Kurz nach ihrem Entstehen ist die Debatte um ein Recht auf Mittagsschlaf auch schon wieder, nun ja, eingeschlafen. Unter reichlich Getöse befasste sich der Leipziger Stadtrat am 5. Juli mit einem Antrag des „Die Partei“-Mitglieds Thomas Kumbernuß. Seine Idee: Den Mittagsschlaf in der Verwaltung zu etablieren. Das Nickerchen solle Teil der Arbeitszeit sein und nicht für andere Erledigungen genutzt werden dürfen – sondern nur zum erfrischenden Dösen, um wieder Kraft zu schöpfen.
Empörte Reaktionen („ehrabschneidend“ für die Verwaltungsmitarbeiter sei der Vorstoß) und eine Klatsche im Stadtrat folgten auf dem Fuße. Antrag abgelehnt. Kumbernuß moniert: Leider habe man sich kaum die Mühe gemacht, sich mit dem Wohl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und den Auswirkungen auf deren Gesundheit auseinanderzusetzen. „Es mag sein, dass der Antrag zunächst als Satire aufgefasst wird, inhaltlich geht es aber darum, die Arbeitswelt des 21. Jahrhunderts den Bedürfnissen der Arbeitnehmer/-innen anzupassen“, zitiert ihn die „Leipziger Zeitung“.
65 Prozent, mithin also zwei von drei Arbeitnehmern unter 30 Jahren, sehnen sich danach, öfters mal einen Mittagsschlaf zu halten – deutlich mehr als in jeder anderen Altersgruppe. Diese Erkenntnis ergibt sich aus dem Gesundheitsbericht „How's work“, den das Konstanzer Institut für Betriebliche Gesundheitsberatung im Auftrag der Techniker Krankenkasse 2022 erstellt hat.
Der Bericht basiert auf der Befragung von mehr als 11.000 Angestellten verschiedenster Branchen und ist damit eine der umfassendsten Erhebungen zum Stand der Gesundheit in deutschen Unternehmen überhaupt.
„Der Schlaf hat für die Arbeitszufriedenheit von Angestellten eine besonders große Bedeutung“, sagt Utz Niklas Walter, Geschäftsführer des Instituts und selbst promovierter Mediziner mit Schwerpunkt Schlaf. Das gelte auch für die Arbeitgeber, die sich immer stärker darum sorgten, dass ihre Mitarbeiter erholsam schlafen, um so im Büro fit zu sein.
„Die Erwartung ständiger Erreichbarkeit, die noch vor einem Jahrzehnt sehr ausgeprägt vorhanden war, verliert immer mehr an Bedeutung“, sagt Walter, der die Vorlieben der jungen Generation grundsätzlich gutheißt.
„Ein Mittagsschlaf wirkt sich positiv auf die Leistungsfähigkeit aus.“ Man sollte es damit jedoch nicht übertreiben, an besten nach 15 Minuten das Nickerchen wieder unterbrechen. „Sonst beginnen die Tiefschlafphasen, die insgesamt ungefähr zwei Stunden in Anspruch nehmen und aus denen wir besser nicht herausgerissen werden sollten“, mahnt der Schlaf-Experte. Ein kurzer Schlummer hingegen sorge dafür, dass wir für ungefähr drei Stunden deutlich produktiver sind.
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Nur in Deutschland gibt es „Penner“
Anders als in ostasiatischen Ländern oder – zumindest früher – in einigen Regionen Südeuropas, fehle es in Deutschland jedoch an einer Mittagsschlafkultur. „Das deutsche Schimpfwort Penner gibt es so in keiner anderen Sprache“, sagt Walter, der hier einen dringenden Mentalitätswechsel fordert – und bereits erkennt. Immer mehr Unternehmen richteten Rückzugsräume für ihre Mitarbeiter ein oder sogar explizite Schlafräume. „Wenn die jüngere Generation das nun verstärkt einfordert, könnte sich dieser Trend noch beschleunigen“, sagt Walter, der immerhin eine Vermutung darüber hat, warum sich die Jugend so sehr fürs Nickerchen begeistern kann: Insgesamt sei bei der nachwachsenden Generation das Bewusstsein für gesunde Ernährung und Lebensweise deutlich ausgeprägter, da gehöre ein guter Schlaf eben dazu.
Walter selbst hat seinen Biorhythmus schon vor gut zehn Jahren radikal umgestellt, um sich den Bedürfnissen seines Körpers optimal anzupassen: Nachts schläft er nur noch fünf Stunden, eine weitere komplette Tiefschlafphase verlagert er in die Mittagszeit und ruht täglich für zweieinhalb Stunden.
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Transparenzhinweis: Dieser Artikel erschien erstmals im Januar 2022 auf wiwo.de, wir haben ihn aktualisiert.