Karriere Wer Risiken eingeht, vergrößert seine Komfortzone

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Die Komfortzone hat nicht den allerbesten Ruf: Besonders träge Menschen werden aufgefordert, sie zu verlassen. Ein guter Tipp, denn wer sich fordert, erweitert seine Wohlfühlzone ungemein.

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Wo beginnen das Leben, das Lernen, der Erfolg? Innerhalb oder jenseits der Komfortzone?

Wer in seinem Wohlfühlzustand verharrt, sich nicht fordert und Neues wagt, wird niemals etwas erreichen, argumentieren die einen. „Ständige Überforderung, sich also permanent außerhalb der eigenen Komfortzone zu bewegen, führt zu Erstarrung oder Panik. In einem solchen geistig-seelischen Zustand lernen wir gar nichts“, warnt dagegen der Psychologe Nico Rose in einem Gastbeitrag für die WirtschaftsWoche. Er stempelt den Leitsatz „Das Leben beginnt jenseits deiner Komfortzone“ dann auch gleich als „Motivations-Bullshit“ ab.

Klingt nach unvereinbarem Widerspruch, ist es aber nicht.

Der Begriff Komfortzone ist ursprünglich Teil eines psychologischen Drei-Zonen-Modells. Er beschreibt die Umstände, unter denen Menschen sich wohlfühlen. Die zweite Zone wird Wachstums-, Lern- oder Risikozone genannt. Gemeint sind jeweils die Umstände, die Menschen herausfordern und das Gehirn anregen, und ungewohnte Situationen, die die Routine brechen. Die dritte Zone ist die Panikzone – sie markiert den Kontrollverlust und kann zu Lähmung oder Überreaktion führen.

Die Panik hat evolutionär betrachtet zwar ihren Sinn, im modernen Alltags- und Berufsleben ist sie aus vielen Gründen zu vermeiden: Weder geht es Menschen in diesem Zustand gut, noch lernen sie – außer der Grenzerfahrung – etwas dazu, was sie weiterbringt.

Die Komfortzone hat durch inflationäre Verwendung des Begriffs einen zweifelhaften Ruf. Schnell entsteht im Kopf das Bild von faulen Menschen, die antriebslos auf dem Sofa herumhängen und weit unter ihrem Potential bleiben. Tatsächlich ist es typabhängig, ob Menschen lieber beim Altbekannten bleiben und Herausforderungen meiden – oder ob sie nach Veränderung und Kicks streben. Die Komfortzone ist dennoch nicht nur ein Zustand für Träumer, Bremser und Unvollendete. „Wir brauchen Komfort als Überlebensgrundlage“, betont der Psychologe Rose. Dem wird wohl auch der kühnste Abenteurer zustimmen. Fakt ist aber auch: Nur in der Komfortzone zu verharren dürfte die meisten Menschen auf Dauer unzufrieden machen

Anregung von außen, Herausforderungen, moderate Angst und Zwänge, aber auch selbstgesteckte Ziele und Eigeninitiative führen zu einem Austritt aus der Komfortzone hinein in die Lernzone. Risikozone wird sie auch deshalb genannt, weil das Gehirn Unbekanntes als Gefahr wahrnimmt und permanent auf Risiken scannt. Diese Wachsamkeit ist zwar anstrengend, verhilft letztlich aber zu einem Wachstum an Erfahrung und der Persönlichkeit. Das Neugelernte kann dann Teil der Komfortzone werden. Wer sie öfter verlässt, Risiken eingeht und Neues ausprobiert, verkleinert also in der Theorie die Risikozone und vergrößert die eigene Komfortzone.

„Sicherheitsbedürfnis und Abenteuerbedürfnis sind bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt und entscheiden darüber, ob jemand wagt, vertraute Pfade zu verlassen, um zu neuen Ufern aufzubrechen“, erklärt Kerstin Gernig, die sich als Karrierecoach auf Arbeitnehmer in der Lebensmitte spezialisiert hat. In der Altersgruppe ab Mitte 40 machten sich überdurchschnittlich viele Arbeitnehmer Gedanken, wohin sie ihre Laufbahn lenken wollen, viele stellen dann eine diffuse Unzufriedenheit bei sich fest.

Kerstin Gernig trifft bei ihrer Arbeit als Coach auf Menschen, die trotz ihres Sicherheitsbedürfnisses bereit sind, ihre Komfortzone zu verlassen, um sich weiterzuentwickeln: sie orientieren sich neu und brechen in der Lebensmitte noch einmal auf, um sich selbständig zu machen. Laut Gernig sehnen sich viele Festangestellten nach größeren Entfaltungsspielräumen, doch nur wenige kommen ins Tun, um etwas zu verändern. „Es gibt zwei zentrale Impulse für Veränderungen: Leidensdruck oder Leidenschaft. Wenn der Leidensdruck nicht groß genug ist, wird einfach nur gejammert und lamentiert, aber nichts unternommen.“ Gernig muss denen, die zu ihr kommen, erst wieder beibringen, dass ein Ausflug in die Risikozone – bei kalkuliertem Risiko – unter diesen Umständen nur ein Gewinn sein kann.

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