Karriereleiter
Eine Person schreibt auf eine Tafel „Lehrer in

Das kleine Gender-Vokabelheft für den sanften Einstieg

Es muss nicht immer das * sein. Wer eine identitätsgerechte Unternehmenskommunikation einführen möchte, hat viele Möglichkeiten für einen sanften Start. Die Lufthansa macht es vor. Keine Angst also vor divers.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Die meisten Menschen in Deutschland sind laut Umfragen gegen das „Gendern“. Ich glaube aber, das liegt nicht daran, dass die Mehrheit gegen Vielfalt und Gleichberechtigung ist, sondern eher daran, dass ihnen die neuen Formulierungen nicht so leicht in Fleisch und Blut übergehen. Sie sehen ein Sternchen und denken: Ich kann das nicht aussprechen. Kund*innen sind „Kund innen“. Dabei ist der Laut gar nicht neu. Den sogernannten Glottisschlag (also das Abgesetzte) meistern wir alle auch bei Bundesinnenministerium, das wir „Bundes-innen…“ sprechen und nicht „Bunde-sinnen“. Und das Spiegelei ist das „Spiegel-ei“ und keine „Spiege-lei“.

Sprechen können wir das * also alle ohne Probleme. Dennoch finden es viele befremdlich, wenn plötzlich Sonderzeichen inmitten von Wörtern vorkommen. Andere sagen: „Sollen Menschen, die sich weder als Frau noch als Mann fühlen, mit einer mickrigen Sprechlücke bedacht werden?“

An anderer Stelle hatte ich schon einmal vorgeschlagen, eine alte feministische Idee aus der Mitte des vergangenen Jahrhunderts auszuprobieren. Immer dann, wenn das Geschlecht keine Rolle spielt oder unbekannt ist, könnten wir das Neutrum nutzen. Das Arzt, das Bundeskanzler, das Bäcker. Denn anders als viele andere Sprachen in Europa hat das Deutsche ein neutrales grammatikalisches Geschlecht (Franzosen, Briten, Schweden müssen sich alle ein neues basteln), den wir bei Menschen bislang aber fast nie nutzen, außer etwa bei Kind und Mädchen. Die Umgewöhnung wäre deshalb zwar groß, aber nicht größer als beim * und wir müssten keine neuen Zeichen einführen. Letztendlich würden wir aufhören, ständig nach Geschlecht zu unterscheiden, genauso wie wir grammatikalisch auch nicht nach Beruf, Herkunft, Aussehen und Gesundheitszustand unterscheiden. Und Umgewöhnen kann ja durchaus auch Spaß machen.

Die deutsche Gesellschaft strebt nach mehr Gleichheit und Gerechtigkeit. Das ist laut Soziologen ein Schritt, den jede Gesellschaft im Laufe ihrer Entwicklung durchläuft. Und wir sind in Deutschland hier gemeinsam mit dem Westen weit vorne, wenn wir uns etwa mit vielen Gesellschaften im Nahen und Fernen Osten vergleichen.

Und so wie sich Gesellschaften unterschiedlich schnell entwickeln, leben wir damit, dass auch innerhalb einer Gesellschaft unterschiedliche Gruppen unterschiedliche Geschwindigkeiten bei Umbrüchen wünschen. Auch bei der Etablierung einer gerechteren Sprache. Von „alles soll bitte bleiben, wie es war“, über „ich will ja, aber ich weiß nicht wie“ bis „Wo ist das Problem? Schreib und sprich einfach nach den modernen Regeln“.

Und unterschiedliche Geschwindigkeiten innerhalb eines Prozesses führen unweigerlich zu Reibereien. Gerade bei Sprache. Jeder kann für sich selber entscheiden, ob er Fleisch essen will. Aber bei Kommunikation sind von der eigenen Entscheidung alle die betroffen, die diese Sprache hören und lesen. So als würde ein Fleischesser von einem Vegetarier ein Sojaschnitzel gebraten bekommen. Jetzt zählt es: Ist man sich hier einig?

