Ein Blick auf die politische Entwicklung, aber auch in viele Unternehmen könnte den Schluss nahe legen, dass das Aufschieben unliebsamer Dinge ein gesellschaftlicher Normalzustand ist. Allzu oft werden wichtige Entscheidungen ausgesessen, begleitet von der schalen Hoffnung, das schwierige Problem werde sich in Luft auflösen, wenn man nur lange genug wartet. Ein Irrtum.
Das dicke Ende kommt, und dann meist noch dicker als befürchtet – auch das kann man bei Politikern ebenso gut beobachten wie beim VW-Skandal. Die Unternehmensberaterin Roswitha A. van der Markt sagt: "Made in Germany - einerseits durch VW gewaltig in ethischer Schieflage, andererseits mit Kopf und Geist unter der Decke."
Gemeint ist damit die digitale Entwicklung: Eine Umfrage von Accenture zeigte 2015, dass 70 Prozent der deutschen Manager lieber keine Vorreiterrolle in der digitalen Transformation übernehmen, sondern bereits ausgereifte digitale Modelle lieber später übernehmen wollen. Dazu passt, dass Porsche-Chef Matthias Müller selbstfahrende Autos kürzlich als vorübergehenden Hype abtun wollte.
Mehr als ein Management-Problem
Doch Aufschieberitis ist längst nicht nur ein Management-Problem, sondern scheint weite Teile der arbeitenden Bevölkerung ergriffen zu haben: "Steuererklärung – ja nächste Woche..". "Die wichtige Entscheidung? Kann warten..." Und alle Prokrastinierer teilen ein Problem: Indem sie lieber vermeiden als zu handeln und Versprechungen nicht einhalten, verspielen sie bei bei Chefs, Kollegen und Mitarbeitern kostbares Vertrauen. Auch für den Betroffenen selbst ist das unter Umständen schlecht. Er büßt Selbstvertrauen ein, weil er bald nicht mehr schafft, was er sich vorgenommen hat.
Natürlich kann es manchmal Vorteile haben, Dinge nicht immer sofort zu erledigen: Manchmal schafft man es auf diese Weise, unangenehmen Dingen aus dem Weg zu gehen, weil sich diese von selbst erledigen. In einigen Fällen ist es besser, noch mehr Informationen zu sammeln, bevor man handelt. Und gelegentlich ist es sogar besser, bestimmte Entscheidungen nicht zu treffen, weil sich im Nachhinein herausstellt, dass sie falsch gewesen wären.
Doch nicht immer ist der Hang zur "Aufschieberitis" nur eine kurzzeitige Unlust, die vergeht. Manchmal steckt mehr dahinter. Dabei lassen sich die Prokrastinierer in mehrere Gruppen einteilen:
Bei Gruppe eins ist häufig das Management schuld: Sie empfinder ihre Arbeit als stupide und langweilig, Erfolge scheinen in weiter Ferne oder sie sehen gar keinen Sinn hinter einer Aufgabe, weil ihnen wichtige Information fehlen. Im Ergebnis sind sie dann unmotiviert und erledigen ihre Arbeit nicht.
Gruppe zwei kann sich nicht gut organisieren: Sie schafft es nicht, Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und lässt sich durch jede Kleinigkeit von ihrer Arbeit abhalten. Oder sie setzt sich ihre Deadline immer viel zu knapp, weil sie meint, es schon irgendwie zu schaffen.
Der Prokrastinationsfalle entkommen
Und eine dritte Gruppe hat regelrecht Angst vor ihrer Aufgabe, weil sie viel zu hohe Ansprüche an sich selbst hat. Diese Menschen erwarten von sich selbst stets Höchstleistungen und setzt Erfolg mit Selbstwert gleich. Dadurch wird die Arbeit allmählich zum unüberwindbaren Berg, der mit jedem Aufschub noch anwächst.
Dabei sind sich viele "Aufschieber" durchaus darüber im Klaren, dass ihr Verhalten sich langfristig nachteilig auswirkt. Meist allerdings wirkt die Macht der Gewohnheit: Verhaltensweisen, die man sich jahrelang angewöhnt hat, lassen sich nicht von heute auf morgen abstellen. Weltweit ist angeblich jeder Fünfte von
Prokrastination betroffen.
Echter Teufelskreis
Chronische Prokrastination kann zum ernsten Problem werden: Man nimmt sich immer wieder vor, die unangenehmen Aufgaben zu einem bestimmten Zeitpunkt zu erledigen und lässt diesen Moment dann wieder verstreichen. Dadurch wachsen Angst, Scham und Druck und verhindern, dass man aktiv wird. Ein Teufelskreis! Aber wie kommt man da wieder raus?
Zunächst gilt das Gebot der Selbstreflexion: Ruhig mal hinterfragen, warum bestimmte Aufgaben immer wieder und immer öfter aufgeschoben werden. Meist ist es eine Gewohnheit, die wir gewissermaßen auf Autopilot erledigen. Und um diese Gewohnheiten zu ändern, muss man sich sein Verhalten bewusst machen – am besten schriftlich. Zum Beispiel, indem man über einen längeren Zeitraum notiert, welche Aufgaben besonders schwerfallen oder Stress auslösen. Und was man hätte anders machen sollen.
Und dann: Einfach loslegen. Es klingt so simpel - und ist doch wirkungsvoll! Wer aufhört, über Aufgabe X oder Problem Y nachzugrübeln, ist gleich viel motivierter. Also los, am besten mit dem Unangenehmsten zuerst beginnen. Dann ist es schneller vorbei und hält auch von weiterem ängstlichem Gegrübel ab. Am Ende stellt man überrascht fest: Es geht viel besser als gedacht. Und wer vor lauter Arbeit nicht weiß, wo er anfangen soll: Prioritäten setzen!
Motivieren muss sich jeder selbst, denn positives Feedback ist nicht immer selbstverständlich. Und das lässt schnell die Motivation sinken. Das Problem ist nur: Manche Projekte sind so langwierig, dass man den Erfolg erst viel später sehen kann. Daher hilft es, große Aufgaben in kleine Abschnitte zu zerlegen. Und sich selbst für jeden Teilerfolg zu loben. Das hilft, am Ball zu bleiben - und der Prokrastinationsfalle zu entkommen.
Die Autorin betreibt das Blog "Berufebilder". Sie können auch über Twitter mit ihr in Kontakt treten.