Hochstapler-Syndrom Trauen Sie Ihren Fähigkeiten?

Mißtrauen in die eigene Leistung. Quelle: Getty Images

Klausur bestanden, Studium mit Bestnote abgeschlossen oder den dicken Auftrag eingeholt: Viele Menschen glauben, ihr Erfolg sei Glückssache. Das schadet Betroffenen und Betrieben. So entkommen Sie der Tiefstapelei.

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Die Schauspielerin Kate Winslet hat gegenüber dem Forbes-Magazin einmal gesagt: "Wenn ich morgens an einem Drehtag aufwache, denke ich, dass ich das nicht schaffe. Ich bin eine Betrügerin."

Das Gefühl kennt auch Philosophiestudent Moritz' L.: Bei seiner Zwischenprüfung bekam er im Hauptfach die Note 1,3, in seinem Hassfach Mathematik eine glatte eins und in einem anderem Nebenfach wurde er Jahrgangsbester. Grund zum Feiern also. Er sagt allerdings: "Ich hatte einfach Glück." Gewusst habe er nicht viel.

Schlichtes Glück, nicht wahre Kompetenz, haben zum eigenen Erfolg geführt, glaubte er. Solche Gedanken plagen Menschen, die das sogenannte Impostor Syndrome - zu Deutsch Hochstapler-Syndrom - haben. Sie hinterfragen laufend, ob sie ihr Erreichtes auch wirklich verdient haben.

Studien von Wissenschaftlern der Georgia State University legen nahe, dass sich zwei von fünf erfolgreichen Menschen selbst als Hochstapler einstufen. Andere Forscher gehen davon aus, dass 70 Prozent aller erfolgreichen Menschen nicht an ihre Fähigkeiten glauben.

Warum Perfektionismus schadet
Perfektionisten erbringen schlechtere LeistungenJeder Anforderung gerecht zu werden, ist der Wunsch vieler Menschen. Doch wer sich permanent hohe Ziele im Alltag steckt, riskiert psychischen schaden. Das stete Streben nach 110 Prozent ist eher kontraproduktiv - denn Perfektionismus schlägt schnell in Frustration um. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universitäten von York, Toronto und Winnipeg. Das Ergebnis: Perfektionisten bringen keine besseren Leistungen, neigen dafür aber schneller zum Workaholismus. Quelle: dpa
Perfektionismus macht depressivGefährlich wird Perfektionismus vor allem dann, wenn Betroffene an den eigenen Ansprüchen Scheitern. Wer das nur schwer wegsteckt, wird schnell unmotiviert und depressiv. Die Folgen von übertriebenem Perfektionismus können sogar zu Essstörungen oder zu Selbstmord führen. Zu diesem Ergebnis kam eine britische Studie. Laut der Forschergruppe stellten mehr als 70 Prozent der jungen Männer, die Selbstmord begingen, extrem hohe Ansprüche an sich selber und neigten zum Perfektionismus. Quelle: dpa
Perfektionisten haben BindungsängstePerfektionismus wirkt wie ein „Schutzschild“. Wer alle Handlungen kontrolliert, will unverletzlich sein. Tatsächlich haben Perfektionisten aber Probleme, mit anderen Personen in Kontakt zu treten und langfristige Bindungen aufrecht zu erhalten. Das zeigt eine Studie von Shauna Springer. Sie fand heraus, dass Perfektionisten nicht nur Angst vor dem Scheitern haben, sondern sich zudem ungern verletzlich zeigen. Stattdessen haben sie das Gefühl, dauerhaft stark sein und ihre Emotionen kontrollieren zu müssen. Quelle: dpa
Perfektionismus macht schlechte LaunePerfektionisten sitzen gewissermaßen in der Falle. Auf der einen Seite genießen Sie Ansehen, weil sie meist gute Leistungen erbringen. Auf der anderen Seite haben sie das Unglücklichsein praktisch gepachtet. Wer dauerhaft hohe Ansprüche an sich selbst stellt, kann gar nicht anders als Scheitern. Eine Studie von Danielle Molnar von der Brock Universität in Kanada beweist: Das macht schlechte Laune. Alles muss stimmen, ein zweiter Platz gleicht einem Misserfolg und die Freiheit des Mittelmaßes einer Bedrohung. Quelle: AP
Perfektionisten leiden an Aufschieberitis Je höher die Ansprüche, die ein Perfektionist an sich stellt, desto höher auch die Wahrscheinlichkeit, dass er hin und wieder scheitert. Laut der Psychologen Rist und Engberding von der Universität Münster kann das dazu führen, dass Personen, die alles perfekt machen wollen, Aufgaben über lange Zeiträume hinweg aufschieben. Sie resignieren, weil Fehler offenbar nicht vermieden werden können. Quelle: dpa
Perfektionismus führt zu StressDauerhaft perfekt sein – das ist anstrengend. Eine Studie von Paul Hewitt und Gordon Flett zeigt, dass Perfektionismus das Stresslevel erhöht. Wer hohe Ansprüche an sich selber stellt, setzt sich damit automatisch selber unter Druck – und verringert so seine Leistungsfähigkeit,  anstatt sie zu erhöhen. Quelle: dpa
Perfektionismus schadet der GesundheitWer perfektionistisch ist, fragt selten um Hilfe. Denn er will alle Aufgaben bestmöglich erledigen und ist überzeugt davon, dass nur er alleine das kann. Danielle Molnar befragte 500 Erwachsene zwischen 24 und 35 Jahren zu ihrem Gesundheitszustand. Das Ergebnis: Menschen mit einem Hang zum Perfektionismus leiden öfter an Krankheiten, melden sich häufiger auf der Arbeit krank und gehen regelmäßiger zum Doktor. Quelle: dpa

Geprägt wurde der Begriff “Impostor Syndrome” von Pauline Rose Clance, Psychologin aus Atlanta, Georgia. Gemeinsam mit ihrer Kollegin Suzanne A. Imes definierte sie im Jahre 1978 die Symptome hinter dem Phänomen.

