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Was ist Agilität? Eine kurze Einführung ohne Schickimicki

„Agiles Arbeiten“: Die einen schwören drauf, andere befürchten, auf Dauer nicht drum herum zu kommen, wieder andere arbeiten nach Prinzipien der Agilität, ohne es zu wissen. Worauf es beim Agilen Arbeiten wirklich ankommt.

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Ein Freund von mir hat vor einiger Zeit in Japan für ein deutsches Automobilunternehmen dabei mitgeholfen, eine japanische Kleinlaster-Sparte in den Konzern zu integrieren. Er hat mir damals folgende Geschichte erzählt:

„Ich habe ein Team von zwei Mitarbeitern gebeten, mir für eine Powerpoint-Präsentation eine Übersicht zu verschiedenen Geschäftszahlen zusammenzustellen. Deadline 18 Uhr. Als ich um 18 Uhr 30 noch nichts von denen gehört hatte, habe ich mal nachgefragt. Und es stellte sich heraus: Sie hatten noch gar nicht angefangen. Denn sie wussten überhaupt nicht, woher sie die Zahlen bekommen sollten. Sie hatten sich aber nicht getraut, mir das zu sagen. Immerhin war ich ja ihr Chef.“

Diese kleine Anekdote erzähle ich nicht, damit wir als Westler uns köstlich über die Japaner amüsieren können. Japan zählt zu den erfolgreichsten Volkswirtschaften der Welt. Es geht mir darum zu zeigen: Es lohnt sich immer, seine Prozesse, seine Hierarchien und auch das Selbstbild als Führungsfigur zu hinterfragen. Fassen wir uns an unsere eigene, deutsche Nase: Wie oft haben wir uns schon Kritik verbeten und wie oft uns nicht getraut, unseren Vorgesetzten zu sagen, dass ihr Ansatz offensichtlich ein Irrweg ist?

Dies besser zu machen, wäre schon ein Schritt hin zu mehr agilem Arbeiten. Aber was genau ist das jetzt? Es gibt Podcasts von Agilitäts-Coaches, die sich gut gelaunt darüber auslassen, nicht in der Lage zu sein, Agilität auf den Punkt zu bringen.

Dabei ist die Idee von dem, was hinter Agilität steckt, sehr naheliegend: Runter vom hohen Ross! Haben wir alle zusammen die Größe, den Spaß und die Gelassenheit, unser Arbeiten ganz flexibel am Erfolg unserer Projekte auszurichten.

1. Agile Unternehmenskultur

Agile Teams spielen mit offenen Karten, statt ihre Fachkompetenz für sich zu behalten. Stichwort: Transparenz. Damit alle auf dem neuesten Stand sind. Nicht nur aus Neugier. Sondern um flexibel auf Veränderungen reagieren zu können.

Alle im Team, von den Mitarbeitenden bis zu den Vorgesetzten, sind offen für neue Arbeitsweisen und passen die Unternehmensstruktur den Anforderungen (etwa denen der Kunden) an.

Es ist übrigens ein Irrtum, dass agiles Arbeiten an der Struktur vieler Unternehmen scheitern muss. Betrachten Sie einfach „Abteilung“ und „Team“ als eigenständige Gebilde. Die Teams setzen sich aus Mitgliedern unterschiedlichster Abteilungen zusammen. Ohne, dass Sie Ihr Unternehmen dafür strukturell auf den Kopf stellen müssen.

2 . Agile Führung

Lassen Sie jene Leute selber Entscheidungen treffen, die dafür kompetent sind. Auch, wenn Sie weiter für diese Entscheidungen die Verantwortung tragen. Dass den Chefinnen und Chefs kein Zacken aus der Krone bricht, wenn die, die wirklich Ahnung haben, sagen, wie es gemacht werden soll, ist eine der faszinierendsten Erkenntnisse bei der Einführung agiler Prozesse. Oft ist es bis dahin ein steiniger Weg, denn viele Traditionalisten in Führungspositionen setzen Macht mit Allwissen gleich. Es ist sehr befreiend zu erkennen, dass es die Autorität stärkt, die überlegene Kompetenz anderer anzuerkennen. Das schließt nicht aus, dass in agilen Entscheidungsprozessen Fehler gemacht werden. Aber es werden wahrscheinlich weniger sein.
Führung in agilen Unternehmen bedeutet demnach auch, die Kompetenzen der Mitarbeitenden zu fördern. Damit sie noch besser werden.

