Menschen wie Bredack wollen raus aus dem Korsett aus fremdbestimmten Überstunden, Dienstreisen über drei Zeitzonen, dem täglichen Konferenzmarathon, wollen ein selbstbestimmteres Leben führen. Trotz erwiesener Erfolge empfinden viele, die sich in der Lebensmitte am Scheideweg wähnen, ihr bisheriges Berufsleben als Sackgasse, die sie aber nicht als Endstation beruflicher Sehnsucht akzeptieren. Etwas Neues muss her – weil sie im alten Umfeld keine Entwicklungsmöglichkeiten sehen. Weil sie einen vom Arbeitgeber erzwungenen Abgang zu einer befristeten Auszeit und bewussten Neuorientierung nutzen. Weil sie sich klar darüber sind, dass es anders als vor 10, 20 Jahren nicht mehr darum geht, die letzten Berufsjahre bis zum möglichen Vorruhestand mit Mitte 50 irgendwie mit Anstand über die Bühne zu kriegen, um sich dann ins Pensionärsdasein zu verabschieden. Sondern dass auch zwischen 40 und 50 noch Jahrzehnte vor einem liegen, die sinnvoll verbracht werden wollen. Sei es aus schierer ökonomischer Notwendigkeit. Oder einfach, weil einen der Kampf ums Golfhandicap allenfalls ein paar Wochen ausfüllt und die Aussicht auf wochenlange Seniorenkreuzfahrten abschreckt. Und sie sich fragen: Was kann ich mir noch zutrauen?
Offenbar immer mehr: Laut Deutscher Rentenversicherung stieg das durchschnittliche Renteneintrittsalter zwischen 1995 und 2012 von 62 auf 64 Jahre. Die Zahl der Arbeitnehmer, die zwischen 60 und 64 Jahre alt sind, verdoppelte sich laut Bundesagentur für Arbeit in den zurückliegenden Jahren auf 1,5 Millionen. Und laut Demografie-Forscher Axel Börsch-Supan will jeder dritte Rentner gerne wieder arbeiten. Andere hoffen durch einen Wechsel wieder auf mehr Spaß im Job: Laut einer Umfrage des Forschungsunternehmens Gallup sind in Deutschland nur 15 Prozent der Beschäftigten emotional stark an ihren Arbeitgeber gebunden. 61 Prozent dagegen machen Dienst nach Vorschrift, jeder vierte Mitarbeiter hat die innere Kündigung bereits vollzogen – Tendenz steigend.
„Wunsch nach inhaltlicher Erfüllung“
„All diese Menschen suchen nach einem Neuanfang – nicht, weil sie nicht mehr arbeiten wollen, sondern, um ihre Energie in ein Projekt zu stecken, bei dem nicht zwingend das Geldverdienen im Vordergrund steht, sondern der Wunsch nach inhaltlicher Erfüllung“, sagt Sophia von Rundstedt, Chefin des gleichnamigen Personaldienstleisters. „Ihnen geht es ums gezielte Umschalten – um die Lust, dem Leben einen neuen Sinn zu geben.“
Für Renate Krümmer besteht dieser Sinn derzeit auch in dem „geistvoll sinnlichen Farbzusammenklang von leuchtendem Kobaltblau und frischem Limonengelb“: So umschreibt die 57-Jährige die Kolorierung des Kleidungsstücks, das der Expressionist Max Pechstein wählte, als er 1918 seine Frau porträtierte. Die Beschreibung des Ölgemäldes „Die chinesische Jacke“ stammt aus Krümmers aktuellem Katalog, den die Kunsthändlerin für ihren Auftritt auf der Messe Cologne Fine Art Ende November in Köln produzieren ließ. Für 480.000 Euro wird Krümmer das Pechstein-Gemälde auf ihrem in Grün- und Fliedertönen gehaltenen Stand anbieten, neben gut zwei Dutzend weiteren Ölgemälden, Zeichnungen und Skulpturen von durchlauchten Künstlern wie Emil Nolde, Ernst Barlach oder Ernst-Ludwig Kirchner.
Hobby zum Beruf gemacht
„Frauen der Moderne“ – der Titel ihres Katalogs ist Krümmer Programm, nicht nur für die Messe in Köln: Sie hat sich fokussiert auf die Darstellung der Frau in der Periode zwischen 1870 und 1950. Als „kleine, aber ergiebige Nische“ bezeichnet Krümmer ihr Spezialgebiet, das sie vor gut drei Jahren vom leidenschaftlichen Hobby zu ihrem Beruf gemacht hat – mit 53 Jahren, nach einer Vorzeigekarriere als Finanzmanagerin, zuletzt als Deutschland-Chefin des US-Finanzinvestors J.C. Flowers. „Ich habe mich ohne Verbitterung aus der Finanzbranche verabschiedet“, sagt Krümmer, die auch heute noch über diverse Aufsichtsratsmandate bewusst Kontakt zu ihrer alten Welt hält. „Ich wollte mich dem Ruf der Kunst nicht verschließen – etwas Genialeres konnte mir nicht passieren.“ Längst zählt sie auch Ex-Kollegen zu ihren Kunden, „die vertrauen mir, weil sie wissen, ich spreche ihre Sprache. Da kann ich beide Welten miteinander verbinden.“
Jahrelang gab es für Renate Krümmer vor allem eine Welt: die der Zahlen. Aufgewachsen in Köln – „eine Kindheit mit Kohleöfen, aber ohne eigenes Zimmer“ –, tun die Eltern alles dafür, ihren Kindern eine gute Ausbildung zu finanzieren. Krümmer nimmt einen einstündigen Schulweg auf sich, um ein renommiertes Mädchengymnasium am anderen Ende der Stadt zu besuchen. Der Lebensstandard ihrer Freundinnen ist wesentlich höher – und weckt in Krümmer den „innigsten Wunsch, später auch in einer so schönen Umgebung zu wohnen“.