Wie aber können Fachkräfte diese Lücke für sich nutzen, um einen Job zu finden? Ein einschlägiger Abschluss sei gar nicht so wichtig, wie viele glaubten, so Mensching: "Viele Unternehmen suchen gerade keine Hochschulabsolventen, sondern praxiserfahrene Spezialisten, die sie nicht noch lange einarbeiten müssen". Sein Rat lautet daher: "Clever sein, sich Inhalte selbst erschließen, fehlendes Wissen autodidaktisch lernen und sich so als Experte etablieren. Dafür bietet gerade die digitale Industrie enorme Chancen."
Dass autodidaktische Lernen ausreicht, davon ist Dr. Peter Rohrbach, Vorstand der cellent AG, nicht überzeugt: "Es kommt auf den Bereich an: In Marketing und Vertrieb reichen betriebswirtschaftliche Kenntnisse, ein Verständnis vom Kerngeschäft des eigenen Unternehmens und der Kunden, gesunder Menschenverstand und die Fähigkeit, strukturiert zu denken, völlig aus", erklärt Rohrbach. Je mehr Applikationswissen gefragt ist, desto wichtiger werde ein fundierter theoretischer Hintergrund, um sich schnell immer wieder in neue technische Entwicklungen einarbeiten zu können.
So steht es um die Personalplanung in deutschen Unternehmen
85 Prozent aller Personaler entwickeln die Strategie zur Personalbeschaffung ausschließlich mit der Geschäftsleitung - und fragen bei den Fachbereichen gar nicht erst nach.
Quelle: Studie "Personalbedarfsplanung und -beschaffung in Unternehmen" der Unternehmensberatung Hays.
82 Prozent berücksichtigen keine Freiberufler bei der strategischen Personalplanung.
81 Prozent aller Personalverantwortlicher sind unzufrieden mit der Deckung ihres Personalbedarfs.
72 Prozent der Fachbereiche sehen sich in der Hauptverantwortung bei der Personalbeschaffung.
58 Prozent legen eine Personalstrategie zur Bindung festangestellter Mitarbeiter an.
Daher bildet die cellent AG mit 530 Mitarbeitern auch gezielt 25 bis 35 junge Leute aus, davon pro Jahr sieben bis acht in einer betrieblichen Ausbildung, den Rest im Rahmen eines Trainee-Programms für Hochschulabsolventen. Solche Investitionen scheuen viele andere Unternehmen und auch Rohrbach ist sich der schwindenden Mitarbeiter-Loyalität bewusst. Daher wird gezielt nur an einem der elf Standorte ausgebildet: "In Aalen ist die Bindung der Mitarbeiter an die Region hoch und die Konkurrenz ist geringer als zum Beispiel in Stuttgart oder München, dort würden die Mitarbeiter sofort abgeworben werden. Wenn sie aber drei bis fünf Jahre bei uns bleiben, amortisieren sich die Kosten", so Rohrbach.
Kommunikation ist das A und O
Auf dem vernetzten Arbeitsmarkt von morgen sind zudem vermehrt kommunikative Fähigkeiten gefragt: "Im stillen Kämmerlein alleine ungestört vor sich hin werkeln, kann heute kaum noch einer", so Rohrbach. Die Entwickler müssten verstehen, was der Kunde will, der Kunde müsse verstehen, was die Entwickler gerade tun - da seien ständige Abstimmungen untereinander gefragt. Den idealen Ausbildungsweg in die IT gebe es daher nicht, welcher Ausbildungsweg der richtige sei, hänge stark von der eigenen Persönlichkeit und den eigenen Interessen ab. Rohrbach rät: "Wer Spaß an der Theorie und Systemarchitekturen hat, sollte auf jeden Fall an einer Universität oder Hochschule studieren."
Gibt es also wirklich Fachkräftemangel? Das Beispiel Cellent AG zeigt, dass Unternehmen selbst etwas gegen den Fachkräftemangel tun können, wenn sie frühzeitig aus- und weiterbilden. Genau da liegt der Hase im Pfeffer: Viele Arbeitgeber scheuen die Kosten einer Ausbildung oder es fehlt an professionellen Strukturen und optimalen Arbeitsbedingungen. Martin Gaedt hat also durchaus recht, wenn er den Fachkräftemangel als zumindest in Teilen hausgemachtes Problem bezeichnet.
Umgekehrt steigen die Anforderungen gerade in der IT-Branche ständig und für viele Aufgaben gibt es heute noch keine adäquaten Ausbildungswege. Insofern gibt es einen Mangel an Spezialisten, den nicht jeder ohne Weiteres ausgleichen kann. Bewerber sollten das für sich nutzen: Wer gesuchte Fähigkeiten mitbringt oder sie sich bei Bedarf schnell aneignen kann, dürfte schnell einen Job finden. Selbst dann, wenn die Fachkräftelücke dann doch nicht ganz so immens ausfällt, wie in diversen Rechenspielen prognostiziert.
Die Autorin betreibt das Blog "Berufebilder". Sie können auch über Twitter mit ihr in Kontakt treten.