Jobwechsel „Man kann nicht beides haben: bleiben und gehen“

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„Das Leben kennt keine Generalprobe, es ist immer schon die Aufführung“

Was ist mit demjenigen, der eine Wechselchance hat, alle Möglichkeiten durchspielt und dann doch zurückschreckt und die Qualitäten seiner gegenwärtigen Misere entdeckt?
Der ist von Ängstlichkeit getrieben. Das Herz sinkt ihm im letzten Moment in die Hose. Das hat viel mit „Charakter“ zu tun: Entscheidungen zu treffen und für Entscheidungen einzustehen, ist etwas, was geübt werden muss, von früher Kindheit an. Menschen, die nicht gut entscheiden können, sind häufig Menschen, denen die Eltern das Entscheiden abgenommen haben…  

…und enden dann als willensschwache Versager?
Ja, man kann durch wiederholte Entschlusslosigkeit die Entscheidungsschwäche immer weiter steigern. Bis man sich irgendwann das Entscheiden gar nicht mehr zutraut. Es gibt Menschen, die bei der geringsten Entscheidungssituation furchtbar in Unsicherheit geraten und ahnen: Ich werde hinterher nicht mehr genau wissen, was ich eigentlich wollte.

Die nehmen das Scheitern voraus.
Genau.

Und verzeihen sich ihre Unfähigkeit nicht. Daraus ergibt sich eine andere Frage: Warum bereuen wir unser Nicht-Handeln stärker als vollzogene Handlungen?
Weil beim Nicht-Handeln, trotz einer bestehenden Möglichkeit, ein irgendwie schales Gefühl zurückbleibt. Man spürt: Ich hab‘ mich dann doch nicht getraut. Oder ich war dann doch zu bequem. Und eine beherzte Nicht-Entscheidung zu treffen, ist gar nicht so einfach. Beherzt im Sinne von: Ach, das muss jetzt wirklich nicht sein, darauf kann ich gut verzichten. Sehr viel häufiger ist eine gewisse Unentschlossenheit. Und im Rückblick erinnert man sich an sein mangelndes Selbstvertrauen und weiß: „Da bin ich ein bisschen feige gewesen.“ Das hinterlässt natürlich kein gutes Selbstgefühl. Die Entschlossenheit dagegen vermittelt immer ein gutes Gefühl: Ich hab’s ja gewagt.

Es war Benjamin Franklin, der sinngemäß gesagt hat: „Nicht-Entscheidungen sind schlimmer als Fehlentscheidungen.“ Wie kommt man mit den vertanen Chancen im Rückblick zurecht?
Nicht getroffene, versäumte Möglichkeiten können einem ganz schön zu schaffen machen im späteren Leben. Und sich damit zu versöhnen ist eine eigene, schwierige Aufgabe. Ein gewisser Trost kann darin liegen, dass Perfektion, Vollkommenheit der Lebensführung dem Menschen nun einmal nicht gegeben ist. Das Leben kennt keine Generalprobe, es ist immer schon die Aufführung. Das heißt, dass man auch Entscheidungen trifft oder nicht trifft, die man später bereut. Einer der wichtigsten Ratschläge kann hier nur heißen, das in den Blick zu nehmen, was noch vor einem liegt. Jedes bedauernde Zurückwenden wird irgendwann an den Punkt kommen, wo Reue dysfunktional wird, wo sie nur noch hemmt und noch unglücklicher macht.

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    Sie glauben, man kann sich mit wichtigen, verpassten Gelegenheiten versöhnen, auch wenn die Lebensbilanz negativ ausfällt?
    Ja, es gibt immer eine Versöhnungsmöglichkeit, davon bin ich fest überzeugt. Bilanzen sind nie endgültig, denn sie hängen von Bewertungen ab, die wir in der aktuellen Situation, unter dem Gesichtspunkt unserer jetzigen Verfassung heraus vornehmen. Es gibt diesen etwas flapsigen Spruch: „Es ist nie zu spät, eine gute Kindheit gehabt zu haben.“ Anders gesagt: Bewertungen und Einschätzungen, die wir im Rückblick auf Lebensphasen oder unser bisheriges Leben vornehmen, sind immer veränderbar. Nicht in dem Sinne, dass man die Dinge beschönigt oder sie sich zurechtlügt, sondern dass man sie noch einmal unter einem anderen, integrierenden Gesichtspunkt sieht und sagt: Ja, das gehört auch zu meinem Leben. Auch die Dinge, die mir nicht gelungen sind, nehme ich mit hinein. Das ist immer möglich.

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