3. Agile Prozesse

Allein schon die richtige Aufteilung der Büroräume unterstützt flexibles, transparentes Arbeiten, etwa Ecken für ruhige Einzelarbeit, Bereiche für den informellen Austausch unter den Teams und Areale für Gruppenarbeit.

Außerdem kommt es auf die Fähigkeit an, flexibel und zügig auf sich ändernde Anforderungen in den Projekten zu reagieren, etwa, wenn die Kunden ihre Meinung ändern oder sich die wirtschaftliche Lage rapide verändert.

Um das zu ermöglichen, sollten alle Beteiligten über die für sie relevanten Zwischenarbeitsschritte und Meilensteine regelmäßig informiert werden. Damit die sich durch Feedback herauskristallisierenden Verbesserungsideen eingearbeitet werden können und so der Verlauf des Projekts angepasst werden kann.

Überhaupt: Würde ich mit vorgehaltener Waffe gezwungen, das Wort „agil“ durch ein bekannteres zu ersetzen, ich würde „flexibel“ sagen.

4. Agile Methoden: Scrum und Kanban

Als ich Anfang des Jahrtausends als Teil des Umstrukturierungs-Teams daran mitarbeiten durfte, einen großen Fernsehsender für Kinder von Zuständigkeits-Prozessen („Wer macht was in Fernsehen, Internet und Marketing?“) auf themenbezogene Prozesse umzustellen („Wie machen wir über alle Wege hinweg die Zeichentrickserie X und die Wissensshow Z erfolgreich?“), haben wir gar nicht gewusst, dass das schon die Vorbereitung für durch und durch agiles Arbeiten in Thementeams war.

In vielen Unternehmen arbeiten die Menschen nach den oben beschriebenen Maßgaben, ohne es „agil“ zu nennen. Einfach, weil es schlagkräftig ist, kundenorientiert, eben flexibel. Und viele nutzen nur einige Elemente und kombinieren sie mit den klassischen, etwa so, dass Arbeitsgruppen Vorschläge erarbeiten, die aber am Ende doch vor der Geschäftsführung präsentiert, dort diskutiert und festgezurrt oder abgelehnt werden. Auch das sind Lichtjahre Vorsprung vor Firmen, in denen alle vermeintlich gute Ideen ausschließlich vom Patriarchen kommen dürfen.

Scrum

Oft suchen Projektbeteiligte nach knackigen Arbeitsmethoden, um die gewünschte Firmenkultur, die moderne Führung und die flexiblen Prozesse im Arbeitsalltag noch stärker aufblühen zu lassen.

Zu diesen agilen Methoden zählt etwa Scrum, zu Deutsch Gedränge (wie beim Rugby). Dass Agilität aus beschriebenen Gründen zu Chaos führt, ist dank der Methoden wie Scrum ein Irrtum. Weil trotz aller Flexibilität alles in geordneten Prozessen und nach strengen Spielregeln abläuft. Bei Scrum kurz gesagt so:

Nehmen wir an, der Kunde wünscht sich etwas. Was genau, wird in Gesprächen herausgearbeitet, etwa die Entwicklung eines neuen fettfreien Erdbeer-Joghurts aus Hafer ohne Zuckerzusatz. Auf dieser Basis nehmen Sie und Ihr Team im Namen Ihrer Firma den Auftrag an, bis Anfang Dezember eine verzehrfertige Geschmacksprobe zu liefern. Und jetzt geht es los. Aufgaben werden verteilt, Zwischenschritte definiert, Zeiträume festgezurrt, also Arbeitsabschnitte definiert, die sogenannten „Sprints“, etwa Wochenabschnitte, in denen die Anforderungen nicht geändert werden dürfen (eben um Chaos zu vermeiden).

