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Dem Gesprächspartner offen die eigenen Gefühle und Gedanken darzulegen, kann ein nützlicher rhetorischer Trick sein. Quelle: Imago

Rhetorischer Supertrick: Sprich darüber, wie es dir geht

Die peinlichen Schweigesekunden im Aufzug. Der Sprung voll ins Fettnäpfchen. In der Diskussion kippt die Stimmung. Wie kriegen Sie hier überzeugend die Kurve zu Ihren Gunsten? Indem Sie Ihr Herz ausschütten. So geht’s.

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Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.

Es ist natürlich der Horror von Fernsehmoderatorinnen und -moderatoren: etwas zu sagen, das man direkt wieder bereut, aber live ist live und das Gesagte wurde von Hunderttausenden von Menschen gehört. Was tun?

Da will jemand den Standpunkt vermitteln, dass wir Menschen die Freiheit haben sollten, ganz nach unseren individuellen Bedürfnissen zu leben und uns zu entfalten. Und verwendet dafür die Formulierung: „Jedem das Seine“, ein Spruch, den die Nationalsozialisten in nicht zu überbietendem Zynismus am Tor zum Vernichtungslager Buchenwald haben anbringen lassen (ursprünglich knallrot gestrichen und von innen lesbar).

Dabei war der Satz als römischer Rechtsgrundsatz („summ cuique“) ganz anders gemeint, nämlich so wie vom Fernsehmoderator in unserem Beispiel: Die anderen so leben lassen, wie sie wollen.

Vielleicht wird man nicht gleich bei jedem eine menschenverachtende Gesinnung unterstellen, wenn heute der KZ-Spruch genannt wird (ich habe tatsächlich schon Moderatoren diesen Spruch sagen hören). Wohl aber Geschichtsvergessenheit. Zu Recht. Ganze Werbekampagnen wurden in jüngerer Geschichte wieder eingestampft, weil sie den Spruch zum Claim erhoben hatte.

Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie stehen da und haben „Jedem das Seine“ gesagt, was Ihnen zwei Sekunden später auffällt. Wahrscheinlich gehen Ihnen dann die folgenden Gedanken durch den Kopf:

1. War das ein schlimmer Fehler?

2. Wird das den Zuhörern wohl aufgefallen sein?

3. Wenn ja: Schadet es mehr, wenn ich es nun noch einmal thematisiere, weil ich dann auch noch den Allerletzten auf meinen Fauxpas hinweise? Oder schadet es mehr, wenn ich es verschweige, und damit einen großen Teil der Zuhörer empöre?

Solche Gedanken sind quälend und können uns völlig aus dem Konzept bringen. Was aber bekommen die Zuhörer davon mit? Nichts. Weil sich alles nur in unserem Kopf abspielt. Beim Publikum verfängt: Der oder die hat „Jedem das Seine“ gesagt. Wie peinlich!

Ich für meinen Teil habe mir deshalb für solche Fälle (Blamage selbst erkannt, jetzt schnell entscheiden, wie darauf zu reagieren ist) eine Reaktion vorgenommen, die ich immer sofort ohne Zögern zeigen kann: Meine eigene Gefühlslage schildern.

So könnte das beim Jedem-das-Seine-Fauxpas klingen:

„Ich muss kurz eine Sache loswerden, die mir auf der Seele liegt. Ich habe gerade eben Jedem das Seine gesagt und meinte es im guten Sinne. Danach ist mir direkt eingefallen, dass diese Formulierung von den Nazis missbraucht wurde. Deshalb nehme ich das Gesagte zurück und entschuldige mich. Ich wollte keinen damit verletzen. Es war einfach in der Sekunde unbedacht.“

Keiner wird Ihnen jetzt noch böse sein können. Der Vorwurf der Unbedachtheit in der ersten Sekunde bleibt bestehen. Aber nicht der der Gleichgültigkeit oder gar einer menschenverachtenden Gesinnung. Jeder hat verstanden, was in Ihnen gerade los ist. Und weil das nur allzu menschlich ist, werden die allermeisten denken: Das kann ich nachvollziehen. Und damit waren Sie überzeugend.

Der Star unter den Kommunikationswissenschaftlern und Autor der Trilogie „Miteinander reden“ Friedemann Schulz von Thun hat jüngst in einem Interview mit dem „Spiegel“ geschwärmt vom Leitsatz: „Wenn es schwierig wird in der Kommunikation – dann sag einfach, was mit dir ist.“

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