Impostor-Phänomen Wenn Erfolg sich wie Hochstapelei anfühlt

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Universitäten sind Impostor-Sammelbecken

Es gibt die Behauptung, vor allem Frauen seien vom Impostor-Phänomen betroffen. Ist das wissenschaftlich haltbar?
Nein. Der überwiegende Teil der wissenschaftlichen Forschung findet keine Beweise dafür, dass es bei Frauen öfter vorkommt. Hier und da gibt es eine Studie, die nahelegt, dass Frauen es in einer stärkeren Ausprägung haben. Die einzige Ausnahme bilden Wissenschaftskarrieren. Da scheint es so, dass tatsächlich Frauen stärker und öfter betroffen sind.

Aus der Wissenschaft wurden allerdings auch besonders viele Fälle untersucht, was wohl mit dem Umfeld der Forscher zu tun hat. Aber was ist der Grund? Die Strukturen an der Universität oder dass besonders viele Menschen mit einer Impostor-Prädestination in die Wissenschaft gehen?
Testsituationen triggern das Impostor-Phänomen. Und die hat man an der Uni permanent. Zudem ist die akademische Welt auch noch relativ hierarchisch. Da geht es um Titel und darum, wer wie viel publiziert. Es geht um Außenwirkung und Forschungsgelder. Dazu bekommen Wissenschaftler permanent Peer-Reviews. Jede Arbeit wird öffentlich rezensiert, kritisiert, vielleicht auch falsifiziert. Es ist ein nicht endendes Sich-Beweisen.

Sie schildern in Ihrem Buch den Fall einer anderen Bekannten, die einen Doktor in Jura hat und es niemandem erzählt, weil sie meint, diesen nur durch Zufall, viel Lernen und Glück erlangt zu haben. Dabei hat sie mit Summa Cum Laude die höchste Anerkennung bekommen. Was ist denn los, wenn jemand nicht einmal nach dem langen und harten Weg der Promotion und solcher Auszeichnung merkt, dass er oder sie etwas auf dem Kasten hat?
Dann leidet er oder sie vermutlich am Impostor-Phänomen.

Kann es denn sein, dass die Frau ihre eigene Arbeit nach zehn Jahren anders bewertet, weil sie Abstand gewonnen hat?
Die gute Nachricht ist: Altern hilft. In schweren Fällen kann man sich bis an sein Lebensende als Hochstapler empfinden. Aber bei den meisten von uns stellt sich irgendwann die Erkenntnis ein, dass alles, was man bis jetzt geschafft hat, doch nicht Zufall sein kann.

Wege aus der Tiefstapelei

Das heißt, es sind eher jüngere Menschen vom Impostor-Phänomen betroffen?
Das wäre ein Thema für weitere Studien. Es scheint so zu sein, aber es gibt keine Zahlen, die das sichtbar machen.

Bei Menschen mit Impostor-Phänomen unterscheidet man zwischen Over-Doern und Under-Doern. Was bedeutet das?
Menschen, die das Phänomen erleben, reagieren unterschiedlich. Over-Doer sind die, die sich in die Arbeit stürzen und sich bis ins kleinste Detail überperfektionistisch vorbereiten, damit nur ja nichts schiefgeht. Die Under-Doer sind Leute, die prokrastinieren, bis sie die Aufgabe, vor der sie Angst haben, gar nicht mehr gut machen können. Sie sabotieren sich selbst. Bei den Over-Doern ist das Ziel, mit extensiver Arbeit zu verhindern, jemand könnte denken, sie könnten nichts. Bei den Under-Doern ist das Ziel, zu zeigen, dass das schlechte Abschneiden nicht am fehlenden Talent liegt.

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