Kleine Dosis, große Versprechen Was bringt Microdosing wirklich?

Drogen in geringen Mengen helfen bei der Ideenfindung und der Konzentration, sagen manche. Aber stimmt das wirklich? Quelle: Mauritius Images

LSD oder Magic Mushrooms, in kleinen Mengen regelmäßig konsumiert, sollen Produktivität und Kreativität steigern. Doch lohnt es sich wirklich, diesem Trend aus dem Silicon Valley nachzueifern?

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Der perfekte Werbespruch für die Dopingmittel der modernen Wissensarbeiter klingt so: „Es schärft meinen Fokus und meine Intuition, erhöht meine Produktivität und Energie. Gedanken und Ideen fliegen mir zu.“ Diesen Satz schrieb ein Nutzer der sozialen Diskussionsplattform Reddit in ein Unterforum über seine neue Angewohnheit: Microdosing. Das Wort beschreibt die Praxis, sich alle paar Tage winzige Dosen an psychedelischen Drogen wie LSD oder Psilocybin, dem Wirkstoff von Magic Mushrooms, zu genehmigen.

Es soll, so seine Verfechter, die Wirkung haben, die man sich sonst von Kaffee erhofft, aber dieser selten einhält.

Der Trend geht zurück auf den Leitfaden des Psychologen James Fadiman „The psychedelic explorer’s guide“. Darin erklärt er – basierend auf seinen Erfahrungen aus 40 Jahren eingehender Selbststudien –, wie man psychedelische Substanzen wie LSD oder das in Pilzen vorkommende Psilocybin sicher und zum eigenen Nutzen konsumiert. Große Dosen empfiehlt er für Erfahrungen, die spirituelle Erleuchtung versprechen. Kleinere dagegen, um handfeste Probleme zu lösen. Der perfekte Trip für den heutigen Arbeitsalltag.

In bestimmten Bereichen der Unternehmenswelt wurde bereits früh mit Psychedelika experimentiert. Über Steve Jobs ist bekannt, dass er gerne LSD zu sich nahm. Ein Teil seiner Kreativität wird damit auch der Droge zugeschrieben. In seiner Biografie ist ein Vorstellungsgespräch überliefert, in dem er als Apple-Boss einen Bewerber fragte, wie oft er in seinem Leben LSD genommen habe.

Überhaupt waren die Unternehmer aus der Bay Area den psychoaktiven Substanzen nie abgeneigt. Kein Wunder also, dass die Praxis der Mikrodosierung als geheimer Produktivitätstrick des Silicon Valley bekannt wurde und später in der internationalen Start-up-Szene begeisterte Nachahmer fand. Aber kann es wirklich so hilfreich sein, eine verbotene und unregulierte Substanz regelmäßig in kleinen Mengen zu konsumieren, um dadurch gesünder, kreativer und produktiver zu werden?

Ein Blick in die aktuelle Forschungsliteratur hilft bei der Beantwortung dieser Frage weiter.

Die Idee hinter dem Trend ist simpel: Auch wenn man in geringen Mengen keine bewusste Wirkung der Drogen spüre, würden die Substanzen im Gehirn für kreativere Ideen und bessere Konzentration sorgen. Bis auf anekdotische Evidenz und die Erzählungen einsamer Psychonauten gab es lange Zeit keine Erkenntnisse darüber, wie und ob die Stoffe wirklich wirken. Mittlerweile werden psychedelische Substanzen aber auch für die Behandlung psychischer Erkrankungen erforscht. Für Psilocybin beispielsweise laufen seit Ende 2019 Studien, um ein Zulassungsverfahren bei den Aufsichtsbehörden einzuleiten. Im Zuge dessen sahen Forscher auch einen guten Moment, um das Microdosing näher zu betrachten. Ihre Ergebnisse sind ernüchternd.

Eine Studie widmete sich einer sehr grundlegenden Frage: Wer konsumiert die Substanzen und in welcher Form? Auf Diskussionsplattformen wie Reddit tauschen sich die Praktizierenden darüber aus, in welchen Rhythmen und Mengen die Einnahme der Substanzen bei ihnen am besten wirkt. Der australische Psychologe Toby Lea, der derzeit an der Deutschen Institut für Sucht- und Präventionsforschung (DISuP) der Katholischen Hochschule Nordrhein-Westfalen in Köln forscht, wertete diese Forendiskussionen gemeinsam mit zwei Kollegen aus.

Sie konnten daraus schließen, dass es ein grundlegendes Ziel der geringen Dosierung ist, die psychedelischen Effekte der Drogen zu vermeiden. Eine Mikrodosis habe unter den Konsumenten von LSD zwischen 4 und 20 Mikrogramm, bei Psilocybin liegt sie zwischen 0,1 und 0,6 Gramm und werde etwa alle drei bis fünf Tage eingenommen.

Die Gründe für das Microdosing sind unterschiedlich: Manche wollen damit ihre mentale Gesundheit verbessern, andere erhoffen sich lebensverändernde Erkenntnisse. Und wiederum andere tun es, um ihre kognitive Leistungsfähigkeit zu verbessern. „Am Tag, nachdem ich Psilocybin nehme, bin ich superproduktiv, es ist erstaunlich. Ich habe einfach einen klaren Kopf, bin ruhig und alles ist großartig“, zitieren die Forscher jemanden, der auf Microdosing setzt.

In einer Placebo-kontrollierten Doppelblind-Studie hat eine Gruppe um Anya Bershad von der Universität Chicago diese Effekte nun zum ersten Mal untersucht. Sie verabreichte dazu 20 jungen, gesunden Erwachsenen im Abstand von jeweils einer Woche verschiedene Dosen LSD. In zufälliger Reihenfolge bekamen sie null Mikrogramm als Placebo, sechseinhalb, 13 oder 26 Mikrogramm. Danach wurden ihre Stimmung und ihre Körperfunktionen in regelmäßigen Abständen kontrolliert. Außerdem bekamen sie Aufgaben, um ihre kognitiven und emotionalen Funktionen zu testen.

Die beiden höheren Dosen verursachten dabei messbare subjektive und physiologische Effekte: Die Probanden spürten den Einfluss der Droge, ihr Körper reagierte darauf. Allerdings veränderte keine der vier Dosen die Stimmung oder depressive Gefühle. Auch die kognitive Leistung veränderte sich nicht. In Sachen Kreativität zeigte sich ein ähnliches Ergebnis: Der Einfluss von LSD erhöhte die Zahl der neuen Anläufe, die Teilnehmer für eine kreative Aufgabe nahmen, marginal. „Insgesamt haben wir minimale Effekte auf die Hirnfunktion erkannt“, schreiben die Autoren.

Kim Kuypers sieht die Praxis auch aufgrund dieser Studienergebnisse kritisch. „Es gibt bislang keinen wissenschaftlichen Beweis dafür, dass Microdosing wirkt“, sagt die Psychologin, die an der Universität Maastricht forscht. In ihren eigenen Studien hat sie zwar ein paar mögliche Hinweise gefunden, in welchen Fällen die Substanzen hilfreich sein können. Um sie wirklich zu nutzen, müssten sie aber noch viel mehr erforscht werden. „Ich würde diese Art des Dopings nicht empfehlen“, sagt Kuypers, „Wir können auch ohne sie sehr kreativ und produktiv sein.“

Mehr zum Thema: Weil Antidepressiva oft nicht wirken, steckt die Pharmabranche Millionen in bewusstseinserweiternde Drogen für die Psychotherapie. Davon profitiert ein deutsches Start-up, an das Investor Peter Thiel glaubt.

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