Führungskräfte in Deutschland sind im Durchschnitt 52 Jahre alt. Doch das ändert sich, denn Digitalisierung und Beschleunigung des Arbeitslebens veranlassen Unternehmer, verstärkt junge Führungskräfte einzusetzen. Der demografische Wandel tut sein Übriges und stellt die Altersstruktur von Arbeitsteams auf den Kopf: Immer wahrscheinlicher werden Abteilungs- und Projektleiter um die 30 mit einem Team 40-plus – und noch weit älter.
Doch statt von den Digital Natives in verantwortlichen Positionen zu profitieren, haben Unternehmen ein Problem: Die jungen Chefs werden von ihren Teams nicht akzeptiert. Zwei von drei Arbeitnehmern (66 Prozent) bevorzugen einen Vorgesetzten, der älter ist als sie selbst. So die Ergebnisse des aktuellen Randstad Arbeitsbarometers 2018, das vierteljährlich in 33 Ländern erhoben wird.
Dabei zeigen sich unsere Nachbarn toleranter in der Altersfrage: In Polen (47 Prozent), den Niederlanden (52 Prozent) und Belgien (58 Prozent) sind deutlich weniger Arbeitnehmer und Arbeitsnehmerinnen abgeneigt, unter einem jüngeren Chef oder einer jüngeren Chefin zu arbeiten.
Unternehmen heute: Fünf Generationen unter einem Dach
Noch sind die letzten Mitarbeiter der Nachkriegsgeneration (geboren 1945 bis 1955) in den Unternehmen zu finden, gefolgt von den geburtenstarken Babyboomern (geboren 1956 bis 1965), die oft zuerst von Personalreduzierung betroffen sind – im besten Fall mit Frühverrentungsprogrammen oder Abfindungen, im schlimmsten durch unlautere Methoden oder auslaufende Befristungen verabschiedet.
Es folgt die Generation X. Sie steht neben den Alt-68ern und Babyboomern noch voll im Erwerbsleben. Die zwischen 1966 und 1980 Geborenen wurden durch Feuilletonist und Autor Florian Illis auch als Generation Golf bekannt – die ihre noch goldene Jugend in den 80ern feierten und zum 18. Geburtstag einen Golf vor der Tür hatten.
Dann die Digital Natives, die mit der Digitalisierung aufgewachsen sind und Festnetz und gelbe Telefonzellen nicht mehr oder nur aus der Kindheit kennen: Generation Y (geboren 1981 bis 1995) – mittlerweile zum Teil selbst schon in Führungspositionen – und Generation Z, unsere Azubis und Studenten (geboren 1996 bis 2010).
Entgegen der viel zitierten Generationenunterschiede zeigen repräsentative Bevölkerungs- und Arbeitnehmerbefragungen (beispielsweise des Instituts der Deutschen Wirtschaft), dass sowohl Babyboomer als auch Generation X und Y ähnliche Ansprüche an das Arbeitsleben und die Führung in Unternehmen haben:
In den Punkten „Sinnstiftung“, „Flexibilität“, „Entwicklungsmöglichkeiten“ und „Erwartungen an den Vorgesetzten“ („Interesse an der Person“, „Motivation“, „Feedback“ sowie „klare Zielsetzung“ und „Unterstützung“) sowie auch in Punkto „Arbeitsplatzsicherheit“ gibt es nur geringe Abweichungen in den Antworten.
Die Geburtsjahre sind in Anlehnung an Gablers Wirtschaftslexikon definiert, wobei mittlerweile auch dort darauf hingewiesen wird, dass diese Generationen zwar soziologisch, politisch-historisch anders geprägt wurden, aber in Bezug auf das Berufsleben ähnliche Wünsche und Vorstellungen sowie generationenunabhängige Kompetenzen und Fähigkeiten haben.
Die Skepsis gegenüber jüngeren Führungskräften hindert manch begehrte Nachwuchskraft, den nächsten Karriereschritt zu tun. So etwa Sabrina K., Anfang 30, Projektleiterin für Digitales und Innovation bei einem internationalen Handelsunternehmen. Als ideale Kandidatin für Headhunter und Personaler von Konkurrenzunternehmen wird sie häufig angesprochen, doch bislang hat sie die Abwerbeangebote ausgeschlagen: „Die Mitarbeiter, die ich hätte führen müssen, wären zum Teil wesentlich älter als ich gewesen. Und die Konflikte sind dann ja schon programmiert – insbesondere, wenn langjährige Angestellte sich selbst auf die zu besetzende Position beworben haben und sich übergangen fühlen.“
Das sieht Betriebswirt und Wirtschaftspsychologe Jochen Menges, Lehrstuhlleiter für Personalmanagement und Führung an der Universität Zürich auch in seiner Forschung bestätigt: „Wir leben in einer Zeit des Umbruchs. Noch eine Generation vor mir galt die Karriere-Norm: Mit dem Alter und der Erfahrung steigt man auf. Wenn man dann von einem Jüngeren überholt wurde, entstand das Gefühl, nicht gut genug oder nicht schnell genug gewesen zu sein“, sagt Menges, der mit seinen 39 Jahren gerade so noch ein Vertreter der Generation X ist. „Jetzt ist ein Gegentrend bei der Beförderung entstanden: Die Generation Y, also die Digital Natives, haben das Wissen, das in den Unternehmen gebraucht wird.“
Auch aus Headhunterkreisen verlautet, dass Ü40 so gut wie nicht mehr vermittelbar ist: „Egal, wie gut der Kandidat oder die Kandidatin auch geeignet ist, die meisten Kunden wollten per se eine Führungskraft in den Dreißigern. Lieber lassen sie die Position monatelang unbesetzt. So viel zum Fach- und Führungskräftemangel!“, sagt eine Personalvermittlerin zu den Kundenwünschen.
Die Norm „Alt führt Jung“ ist tief evolutionsbiologisch verankert: „Die ersten zwanzig Jahre hatten wir ältere Personen an unserer Seite, die uns durchs Leben geführt haben. Wenn junge Führungskräfte nun Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen führen, die ihre Eltern sein könnten, so erfordert das eine besonders hohe emotionale Intelligenz von ihnen, um sich in die umgekehrte Rolle hineinversetzen zu können“, sagt Menges als Experte für Verhalten in Organisationen.
Das wirtschaftliche Problem: Wenn zu viele Junge damit überfordert werden, Ältere zu führen, nimmt die Unternehmensleistung ab: „Je mehr gegen die Norm ‚Ältere führen Jüngere‘ befördert wird, desto negativer kann sich das auf das Unternehmen auswirken. Es entstehen auf beiden Seiten negative Emotionen wie Wut und Angst, weil die Älteren sich zurückgesetzt und die Jüngeren sich nicht akzeptiert fühlen“, heißt es in der repräsentativen, branchenübergreifenden Befragung von Menges und Kunze mit dem Titel „Younger supervisors, older subordinates“ unter mehr als 8000 Angestellten in Deutschland.