Meiner Meinung nach ist deshalb der beste Weg bei der forcierten Sprach-Entwicklung: Anliegen vorbringen, Hintergründe erklären, breit diskutieren und dann: loslegen. Alle in ihrer eigenen Geschwindigkeit. Die Schnellen werden die Langsameren mitunter düpieren, aber auch inspirieren. Und die Umgewöhnung kommt dann nach und nach für alle. Genau das machen wir gerade gemeinsam durch. Auf dem Weg in die Zukunft.

Für alle, die sich etwa gerne auf das Gendern einlassen wollen, aber nicht wissen, wie, sind die folgenden Tipps gedacht. Für mehr Sensibilität im Reden und Schreiben ohne Holzhammer. Gerade dort, wo ganze Belegschaften und viele Kunden überzeugt werden sollen, können sanfte Einstiege in mehr Sprachgerechtigkeit der genau richtige Weg sein.

1. Mehr Gerechtigkeit für Frauen oder für alle?

In der Gender-Diskussion werden oft zwei Ziele vermischt: Mehr Sprachgerechtigkeit im Interesse von Frauen (hier hilft mehr „-innen“) und die Berücksichtigung auch von non-binären Menschen, also derer, die sich weder als Frau noch als Mann empfinden (symbolisch berücksichtigt mit dem * und dem gesprochenen Glottisschlag). Nehmen wir uns hier mehr Gerechtigkeit für alle vor.

Wenn Sie sich mit dem * schwer tun, geht es nämlich in vielen Fällen auch anders. Nämlich so:

2. Tschüss „sehr geehrte Damen und Herren“!

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Kundinnen und Kunden, Partnerinnen und Partner. Damit erwischen Sie im Zweifel nicht alle. Und mal ehrlich: Es klang schon immer sehr förmlich. Sie können Briefe und E-Mails viel moderner beginnen. Erlauben Sie sich mehr Spaß an Anreden, die wir schon aus dem Gesprochenen kennen:

statt...geht auch...
Sehr geehrte Damen und HerrenHallo zusammen!
Hallo in die Runde.
Guten Tag/Abend.
Einen wunderschönen guten Morgen an alle.

Die Lufthansa macht es schon vor und hat es den Teams an Bord ans Herz gelegt, bei den Durchsagen auf „Damen und Herren“ zu verzichten.

Wenn Sie einen Menschen einzeln anschreiben, können Sie zeigen, dass Sie ihm nicht von Ihnen aus ein Geschlecht zuweisen (einfach als modernes Zeichen des Respekts), indem Sie ihn nicht mehr mit Frau oder Mann anreden.

statt...geht auch...
Lieber Herr Schneider,Guten Tag Kai Schneider,
Sehr geehrte Frau Meier,Hallo Svenja Meier,

3. Generisches Maskulinum reduzieren

In vielen Fällen ist es kompliziert, die männlich dominierte Sprache gerechter zu machen.

Sagen Sie: „Er ist bei uns der beste Redner“, gibt es nicht einen Menschen, der es Ihrer Meinung nach besser kann. Sagen Sie:  „Sie ist die beste Rednerin“, dann ist nicht klar, ob Sie noch einen besseren männlichen Redner kennen. „Sie ist der beste Redner“ macht es klar, klingt aber auch unpassend. (Hier wäre übrigens „sie ist das beste Redner“ mal wieder die perfekte Lösung, aber ich möchte den Punkt nicht überstrapazieren).



Das Bäckerhandwerk ist zugunsten der Frauen eigentlich das Bäckerinnen- und Bäckerhandwerk, wenn Sie alle einbeziehen wollen, dann das Bäcker*innen-Handwerk. Gewöhnungssache.

