Unser Kolumnist Marcus Werner ist Fernsehmoderator und Buchautor und arbeitet als Berater für Kommunikation und Persönlichkeitsentwicklung.
Wenn sich Menschen zum ersten Mal begegnen, braucht es nur wenige Sekunden, bis sie übereinander ein erstes Urteil gebildet haben. Dieses erste Blitzurteil kommt uns noch besonders in den Augenblicken zugute, wenn es darum geht, schnell zu entscheiden: Droht körperliche Gefahr oder nicht? Weglaufen oder ruhig Blut? Etwa wenn uns fremde Menschen spät nachts in dunklen Unterführungen begegnen und dann auch noch ansprechen. Braucht hier jemand Hilfe oder will hier jemand seine oder ihre körperliche Überlegenheit und den Überraschungseffekt gegen mich ausnutzen?
Im Berufsleben könnten wir uns eigentlich ein wenig mehr Zeit lassen, um uns ein Bild von den Anderen zu machen. Aber dennoch haben wir es tief in unseren Instinkten: Der erste Eindruck sitzt und lässt sich nachträglich nur mit viel Aufwand korrigieren.
Da leuchtet es ein, dass es sich lohnt über eine gelungene Begrüßung nachzudenken. Vor der Pandemie war klar: Wir schütteln uns die Hände. Punkt. Jemandem den Handschlag zu verweigern, war bis dato ein knallharter Affront. Die Demütigung, die Hand ungeschüttelt wieder zurückziehen zu müssen, hat kaum jemand von uns häufiger erlebt, unterstelle ich mal. Selbst wer beide Hände voll zu tragen hatte, hat bis dahin zumindest den kleinen Finger abgespreizt hingereckt und lachend gesagt: „Ich mach einfach mal so.“
Gegenwärtig behelfen wir uns mit allerlei neuartigen Grußritualen. Der Fußschlag als Ersatz für den Handschlag hat sich nicht durchgesetzt - und ich sage: Zum Glück! Das war nicht nur für die Träger von hellen Wildlederschuhen eine Strapaze, sondern auch für alle, denen es vor allem darum ging, fremden Aerosolen aus dem Weg zu gehen. Denn wer standsicher den Fuß vorreckte, konnte nicht allzu weit vom Anderen entfernt stehen.
Mittlerweile kommen wieder die ersten Mitmenschen auf andere zu und strecken die Hand zum Schütteln aus. Und vielen wird dabei ganz mulmig. Denn auch schon vor der Pandemie war es nicht eines jeden Sache, in vielleicht verschwitzte, vielleicht aber auch schmutzige Hände zu greifen, die vorher womöglich noch unter der laufenden Nase entlang gezogen oder nass gehustet worden waren oder beim Toilettengang im handfesten Einsatz gewesen waren, ohne danach zwanzig, dreißig Sekunden mit viel Seife in alle Ecken und Falten gewaschen worden zu sein.
Der Händedruck bleibt mit Blick auf Grippe, Magendarm-Infekte und andere Kontaktinfektionen auch dann ein Risiko, wenn die Corona-Pandemie endemisch geworden sein wird.
Andererseits: Den angebotenen Handschlag auszuschlagen, gilt auch heute noch als heikel. Selbst wenn wir dazusagen: „Nehmen Sie es mir nicht übel, aber ich schüttele grundsätzlich keine Hände mehr.“ Die Hand der oder des Anderen hinge einsam in der Luft. Und gerade beim Kennenlernen neuer Leute hätte die Begrüßung direkt einen Effekt, der das Gegenteil wäre von dem, was wir erreichen wollen: dem Gegenüber ein gutes erstes Gefühl zu vermitteln. Der erste Moment wäre vergeigt.
Was also tun? So würde ich es machen:
1. Fragen Sie Ihre Belegschaft
Wie wollen wir uns und andere künftig begrüßen? Denn Begrüßungsrituale betreffen ja nicht nur erste Kennenlernmomente mit Fremden. Gerade jetzt, da viele nach und nach wieder aus dem Homeoffice zurückkehren, oder bald auch nach mehreren Wochen aus dem Herbsturlaub, kommt es zu freudigen Wiedersehensmomenten. Mit dem Potenzial zu unbehaglichen Sekunden heutzutage. Die eine will umarmen, die andere eher winken, der eine will den Handschlag, der andere eher ein kurzes Schulterklopfen.
Ich habe gelesen, dass größere Firmen mit großen Teams mitunter zu visuellen Signalen greifen. Jeder und jede darf sich da etwa aus einem Schlüsselband-Buffett eines von drei unterschiedlich farbigen Bändern nehmen, um damit später allen zu signalisieren, wie er oder sie es denn hält mit dem Begrüßen: Etwa grün für „lass uns einander in die Arme fallen“, orange für „Nähe okay, aber bitte nicht berühren“ und rot für „bitte Abstand“ - oder so ähnlich. Das mag beim ersten Gedanken daran überkandidelt wirken, ich glaube aber, es kann auf viele sehr befreiend wirken, weil das Thema damit ohne Diskussionen aus der Welt ist.
