Bis zu 15 Prozent der Arbeitszeit verbringen Angestellte laut einer Studie des Beratungsunternehmens KPMG mit Streitereien. Konflikte ziehen Fehlzeiten, Kündigungen und geringere Arbeitsqualität nach sich – und führen selbst für einzelne Unternehmen zu Kosten in Millionenhöhe. Konfliktmanagement-Experte Timo Müller erklärt im Interview, warum es überhaupt zu Zoff am Arbeitsplatz kommt und wie Chefs den Büro-Frieden bewahren können.
WirtschaftsWoche: Was ist der häufigste Grund, wenn sich Kollegen streiten?
Timo Müller: Schon Kleinigkeiten können zu großen Konflikten führen. Zum Beispiel Formulierungen. Damit kann eine Person die andere verärgern oder verletzen – ohne dass sie überhaupt die Absicht hatte. Die verletzte Person ist beim nächsten Aufeinandertreffen im Konfliktmodus und schlägt zurück. Danach sind beide Seiten verstimmt. Dann ist es oft schon so weit gekommen, dass sie bei Begegnungen auf dem Flur denken „Den kann ich nicht leiden.“.
Zur Person
Timo Müller leitet das Institut für Konfliktmanagement und Führungskommunikation (IKuF) . Er ist Doktor der Wirtschafts- und Sozialwissenschaften und promovierte im Feld der Konfliktforschung. Als Experte für „erfolgreiches Konfliktmanagement“, „effektive Feedback-Kommunikation“ und "motivierende Führungskommunikation" engagiert er sich im deutschsprachigen Raum. Müller ist Business-Trainer, Vortragsreferent, Konfliktmoderator/-coach und Autor. Er leitet neben den Inhouse-Kursen auch offene IKuF-Kurse in Köln, Hamburg und München.
Wenn sich Kollegen tatsächlich nicht leiden können, knallt es dann nicht zwangsläufig?
Es gibt vier Kommunikationsirrtürmer. Einer davon ist, dass man den anderen als Bösewicht abstempelt, aber gar nicht seine eigene Schuld am Konflikt sieht. Wer das erkennt, kann an seinem eigenen Verhalten arbeiten. Dann ändert auch der vermeintliche Bösewicht teilweise sein Verhalten.
Diese Irrtümer herrschen über Konflikte in Unternehmen
Viele Führungskräfte erfassen soziale Interaktionen innerhalb ihres Team bzw. ihrer Abteilung nur im ,,Wahrnehmungsraster" ihres individuellen Alltagswissens. Ihnen fehlen professionelle Konfliktmanagement-Fähigkeiten. Resultierend ist die jeweilige Führungskraft nicht dazu in der Lage, Konflikte und Konfliktpotentiale frühzeitig zu erkennen und - als Folgeschritt - situationsadäquat zu handeln.
Zur schwach ausgeprägten Konflikt-Wahrnehmungsfähigkeit kommt negativ verstärkend hinzu, dass auch die Personen im Unternehmen, die letztendlich über Personalentwicklungsmaßnahmen entscheiden, nur ein unvollständiges Bild der Konfliktsituation im Unternehmen haben.
Quelle: Institut für Konfliktmanagement und Führungskommunikation (Ikuf)
Konflikte werden gerne als Ergebnis einer ,,Charakter-Schwäche" des Konflikt-Gegenübers erlebt. Da Charakterzüge nur schwer veränderbar sind, habe ich - als Konflikbeteiligter - scheinbar keine Möglichkeit, konstruktiv auf die Konfliktsituation Einfluss zu nehmen.
Für manche Führungskräfte und Entscheider wird das Konfliktmanagement nur als ein Teil eines Grundlagen-Kommunikationskurses wahrgenommen. Diesen Personen ist nicht präsent, dass in einem Konfliktmanagement-Kurs spezielle Kenntnisse und Fähigkeiten vermittelt werden, die thematisch über die Grundlagenkenntnisse der Kommunikation weit hinausreichen.
Wie Studien belegen, liegen die durchschnittlichen Konfliktkosten eines Unternehmens bei über 10 Prozent der Personalkosten. Dieser Zusammenhang ist in vielen Unternehmen nicht bekannt. Entscheider in Unternehmen wissen teilweise auch nicht, welche positiven Effekte es hat, wenn Konflikte am Arbeitsplatz angemessen ausgetragen und gelöst werden. Erfolgreiches Konfliktmanagement von Führungskräften und Mitarbeitern führt z.B. zu weniger Demotivationen, zu weniger Fehlzeiten und einer niedrigeren Fluktuationsquote.