In vielen Fällen lässt sich das Männliche aber leicht auf sanfte Tour neutralisieren, ohne ins Rudern zu kommen:

statt...geht auch...
jederalle
keinerniemand
einerjemand
RednerpultRedepult
RaucherpauseRauchpause/Zigarettenpause
MitarbeiterparkplatzFirmenparkplatz/Teamparkplatz
ChefsVorgesetzte
MitarbeiterBelegschaft/Team
Die Erfinder sind......wurde erfunden von...
Konkurrenten/MitbewerberKonkurrenz

Am Beispiel, in dem ich eine Passivkonstruktion „wurde erfunden von“ vorschlage, merken Sie: Es kann einen Hauch ungelenk werden. Aber es zeigt auch, was alles geht, wenn wir darüber nachdenken, wie wir das generische Maskulinum vermeiden könnten.

4. Die Krux mit der Substantivierung vom Partizip

Mir fällt nicht ein, wie man Kundinnen und Kunden oder Kund*innen ersetzen könnte. Kaufende? Sind Berufsschüler*innen auch Berufslernende? Hmm. Wieder Gewöhnungssache. Einige Substantivierungen des Partizips Präsens (der studierende Mann/die studierende Frau > der/die/das Studierende - statt Student*innen) haben sich aber etabliert oder sind eigentlich ganz eingängig:

statt...geht auch...
Student*innenStudierende
Tourist*innenReisende
LehrlingeAuszubildende
MarktführerMarktanführende/die Besten am Markt

Kritik an solchen Substantivierungen eines Partizips, das eine laufende Handlung ausdrückt, lautet am Beispiel Studierende: Das heißt ja, dass die Gemeinten gerade wirklich aktiv mit dem Laptop auf dem Schoß studieren. Da würde ich allerdings sagen: Dieses Bild vor Augen verschwimmt mit der Zeit. Bei einem Flohmarkt erledigt sich das Missverständnis, es würden dort Parasiten gehandelt, ja auch direkt nach der ersten Klarstellung.

5. Nehmen Sie sich mindestens 50 Prozent vor

Gendergerechte Sprache führt im Kopf zum Umdenken zugunsten von den heute noch Benachteiligten. Bei „Ärzt*innen“ denken wir heutzutage leichter an Menschen, die nicht männlich sind, als bei „Ärzten“. Aber manchmal zählt in der Unternehmenskommunikation ja auch einfach, dass Sie ein Zeichen setzen wollen für mehr Diversität.

Machen Sie es wie die Lufthansa: Legen Sie es den Menschen ans Herz, zeigen Sie, dass Sie mitdenken, aber verbiegen Sie sich nicht so weit, dass es als ungelenk auffällt. Fühlen Sie sich mit den Gendern wohl und sorgen Sie dafür, dass sich Ihr Team damit wohlfühlt. So gelingt der Wandel sanft und nachhaltig.

Etwa, indem Sie es Ihrem Team freistellen, wie es alle im Einzelnen handhaben, und dazu konkrete Vorschläge machen (neue Anrede, hier und da das generische Maskulinum umgehen, oder bei Bedarf das * setzen).

Möglich ist auch, es mal so, mal so zu machen, um zu zeigen: Wir haben das Thema im Kopf und ihm Herz. Sagen Sie einmal „Ärztinnen und Pfleger“, bei anderer Gelegenheit „Ärzte und Pflegerinnen“, sagen Sie einmal Kunden, beim nächsten Mal Kundinnen und Kunden, und vielleicht geht Ihnen ja auch immer häufiger Kund*innen gut über die Lippen.

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 Was heute noch wichtig ist, lesen Sie hier

Weisen Sie Ihre Belegschaft auf auffällige Schieflagen hin, erklären Sie und überprüfen Sie immer wieder, ob nach ein paar Monaten ein bisschen mehr ginge, oder ob hier und da die Formulierungen sogar etwas zu holprig und ungewohnt klingen.

Aber diskutieren Sie im Team vorab eine Frage: Wollt ihr mehr Gerechtigkeit? Wenn Sie hier ein „Ja“ hören, ist der Einstieg geschafft.

Mehr zum Thema: Nicht erst die Aufregung um gendergerechte Sprache bei der Lufthansa zeigt: Es ist ein reiner Wildwuchs. Das liegt oft an ziemlich dilettantisch umgesetzter Frauenförderung – und den Gemeinheiten der deutschen Sprache.

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