2. Rituale extern ankündigen
In der Regel kommt es im Berufsalltag vor ersten Begegnungen mit Externen zu schriftlicher Kommunikation. Etwa beim Eintüten von Vorstellungsgesprächen. Sie könnten als eine Art Standard-Info zu jeder Terminvereinbarung den schriftlichen Hinweis mitsenden: „Übrigens: Wir freuen uns sehr, Sie bald persönlich kennenzulernen. Weil wir festgestellt haben, dass vielen unserer Gäste eine Begrüßung mit mehr Handhygiene wichtig geworden ist, verzichten wir einheitlich auf den Handschlag und empfangen Sie mit einem genauso herzlich gemeinten Lächeln.“
Und genau darum geht es ja: Um unverstellte Herzlichkeit. Um Aufgeschlossenheit. Um Freude am Kennenlernen. Machen wir uns und anderen klar: Der Handschlag ist dafür nur eines von vielen symbolischen Ritualen.
3. Als Erste(-r) eindeutig grüßen
Selbst wenn Sie selber keine größeren Vorbehalte gegen das Händeschütteln mehr hegen: Rechnen Sie beim Gegenüber damit. Mein Rat: Setzen Sie selber den Maßstab und bieten Sie Fremden eine kontaktlose Begrüßung an (selbst wenn Sie es nicht vorab ankündigen können oder wollen). Wenden Sie bei der ersten Begegnung früh ein Begrüßungsritual an, noch bevor der oder die Andere auf die Idee kommt, Ihnen die Hand entgegenzustrecken, denn dann sind alle Unklarheiten rechtzeitig beseitigt und machen einem guten, sicheren Gefühl von Entspannung Platz.
Ich persönlich mag sehr die Geste mit der flachen rechten Hand auf dem eigenen Brustkorb in Höhe des eigenen Herzens. Es ist ein Symbol für Herzlichkeit, nimmt die eigene rechte Hand in Beschlag und gibt uns die Möglichkeit, der Begrüßung ein oder zwei Sekunden deutlich sichtbar als Ritual wirken zu lassen, so dass kein Zweifel aufkommt, dass dies nun der lieb gemeinte Moment des ersten Grußes war.
Andere nach meiner Erfahrung mittlerweile etablierte Rituale sind Faust-an-Faust (wirkt auf mich persönlich allerdings weder sonderlich nahbar, noch richtig hygienisch) oder eine angedeutete Verbeugung (die wirkt allerdings oft nicht eindeutig und verlockt das Gegenüber daher dazu, trotzdem den Handschlag anzubieten). Probieren Sie doch mal die Hand aufs Herz aus.
4. Worte statt Taten
Bei der ersten Begrüßung ist das Ritual ja nur Mittel zum Zweck. Nennen Sie es Ehrerbietung oder Ausdruck von Respekt und Freude. Dies gelingt aber - wie gerade beschrieben - auch ohne Händedruck mit anderen Ritualen. Letztendlich zählt aber allein, dass Respekt und Freude aufrichtig rüberkommen. Und das gelingt Ihnen vor allem durch Worte. Wenn Sie sagen: „Ach, wie schön, dass es geklappt hat und dass wir uns heute endlich mal persönlich kennenlernen. Kommen Sie mit, wir haben im Konferenzraum schon Kaffee und Kekse vorbereitet“, dann brauchen Sie keinen Handschlag, um ein gutes Gefühl aufkommen zu lassen.
Wenn Sie diese Worte verbinden mit der Hand aufs Herz, sagen Sie doch einfach noch „ich mach mal so“ dazu, so wie damals mit dem gereckten kleinen Finger bei vollbeladenen Händen.
5. Keine Angst vor der Blamage
Sollte es doch einmal zu einer Hand-hin-ach-nee-doch-nicht-Hand-wieder-weg-Situation kommen: Versinken Sie nicht gemeinsam im Boden, sondern gehen Sie souverän in die Kommunikations-Offensive. Fegen Sie das Gefühl einer Demütigung beim Gegenüber sofort weg: „Ach, diese unklaren Begrüßungsformen heutzutage. Davon lassen wir beide uns aber nicht die gute Laune verderben, was? Ich freue mich sehr, Sie zu sehen.“
Sollten Sie selber die Hand hinstrecken und der oder die Andere will sie nicht so recht mit Schwung ergreifen: „Ah, Sie haben ja so recht. Aus lauter Freude über unser Kennenlernen war ich jetzt zu vorschnell. Aber moderner ist es ja ohne.“ Und dann fassen Sie sich ans Herz oder winken oder schließen die Hand zum Faust-an-Faust-Gruß.
Denn das ist ja das Gute: Wir sind in diesen Monaten alle noch irgendwie etwas unsicher. Daraus können Sie ja auch einen verbindenden Moment kreieren, der Sie beide spüren lässt, dass Sie etwas gemeinsam haben. Nämlich die Frage im Kopf: Wie begrüßen wir uns denn nun am elegantesten? Meiner Ansicht nach unterm Strich: Eindeutig in der Geste, früh erkennbar für unser Gegenüber und zumindest noch zurzeit ohne Handschlag.
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Mehr zum Thema: Jeder, wie er oder sie will – bei der Begrüßung wird das schnell peinlich. Denn viele Rituale sind Teamwork. Damit künftig nicht immer schon beim ersten „Guten Tag“ die Stimmung am Boden liegt, müssen wir jetzt gemeinsam eine neue Tradition festlegen.