"Ich hab' Rücken": Rückenschmerzen vom vielen Sitzen, Hexenschuss oder Bandscheibenvorfall sind eine regelrechte Volkskrankheit. Kein Wunder, dass Rückenschmerzen zu den drei häufigsten Erkrankungen gehören, wegen denen die Deutschen nicht zur Arbeit gehen. Auch die Erkältung ist dabei. Genauso wie psychische Erkrankungen wie Burnout oder Depressionen.
Gemäß einer Analyse der Krankenkasse DAK-Gesundheit mit Daten von rund 2,3 Millionen berufstätigen Versicherten entfiel ein Großteil der Krankschreibungen im ersten Halbjahr 2017 auf diese drei Erkrankungen. 55 Prozent aller gelben Zettel wurden wegen Rückenschmerzen, Rotznase oder kranker Seele ausgestellt.
Insgesamt sank der Krankenstand im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zwar leicht von 4,4 auf 4,3 Prozent, die durchschnittliche Erkrankungsdauer stieg jedoch von 12,3 auf 12,6 Tage. Wer wegen einer psychischer Erkrankung nicht arbeiten kann, fehlt dagegen im Schnitt 34,7 Tage.
Depression: Volkskrankheit mit Versorgungsdefiziten
Depressionen gehören zu den häufigsten psychischen Erkrankungen. Bis 2020 werden sie laut Weltgesundheitsorganisation weltweit die zweithäufigste Volkskrankheit sein, vor Diabetes mellitus (Zuckererkrankung) oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Dabei gibt es immer noch erhebliche Versorgungsdefizite, so das Robert Koch Institut (RKI).
Je nach Statistik haben schätzungsweise vier bis fünf Millionen Menschen in Deutschland eine Depression. Nach Zahlen des Spitzenverbandes der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gab es 2015 insgesamt 1,12 Millionen stationäre Fälle von GKV-Patienten, die die Diagnose Depression hatten. Der weitaus größte Teil davon wurde jedoch wegen anderer Erkrankungen stationär behandelt. Depression war also häufig „nur“ Nebendiagnose. GKV-Patienten mit Hauptdiagnose Depression gab es insgesamt bei rund 316 500 stationären Fällen. Genaue Zahlen über ambulante Fälle gibt es nicht.
Betroffene leiden unter einer gedrückten Stimmung, Traurigkeit oder inneren Leere, Antriebs-, Freud- und Interessenlosigkeit. Weitere Symptome können Konzentrationsmangel, schwindendes Selbstwertgefühl und Selbstvertrauen sein. Dann auch Müdigkeit, Schlafstörungen sowie Appetitlosigkeit und entsprechend Gewichts- sowie Libidoverlust. Auch Gefühle von Schuld und Wertlosigkeit kommen vor. Wenn eine bestimmte Anzahl dieser Grund- und Zusatzsymptome über 14 Tage anhält, spricht man je nach Anzahl und Schwere von einer leichten, mittelschweren oder schweren depressiven Episode. Bei schweren Depressionen kann es zu lebensmüden Gedanken kommen, die das Risiko einer Selbsttötung steigen lassen.
Depressionen haben auch körperliche Grundlagen, denn im Gehirn findet da etwas statt oder besser nicht statt. Bisher geht man davon aus, dass in bestimmten Regionen des Gehirns die Botenstoffe zwischen den Nervenzellen reduziert sind, so dass nicht ausreichend oder falsche Signale übertragen werden. Einer dieser Botenstoffe ist Serotonin. Hier setzen auch die Medikamente an. Sie sollen die Konzentration dieser Botenstoffe an den sogenannten synaptischen Spalten erhöhen.
Grundsätzlich ja. Heute gehe man von einem bio-psycho-sozialen Erklärungsmodell für Depressionen aus, erläutert die Direktorin des Alexianer St. Joseph-Krankenhauses in Berlin-Weißensee, Iris Hauth. Bio meint dabei auch, dass man eine angeborene Empfänglichkeit haben kann. „Es gibt mehrere Gene, die mittlerweile in unserer Erbausstattung identifiziert worden sind, die eine mögliche Anfälligkeit für Depressionen mit sich bringen.“ Doch Depressionen müssten nicht zum Ausbruch kommen. „Da müssen psychische und soziale Faktoren hinzukommen.“ Etwa schlimmer akuter Stress nach einem Autounfall oder längerer Stress, etwa durch Arbeitslosigkeit.
Wird eine depressive Erkrankung frühzeitig erkannt, ist sie in den meisten Fällen gut behandelbar. Zwei Drittel der Episoden klingen laut Hauth gut ab, auch wenn eine erhöhte Sensibilität bleiben kann. 20 Prozent werden chronisch. In der Regel gilt: Leichte Depressionen werden mit psychotherapeutischen Maßnahmen behandelt, mittelschwere mit psychotherapeutischen und - wenn der Patient es will - mit Medikamenten. Bei schweren Depressionen kommt auf jeden Fall beides zum Einsatz.
Ja, können sie haben. Um die Kriterien für eine Depression zu erfüllen, muss man sich ausdrücken und Gefühle äußern können. Ein Kleinkind, das keine Fürsorge bekommt, ist traurig und zeigt Zeichen einer frühkindlichen Depression. Aber eigentlich sieht man die klassischen Symptome einer Depression bei Kindern erst vom Schulalter an, erläutert der Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Neuruppin, Michael Kölch. Bei Kindern und Jugendlichen gebe es einen hohen Anteil reaktiver Depressionen, etwa, wenn sich die Eltern trennen, wenn die Eltern umziehen oder wenn der geliebte Opa stirbt. Mobbing in der Schule ist ebenfalls ein Risikofaktor. Die kindliche Symptomatik sei nicht nur traurige und niedergeschlagene Stimmung, sondern drücke sich oft auch in einem gereizten Stimmungswechsel aus.
