Karriereleiter

So ködern Verkäufer Kunden mit deren Nachmach-Drang

Seite 2/2

Der Nachahm-Effekt

Im Falle einer Fernsehserie mag das als akzeptable Illusion durchgehen. Denn was spricht schon gegen einen höheren Unterhaltungswert? Fakt ist aber auch: Das künstliche Lachen sorgt für mehr Begeisterung bei den Fernsehzuschauern, die Einschaltquoten steigen, die Werbespots lassen sich teurer verkaufen. Künstliches Gelächter ist also bares Geld wert.

Nehmen wir die Gastronomen. Die Selbstbedienung in modernen Cafés hat dazu geführt, dass das Trinkgeld für das Personal deutlich niedriger ist. Einige Betreiber stellen nun ein Sparschwein an der Kasse auf. Cleverere Betreiber stellen aber ein durchsichtiges Glas hin. Werfen die ersten Kunden ein paar Münzen oder sogar Scheine hinein, wirkt es auf die nachfolgenden Kunden, als sei Trinkgeld zu geben hier üblich. Und die Chance steigt, dass sie mitmachen.

Und dann gibt es Café-Betreiber, die werfen kurz vor Ladenöffnung am Morgen selbst Geld ins Glas. So dass es von vorne herein so aussieht, als ob das Trinkgeld nur so in Strömen fließt.

Auch hier wird das Prinzip der sozialen Bewährtheit den erhofften Erfolg bringen. Allerdings werden hier die Gäste systematisch in die Irre geführt. Das mag der eine als gewiefte Geschäftspraxis ansehen, aber man kann sich schon darüber unterhalten, ob das nicht schon die Grenze zum Unethischen überschreitet.

Gerade vergangenes Wochenende habe ich in einem Berliner Einkaufszentrum die Waschräume besucht. Da stand vor dem Eingang eine lange Schlange von etwa zwanzig Leuten, die alle darauf erpicht waren, 50 Cent zu bezahlen. Ich stutzte: „Ist der Obolus denn nicht freiwillig?“, fragte ich. Die Dame am Tresen zeigte auf das Schild: Freiwilliger Beitrag stand da ganz klein irgendwo und ich las es laut vor. Als einige der Leute das hörten, brachen sie murmelnd aus der Schlange aus, sparten sich die 50 Cent und gingen direkt aufs Klo. Sie hatten nur angestanden, weil sie dachten: Wenn da Leute stehen und zahlen, dann muss man das wohl tun. Wegen der winzigen Buchstaben drängte sich mir der Verdacht auf: Der Toilettenbetreiber setzt ganz offenbar auf diesen Nachahm-Effekt. Er hatte kein Interesse daran, für Klarheit zu sorgen. Wenn das Geschäftsmodell zum Gutteil auf Irreführung beruht.

Auch die Werbeindustrie saugt Profit aus der sozialen Bewährtheit. Oft ganz ehrlich mit offenen Karten:  Erinnern wir uns an die Werbung von damals. Die Hausfrau säuselt: „Aber wenn ich Toffifee ins Spiel bringe, was meinen Sie, was dann passiert.“ Die Schachtel kommt auf den Tisch und schon wird Mutter von der ganzen Familie umschwärmt. Die Toffifee-Käuferin erntet Anerkennung ihrer Liebsten. Durchaus erstrebenswert. Und für jeden Betrachter ganz offensichtlich eine nett gespielte, wenn auch lebensnahe und deshalb glaubhafte Szene im künstlichen Spielfilmlook.

Ethisch fragwürdig verhält es sich aber mit Werbespots, die den Anschein echter Kundenerfahrung vorspiegeln. In denen dann ein vermeintlicher Reporter eine vermeintlich zufällig im Supermarkt angetroffene Kundin fragt: „Entschuldigung, warum haben Sie gerade ausgerechnet diesen Fruchtquark gekauft?“ Oder: „Wieso dieser Weichspüler?“ Und die Frauen antworten dann wie echt spontan, dass die Kinder dank des neuen Fruchtquarks total glücklich sind oder dass dank des Weichspülers die Handtücher nicht nur wolkenweich sind, sondern auch noch himmlisch duften.

Statt Promis aus einer fernen Lebenswirklichkeit laden Menschen wie du und ich dank ihrer positiven Erfahrung mit dem beworbenen Produkt zum Nachmachen ein - also zum Kaufen. Denn je ähnlicher die Vorbilder uns selber sind und je mehr ihre Lebensumstände den unseren gleichen, desto eher ahmen wir das Verhalten der Menschen nach.

Doch: Solche Umfragen in Werbespots sind meist inszeniert. Die Begeisterung der Kundinnen hat es nie gegeben. Das ist aus meiner Sicht so, als wenn Privatsender ihre Zuschauer weitgehend darüber im Unklaren lassen, dass die „Reportagen“ in Wirklichkeit von Laiendarstellern aufgeführte Fantasiegeschichten sind. Der Effekt greift erst dank der realistischen Anmutung; die Realität ist aber vorgegaukelt. Aus meiner Sicht alles miese Lügen - die in der Werbung verboten gehören.

Wenn Sie ohne schlechtes Gewissen neue Kunden mittels der sozialen Bewährtheit überzeugen wollen, lassen Sie andere Kunden von deren Erfahrungen berichten.

Neueste Anwendung findet das Prinzip der sozialen Bewährtheit in Bewertungsportalen im Internet. Das Gästebuch des 21. Jahrhunderts. Ein von hunderten von Gästen auf Booking.com oder Hrs.de mit sehr gut bewertetes Hotel oder ein von etlichen Käufern mit fünf Sternen gelobter Haartrockner auf Amazon kann nicht wirklich schlecht sein.


Kein Wunder, dass Hoteliers, Gastronomen, Reiseveranstalter, Verkäufer ja, selbst Ärzte bemüht sind, die Bewertungen nach oben zu treiben. Viele redlich mit gutem Service, hoher Fachkompetenz und löblicher Produktqualität. Schwarze Schafe aber auch mit gefälschten, teils mit systematisch im großen Stil gekauften falschen Bewertungen. Manche Kunden erhalten von Verkäufern E-Mails, in denen ihnen angeboten wird, ihre richtigerweise schlechte Online-Bewertung gegen Bezahlung einer Entschädigung zurückzunehmen. Unehrliche Bewertungssterne gegen Cash. Alles, um vom Prinzip der sozialen Bewährtheit zu profitieren.

Echtes Lob und echte Begeisterung anderer muss hingegen keiner aus Bescheidenheit nachfolgenden Kunden vorenthalten. „Diesen Fernseher habe ich meiner eigenen Mutter und meiner Schwester empfohlen und die sind total begeistert.“ Dieser Satz eines Elektronikfachverkäufers ist eine sinnvolle, professionelle Verkaufsmethode, wenn er wahr ist. Aber er funktioniert eben auch, wenn er erlogen ist.

Dessen sollten sich Kunden immer gewahr sein. Und Verkäufer und Dienstleister sollten darüber nachgrübeln, ob ein Trick, der so faszinierend gut funktioniert, in jedem Fall ein guter ist.

Dem Autor auf Twitter folgen:



Inhalt
Artikel auf einer Seite lesen
© Handelsblatt GmbH – Alle Rechte vorbehalten. Nutzungsrechte erwerben?
Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%