Wie weit kann es führen, wenn ich dabei bleibe, dass der andere „an allem Schuld“ ist?
Der Konflikt kann tatsächlich so weit führen, dass die beiden Parteien innerhalb des Teams Konfliktlager bilden und die Seiten sich mit scharfen Worten und Aggressionen angehen. Die versteckte Form ist in diesem Fall der Sarkasmus.
Muss der Vorgesetzte dann nicht einschreiten?
Manche Angestellte tragen den Konflikt auch nicht-öffentlich aus, indem sie hinter dem Rücken des jeweils anderen gegen ihn vorgehen. Das Gefährliche daran ist, dass die Führungskraft davon häufig nichts mitbekommt, dabei aber ein wirtschaftlicher Schaden entsteht.
Wodurch entsteht der Schaden?
Mitarbeiter arbeiten langsamer als üblich oder melden sich krank, obwohl sie es gar nicht sind. Viele geben sich auch weniger Mühe bei ihren Aufgaben, sodass die Qualität des Produktes leidet. Das führt zu hohen Unkosten, weil die Konflikte ungelöst bleiben.
Sind Mitarbeiter-Konflikte am Arbeitsplatz deshalb ein Kündigungsgrund?
Im Normalfall nicht. Der Mitarbeiter muss sich enorm daneben benehmen. Als Führungskraft muss ich verhindern, dass es erst zu solch einer Situation kommt. Eine Lösung wäre zum Beispiel, dass der Chef einen der Mitarbeiter in eine andere Abteilung versetzt. Vorher sollte der Chef allerdings schauen, ob dem Streit zwischen zwei Mitarbeitern ein gewisses Muster zugrunde liegt. Vielleicht reicht es auch schon, wenn die beiden nicht mehr gemeinsam an demselben Projekt arbeiten.
Jetzt muss der Chef ran
Wann muss die Führungskraft einschreiten?
Die Führungskraft muss schon im Vorfeld eines Konflikts Präventionsarbeit leisten. Sie muss ihre Mitarbeiter beobachten und einen Blick dafür entwickeln, wann es sinnvoll ist, einzuschreiten. Wenn der Konflikt stark eskaliert, ist es schon zu spät.
Was heißt das konkret?
Das ist der Fall, wenn der Mitarbeiter mit Bauchschmerzen zur Arbeit geht, der Kollege zum Feindbild geworden ist. Dann gibt es bereits einen wirtschaftlichen Schaden.
Wie müssen Chefs auf die Streithähne zugehen, um das zu verhindern?
Ich würde als Führungskraft unauffällig das Gespräch mit den Mitarbeitern suchen, ohne dass die anderen es mitbekommen und denken „Da muss etwas im Busch sein“. Der Chef sollte offen fragen, ob alles in Ordnung ist und bei Konflikten Unterstützung anbieten. Ungefähr so: „Schafft ihr das alleine oder sollen wir uns zu dritt zusammensetzen und darüber reden?“
Wie geht es dann weiter?
Wenn die Mitarbeiter die Hilfe der Führungskraft annehmen, ist es ihre Aufgabe, den Kommunikationsrahmen für die beiden Mitarbeiter zu gestalten. Viele Führungskräfte meinen, das Staffelholz in dieser Situation übernehmen zu müssen. Das ist falsch. Denn auch wenn die Führungskraft den Konflikt in zwei Minuten lösen kann, ist das nicht ihre Aufgabe. Nur wenn beide Mitarbeiter sich von selbst einigen, ist die Konfliktlösung nachhaltig – und es kommt mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit wieder zum Streit.
Gibt es typische Fettnäpfchen, in die Chefs in diesen Gesprächen treten können ?
Wenn Chefs sich nicht mit Konfliktmoderation auskennen, kann das zu vielen Problemen führen. Zum Beispiel dazu, dass die Führungskraft zu autoritär auftritt, sich einmischt oder sich eine Partei benachteiligt und isoliert fühlt. So verhärtet der Konflikt sich womöglich noch. Führungskräfte müssen in einer solchen Situation enorm sensibel sein.
Wenn der Chef also ausgebildeter Konfliktmoderator ist, versteht sich jeder im Team automatisch mit seinen Kollegen?
Dass sich dann jeder mit jedem versteht, geht vom Anspruch her zu weit. Wenn jeder aber am Ende des Tages behaupten kann „Ich nehme keinen seelischen Ballast mit nach Hause.“, ist das schon gut.