Karriere Flunkern, blenden, lügen: Wie viel Wahrheit verträgt der Job?

Quelle: ddp images

Jeder Zweite sagt bei der Arbeit die Unwahrheit. Aber was ist noch Flunkern, was schon gelogen? Und trifft die Firma eigentlich eine Mitschuld, wenn Angestellte ständig lügen (müssen)?

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„Sorry, der Bus war verspätet“ bis „Nein, die Bilanz ist nicht gefälscht“: Die Bandbreite der Lügen im Arbeitsleben ist riesig. In einer Umfrage von YouGov im Auftrag der Jobplattform Glassdoor haben immerhin 45 Prozent der Deutschen zugegeben, in der Firma gelegentlich Dinge zu beschönigen. 28 Prozent der Berufstätigen flunkern demnach regelmäßig, immerhin jeder 17. lügt sogar häufig, vorsätzlich und massiv. Diese Zahlen überraschen Experten nicht. „Wahrscheinlich sind es sogar noch mehr“, vermutet die Juristin Lara Blume von Verdi. Ganz ohne Unwahrheiten kommt zwar kaum ein Mensch durchs Leben, sei es privat oder beruflich. Diese Alltäglichkeit macht Lügen im Job allerdings gefährlich. Nur, weil es jeder macht, ist es noch lange nicht selbstverständlich.

Grundsätzlich gilt beim Thema Ehrlichkeit: Beschäftigte müssen dem Arbeitgeber die Wahrheit sagen. Es gebe aber Ausnahmen, zum Beispiel, wenn eine Bewerberin im Vorstellungsgespräch gefragt werde, ob sie schwanger sei. Auch später darf ein Angestellter die Unwahrheit sagen. „Flunkern ist immer dann in Ordnung, wenn der Chef unzulässige Fragen stellt. Fragen nach der Familienplanung etwa oder nach der Gesundheit dürfen falsch beantwortet werden“, erklärt Nathalie Oberthür, Vorsitzende des Ausschusses Arbeitsrecht beim Deutschen Anwaltverein.

Lügen als Kündigungsgrund

Ob eine Lüge heikel ist, hängt für Juristen in erster Linie davon ab, ob sie den Job tangiert „Wenn es um die Freizeit geht und nichts mit der Tätigkeit zu tun hat – harmlos“, meint Verdi-Expertin Blume. Anders sieht es aus, wenn jemand seine Fähigkeiten überhöht oder sich mit fremden Federn schmückt. Entgegen landläufiger Meinung ist Blenden im Vorstellungsgespräch nicht eine harmlose Verkaufsmasche. „Unter keinen Umständen sollte man über seine Qualifikationen täuschen, das kann eine Anfechtung des Arbeitsvertrages nach sich ziehen“, warnt Oberthür. „Auch Lügen über die erbrachte Arbeitsleistung sind tabu; sie können einen Arbeitszeitbetrug darstellen und zur Kündigung führen.“

Ebenfalls tabu sind Lügen nach Ansicht von Verdi immer dann, wenn sie Anderen schaden. Das sei etwa dann der Fall, wenn ein Mitarbeiter krank zur Arbeit geht, seinen Zustand vertuscht und dadurch sich und Kollegen gefährdet. Aber auch Fehler können der Firma schaden, weshalb Vertuschung nach Ansicht der Experten schlecht zu rechtfertigen ist.

Genau das tun aber viele Deutsche. Etwa jeder Vierte will laut der Glassdoor-Umfrage mit Lügen seine Fehler oder Misserfolge verbergen. Ungefähr jeder Fünfte rechtfertigt sein Verhalten außerdem damit, dass die Vorgesetzte angeblich keine andere Meinung akzeptiert. Damit machen es sich Lügner nach Ansicht von Coach Swen Heidenreich zu leicht. „Durch diese Schuldzuweisung wird versucht, die Verantwortung für das eigene Handeln abzugeben“, kritisiert der Diplom-Psychologe. Dasselbe gelte für verharmlosende Begriffe wie „Notlüge“ oder „flunkern“. Dadurch werde versucht, das Bild von sich selbst als ehrlicher Mensch zu schützen.

Für Heidenreich sind Lügen meist Ausdruck eines hilflosen Wunsches nach Anerkennung. „So geben wir vor, etwas oder jemand zu sein. Der Preis ist freilich, dass nicht wir gemocht, bewundert und akzeptiert werden.“ Der Coach ist überzeugt: Selbstbewusste Menschen lügen seltener. Sie haben es schlicht nicht nötig.

Politik im Job lieber ausklammern

Immer die Wahrheit zu sagen ist allerdings auch keine Lösung. „Kompromisslose Ehrlichkeit kann schon im Alltagsleben bedenklich sein und natürlich auch bei der Arbeit. Manchmal ist es besser, einfach nichts zu sagen“, empfiehlt Blume. Bei der zwischenmenschlichen Etikette ist die Lage vergleichsweise eindeutig. Heikel wird es, wenn um Politik geht. Was, wenn Kollegen oder Vorgesetzte lautstark Meinungen vertreten oder zur Teilnahme an Demonstrationen aufrufen, die nicht den eigenen Überzeugungen entsprechen?

„Da wird immer Fingerspitzengefühl gefragt sein. Man muss mit seiner Meinung auch in politischer Hinsicht nicht hinter dem Berg halten, oftmals bietet sich aber an, diesbezügliche Diskussionen im Betrieb zu vermeiden“, empfiehlt Oberthür. Bei Konflikten solle das Gespräch mit einer Vertrauensperson oder dem Betriebsrat gesucht werden.


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Heidenreich empfiehlt Chefs, berufliche und private oder politische Themen klar voneinander zu trennen. „Am einfachsten gelingt dies, wenn vereinbart wird, solche Themen in eigens dafür geschaffenen Räumlichkeiten zu besprechen“, erklärt der Diplom-Psychologe. Das könnten Kantine, Kaffeeküche oder andere Aufenthaltsräume sein.  

Ehrliche Unternehmenskultur

Unternehmen könnten nach Ansicht von Heidenreich maßgeblich beeinflussen, wie ehrlich ihre Beschäftigten sind. Das beginne bei deren Auswahl. „Zum Blenden gehört auch immer ein Geblendeter. Wenn Unternehmen es wirklich ernst meinen mit ihren leider oft nur schön geschriebenen, aber nie umgesetzten Unternehmenskulturen, dann würden Blender, Hochstapler und Narzissten gar nicht erst eingestellt werden“, kritisiert der Coach.

Das Problem reiche jedoch tiefer, meint Heidenreich mit Blick auf die Umfrage. „Ich befürchte, dass diese Zahlen aufzeigen, dass die viel beschworene offene Fehlerkultur noch in den Kinderschuhen steckt“, sagt er. „Offenbar herrscht immer noch ein Klima vor, welches es Menschen schwer macht, authentisch und ehrlich zu sein. Da ist noch viel Handlungsbedarf.“

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