Im Alter setzen sich Menschen mit ihrem Leben auseinander. Traumatische Ereignisse aus der Vergangenheit können hoch kommen. Verlusterlebnisse beim Tod des Partners oder der Partnerin können Auslöser sein. Zugleich muss man sich immer mehr mit körperlichen Gebrechen und Krankheiten abplagen. Typisch für das Alter sind auch viele Medikamente. Das alles kann psychische Krankheiten nach sich ziehen.
Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz gibt zu bedenken, dass rund 1,2 Millionen der über 60-Jährigen in Deutschland an Depressionen leiden. Doch nur sechs Prozent davon würden behandelt. Depressionen seien Hauptursache für Suizide. In Deutschland geht man insgesamt von 100.000 Suizidversuchen im Jahr aus. Etwa 10.000 Menschen bringen sich tatsächlich um.
Ja. Statistisch haben etwa 10 bis 25 Prozent der Frauen im Leben depressive Phasen, während es bei den Männern 4 bis 10 Prozent sind. Oberarzt Stefan Rupprecht vom Alexianer St. Joseph-Krankenhaus sagt, zwar sei die Depressionsrate bei Männern niedriger als bei Frauen, dafür aber die Suizidrate höher. Männer geben aber ihre Depressionen oft nicht zu, sind eher gereizt beziehungsweise aggressiv oder sind in sich gekehrt.
Die langen Ausfälle sind auch für den Arbeitgeber eine Belastung. Angaben der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) zufolge, führten krankheitsbedingte Fehlzeiten im Jahr 2015 zu volkswirtschaftlichen Produktionsausfälle von insgesamt 64 Milliarden Euro. Den Ausfall der Bruttowertschöpfung schätzt die BAuA auf 113 Milliarden Euro.
Altenpflegerinnen haben besonders häufig psychische Probleme
Manche Branchen sind von krankheitsbedingten Ausfällen ihrer Mitarbeiter stärker betroffen als andere. Grundsätzlich gilt: Wo körperlich gearbeitet wird, kommt es eher zu sogenannten Muskel-Skelett-Erkrankungen, die länger dauern, als der Schnupfen, der die Angestellten im Büro ans Bett fesselt.
Vor psychischen Erkrankungen ist niemand gefeit, besonders häufig kommen sie jedoch in sozialen und medizinischen Berufen vor, wie der aktuelle BKK Gesundheitsatlas belegt. Demnach sind die rund 3,2 Millionen Deutschen, die in diesen Berufen arbeiten, im Vergleich zu allen anderen Beschäftigten länger krank. Krankenpfleger, Ärzte, Sozialpädagogen, Erzieherinnen und Co. sind im Schnitt 16 Tage krank. Rund 24 Tage sind es diejenigen, die in Pflege- oder Altenheimen arbeiten.
Das Lagern, Waschen, Anziehen und Versorgen der Bewohner geht auf Knochen und auf Seele.
Symptome einer Depression
Deutliche Geschlechtsunterschiede finden sich bei der sogenannten unipolaren Depression, von der Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Diese Form ist gekennzeichnet durch Symptome wie verminderten Antrieb oder gesteigerte Müdigkeit, ...
... depressive Stimmung in einem ungewöhnlichen Ausmaß, die fast jeden Tag mindestens über zwei Wochen hinweg auftritt, ...
...Verlust an Interessen, keinerlei Freude mehr an Tätigkeiten, die einem früher mal Spaß und Befriedigung gebracht haben, ...
...Verlust des Selbstvertrauens und des Selbstwertgefühls sowie Selbstvorwürfe und Selbstzweifel,...
...Konzentrationsschwäche, Schlafstörungen, Appetitverlust oder gesteigerter Appetit.
(Quelle: Ursula Nuber, "Wer bin ich ohne dich?", Campus-Verlag)
Entsprechend sind Frauen, die in Pflegeheimen arbeiten, die Spitzenreiter hinsichtlich psychischer Erkrankungen. Sie sind doppelt so lange seelisch krank wie der Durchschnitt aller Arbeitnehmer (4,6 Krankentage in Pflegeheimen gegenüber 2,3 Tage bei den Beschäftigte aller Branchen).
Das liegt nicht nur daran, dass die Altenpflegerinnen - in der Statistik ist explizit von weiblichen Pflegekräften die Rede - einen emotional kräftezehrenden Job machen.
In Gesundheitsberufen werde auch erstaunlich wenig für die psychische Gesundheit der Mitarbeiter getan, wie die BKK moniert. In 57 Prozent der Altenheime und Seniorenresidenzen gebe es keine betriebliche Gesundheitsförderung - weder für Körper noch Geist. Sind solche Maßnahmen jedoch vorhanden, ist die Inanspruchnahme sehr hoch (79 Prozent).
Die Maßnahmen rentieren sich auch für den Arbeitgeber - unabhängig davon, ob es sich um ein Pflegeheim, einen Produktionsbetrieb oder einen Software-Entwickler handelt. Unternehmen mit betrieblicher Gesundheitsförderung beklagen geringere Fehlzeiten ihrer Mitarbeiter. Durchschnittlich werden - konservativ gerechnet - für jeden in derartige Maßnahmen investierten Euro allein durch die Reduktion von Fehlzeiten 2,70 Euro eingespart.