Einfach gesagt: Das Typische an Scrum ist, dass bei Bedarf sogar alle parallel loslegen können, weil in regelmäßigen Abständen gemeinsam abgeklopft wird: Wo stehen wir? Kommen wir so voran, wie angenommen? Diese Wasserstandsanzeigen (Reviews und Retrospektiven genannt) können etwa täglich in kleineren Runden und wöchentlich in großer Runde stattfinden. Diese Updates bieten die Chance, das Projekt jedes Mal neu zu justieren: Erdbeer ohne Zucker schmeckt nicht so süß wie gedacht. Was ist mit Süßstoffen? Hafer ist zu teuer. Was ist mit Soja? Und so weiter.

Die Stärke von Scrum ist also, dass flexible Anpassungen an die Realität als wichtiger erachtet werden, als dass ein Plan von Anfang an bis zum Ende durchgezogen wird.

Ein Irrtum über Agilität lautet deshalb: Wegen der ständigen Anpassungen ist strategisches Management nicht mehr möglich. Richtig: Agilität und unverrückbare 3-Jahres-Pläne verbieten einander. Strategisches Planen im Agilen Arbeiten heißt: Nach aktuellem Stand der Dinge groß und weit vorausdenken. Und zu wissen, dass großes, weites Vorausdenken nur auf einer Momentaufnahme basiert. Agile Ergebnisse sind schwer planbar. Aber meistens besser. Planung ist kein Selbstzweck.

Dies fürs Erste zu Scrum. Sie können die Reviews natürlich auch Abstimmungsmeeting nennen oder Kaffeekränzchen und die Sprints auch Meilensteine oder Tanz. Hauptsache, das Prinzip ist klar: feste Arbeitseinheiten, fixe transparente Abstimmungsrunden, flexible Anpassungen. Heißt: kein Chaos, sondern Prozessdisziplin. Und trotzdem maximal auf dem neuesten Stand.

Kanban

Kanban ist eine alte Methode für schlankere Produktionsprozesse und passt eher zufällig zum agilen Arbeiten. Auch durch Kanban wird der Prozess in kleinen Schritten nach und nach angepasst.
Das lässt sich gut auf einer Kanban-Tafel visualisieren. Etwa mit Post-its auf einem Whiteboard. Lautet das Beispiel-Projekt etwa „Großraumbüro in den dritten Stock umziehen“, werden die To-Dos „Wände streichen“, „Möbeltransport“, „IT-Umzug“ und „Pflanzentransport“ notiert.

Jedes To-Do hat vielleicht Unteraspekte. Beim „Wände streichen“ etwa „neue Wandfarbe aussuchen“, „Farbe und Pinsel kaufen“, „Streichen“. Jeder dieser Unteraspekte durchläuft nun auf der Zeitachse von links nach rechts etwa die Bereiche steht an - wird gerade erledigt - Überprüfung - erledigt

Das Beispiel wirkt simpel. Aber was, wenn das andere To-Do „Möbeltransport“ schon weit vorangeschritten ist? Wie wollen Sie dann den neuen Raum noch streichen, ohne die Möbel zu beschmieren? Sie brauchen Folie und Klebeband. Neuer Unteraspekt. Das kostet Zeit. Wie wirkt sich das auf den Transport der Computer aus? Hier hilft allen die Übersicht auf dem Kanban-Board.Und nicht immer geht es nur um einen Büro-Umzug über ein paar Etagen.

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5. Ihre Vision von Agilität

Wenn Sie Zeit und Muße gefunden haben, sich irgendwann einmal tiefer mit den Ideen zu beschäftigen, die hinter agilem Arbeiten stecken, werden Sie vielleicht die Lust verspüren, eine Unternehmens-Vision mit Ihrem Team zu vereinbaren, durch die Sie konkrete Schritte hin zu mehr Agilität in die Unternehmensstrategie aufnehmen. Und dank derer alle in Ihrer Firma jeden Tag daran erinnert werden, ihre Arbeit auf die Vorzüge des agilen Arbeitens auszurichten. Aber das kommt sicher nicht als erstes. Viel Erfolg bei den ersten Schritten!

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