Symptome: Perfektionismus und ständige Versagensängste

Clance und Imes zufolge sind ein überzeichneter Perfektionismus, die Bereitschaft zur Überstrapazierung und die ständige Furcht vorm Versagen Zeichen für das Hochstapler-Syndrom. Dazu gehört die Befürchtung, dass ein Erfolgserlebnis willkürlich ist und sich der Erfolg deshalb nicht wiederholen lasse.

Zusätzlich fällt es Betroffenen schwer, Lob anzunehmen. Sie reagieren auf Anerkennung, indem sie versuchen, diese zu schmälern.

Laut Clance ist es vielen Betroffenen gar nicht bewusst, dass sie an dem Syndrom leiden. Wenn aber die Anzeichen genannt werden, fühlten sich viele Menschen angesprochen.

Angst vor der "Entdeckung"

Zur Belastung wird das Syndrom durch die Panik, bald beim vermeintlichen Schwindeln enttarnt zu werden. "Genau dort liegt auch der Unterschied zur gesunden Selbstkritik: Betroffene leben mit einer ständigen Angst, erwischt zu werden", sagt Valerie Young. Sie ist Pädagogin und Autorin des Buches "The Secret Thoughts of Successful Women: Why Capable People Suffer from the Impostor Syndrome and How to Thrive in Spite of It".

In den USA gilt sie als die Expertin für das Hochstapler-Syndrom.

Young sagt, dass das Hochstapler-Syndrom nicht nur Individuen schade, sondern auch Organisationen und letztendlich der Gesellschaft. Denn wer den Selbstzweifeln zu viel Raum gibt, könne nie das eigene Potenzial entfalten und volle Leistung bringen.

Wie Sie der Tiefstapelei entkommen

Laut Young können die Ursachen für das Hochstapler-Syndrom schon in der Kindheit liegen: “Das Syndrom kann durch falsche Botschaften in der Erziehung ausgelöst werden, die zu einem unerschöpflichen Perfektionismus führen. Zum Beispiel, wenn die Eltern einem Kind ständig sagen, dass es sehr klug ist.”

Das führe dazu, dass die eigenen Leistungen dem Kind nie wirklich genügen. Es habe das Gefühl, es müsste mehr erreichen.

Kreative, Frauen und Junge besonders betroffen

Bei Millenials beobachtet Young das Phänomen häufiger als bei früheren Generationen. Ihrer Ansicht nach geht das damit einher, dass den jungen Menschen zu häufig vermittelt werde, sie seien etwas ganz Besonderes. Leistungs- und sozialer Druck im Studium können den Perfektionismus und die sich daraus ergebenden Gefühle der Unzulänglichkeit verstärken.

Frauen sind laut Young anfälliger für das Hochstapler-Syndrom, weil bei ihnen Fehler und Kritik von Klein auf stärker im Fokus stünden, als ihre Erfolge. Zudem deuteten unterschiedliche Studien darauf hin, dass Frauen ihre Kompetenz oft unterschätzten.

Auch der ständige Vergleich mit anderen kann die Selbstzweifel verstärken. Entsprechend ist die Dichte an Betroffenen in kreativen Branchen oder Geschäftsbereichen, in denen regelmäßige Innovation erwartet werden, höher, wie Young sagt. Als ein Beispiel nennt sie den Technologie-Sektor.

Wie Betroffene mit dem Hochstapler-Syndrom umgehen sollten

Wie bei allem beginnt der Weg aus der Tiefstapelfalle mit Selbsterkenntnis. Wer erste Anzeichen des Hochstapler-Syndroms bei sich erkennt, sollte diese erst einmal annehmen und akzeptieren. Des Weiteren sei es wichtig, die eigene Fehlbarkeit anzuerkennen: Fehler gehören zum Lernprozess und sind ein konstruktives Mittel, es beim nächsten Mal besser zu machen.

Einige Menschen, vor allem Frauen, glauben, sie seien Hochstapler und verdanken ihren Erfolg Glück oder Mogeleien. Dem ist nicht so. Wir zeigen Wege aus der Tiefstapelei.
von Lisa Rossel

Außerdem sei es wichtig, bestimmte mentale Kreisläufe zu durchbrechen: Sich selbst ständig zu sagen, man könne es nicht und würde zwangsläufig scheitern, führt naturgemäß zu höherem Druck und geringem Selbstbewusstsein. "Wer aufhören will, sich wie ein Hochstapler zu fühlen, muss aufhören, wie ein Hochstapler zu denken", sagt Valerie Young.

Da kann es helfen, sich die eigenen Erfolge vor Augen zu führen. Denn nach externen Maßstäben lässt sich die eigene Leistung ganz einfach bestätigen. Der Fokus auf den eigenen Erfolg hilft, Leistungen unabhängig von anderen zu bemessen.

Wenn die Symptome so stark ausgeprägt sind, dass sie zu unkontrollierbarer Nervosität und Unsicherheit führen, und sogar Panikattacken hervorrufen, ist es Zeit für einen Therapeuten. Besonders, wenn die übertriebene Selbstkritik aus einer Kindheitsprägung hervorgeht, kommen Betroffene alleine kaum davon los. Das wäre verschenktes Potenzial.

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