oder hindernde Hierarchien. Denkanstöße suchen sich die meisten Hochbegabten ohnehin anderswo – am liebsten bei Menschen, die gleich schnell getaktet sind. Am Hamburger Stammtisch sehen sich viele zum ersten Mal, Redepausen gibt es nicht. Weil alle etwas zu sagen und zu fragen haben. Aber auch, weil es für alle entspannt ist, sagt Helga Liefkes: „Wir genießen es einfach, uns im Kreis von Hochbegabten einfach mal ganz normal zu fühlen.“