Lebensmitte Neuanfang mit über 40

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Leben auf dem Prüfstand

Wo die Deutschen am liebsten arbeiten
Hamburg 42 Prozent der XING-Nutzer würden gerne in der Hansestadt arbeiten. Den Ersten Bürgermeister der Freien und Hansestadt, Olaf Scholz, freut es: "Hamburg ist attraktiv für junge Berufstätige, die hier Arbeit und Familie miteinander vereinbaren können. Es ist gut, wenn man eine Stadt aus dem Blickwinkel berufstätiger Eltern betrachtet. Und es ist gut, dass Hamburgs Attraktivität Berufstätige anlockt. Sie bereichern unsere Stadt - mit ihren Ideen, Plänen und ihrer Kreativität." Quelle: dpa
MünchenLebensqualität, der Freizeitwert und die Familie sind maßgebliche Motivation - auch in München, wo 35 Prozent der Befragten gerne arbeiten würden. Das Gehalt spielt lediglich eine untergeordnete Rolle. Das geht aus einer Umfrage hervor, die das berufliche Netzwerk, Xing unter seinen Mitgliedern durchgeführt hat. Quelle: dpa
Berlin28 Prozent würden gerne in der deutschen Hauptstadt arbeiten. Warum würden die Nutzer gerne in eine der genannten Städte ziehen? Jeder zweite gibt an, aus familiären Gründen umzuziehen. Quelle: dpa
KölnVerbesserte soziale Rahmenbedingungen und der Freizeit werden, steht bei über 50 Prozent der Befragten auf der Prioritätenliste ganz weit oben. In die nordrhein-westfälische Stadt würden 18 Prozent der Befragten ziehen. Quelle: dpa
StuttgartDie baden-württembergische Landeshauptstadt ist bei 17 Prozent der Befragten begehrt. Gleichzeitig schließt Stuttgart die Top5 der Städte ab, in denen die Deutschen gerne arbeiten würden. Quelle: dpa
Essen Besonders unbeliebt ist diese Ruhrgebietsstadt: Fast die Hälfte der Befragten hat Essen zur unbeliebtesten Stadt gewählt. Bei der Umfrage waren die zwölf einwohnerreichsten Großstädte zur Auswahl vorgegeben. Die Nennung weiterer deutscher Städte wurde durch ein Freifeld ermöglicht. Quelle: dpa/dpaweb
DortmundAuf Platz zwei findet sich direkt die zweite Ruhrgebietsstadt ein: Wegen Aspekten wie schlechten sozialen Rahmenbedingungen oder mangelndem Freizeitwert geben Befragten den unbeliebtesten Städten schlechte Noten. 64 Prozent würden sich auch nicht durch Faktoren wie eine Gehaltssteigerung und geringere Arbeitszeiten, einen Firmenwagen oder eine vom Arbeitgeber gestellte Wohnung überzeugen lassen, doch in einer dieser Städte zu arbeiten. Quelle: dpa

Als er miterleben muss, wie sich sein Schwiegervater gegen Deeges Rat unnütze Lebens- und Krankenversicherungen aufschwatzen lässt, ist sein Entschluss gefasst: „Ein System, das nur auf Gier und der Korruption durch Boni und Prämien aufbaut, wollte ich auf Dauer nicht mehr unterstützen“, sagt Deege. Er unterschreibt einen Aufhebungsvertrag, der ihn von der Arbeit freistellt und ihm monatlich zwei Drittel seines ursprünglichen Gehalts garantiert. Anderthalb Jahre lang. Und ihm die nötige Luft verschafft, sein gesamtes Leben auf den Prüfstand zu stellen: Erst zieht er mit der Familie in eine kleinere Wohnung, dann trennt er sich von Auto, Motorrad, Segelboot, schließlich auch von der Freundin. Die hat große Schwierigkeiten, den gewohnten Lebensstandard nach unten zu schrauben. Und zu akzeptieren, dass Deege zu Verabredungen nicht mehr im Anzug und mit manikürten Nägeln erscheint, sondern aus der Werkstatt im T-Shirt, verschwitzt und mit dreckigen Fingern.

Deeges Entschluss, Schreiner zu werden, ist da schon ein paar Monate alt. Getroffen hatte er ihn nach einem enttäuschenden Bewerbungsgespräch mit einem Bootsbauer – und ungezählten Gesprächen mit Freunden, die ihn an seine Leidenschaft für Möbel erinnern. „In unserem Wohnzimmer“, sagt Deege, „sah es tatsächlich oft aus wie in einer Werkstatt.“ Also beginnt er, ganz Berlin nach Schreinereien abzuklappern. „Viele waren irritiert von meinem Alter, manche Gespräche dauerten zwei Sekunden“, sagt Deege. „Da lernt man Demut.“

Hartnäckigkeit belohnt

Seine Hartnäckigkeit wird belohnt – nach 40 erfolglosen Versuchen trifft er auf Henrik Schwerdtner: „Ich habe gleich gespürt, dass er es ernst meint mit seinem Schritt, das war mir wichtiger als das Alter im Pass“, sagt der nur unwesentlich ältere Schreinermeister. Obwohl Deege anfangs überall hängen bleibt, gegen Werkbänke läuft, ist er fasziniert von seiner neuen Welt. „Ich stand mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund da, wie unter Drogen“, erinnert er sich, „ich konnte nicht fassen, dass man Dinge so einfach herstellen kann.“

Sich von einem der Gesellen – „er hätte mein Sohn sein können“ – anleiten zu lassen ist unproblematisch für Deege – der seinerseits Meister Schwertner Nachhilfe in Zeitmanagement gibt. Und seinen Lehrern in der Berufsschule zeigt, wie sie unruhige Schüler in den Griff bekommen („einfach mal nichts sagen“).

Gesellenstelle

Nach drei Jahren Lehre ist der Abschied dennoch beschlossene Sache, Deege auf Stellensuche. Nach drei Regentagen auf dem Rad durch Berlin wird er in Kreuzberg fündig. „Er stand völlig durchnässt vor uns, fragte nach einer Gesellenstelle“, erinnert sich Georg Stockburger, Gesellschafter der 1984 gegründeten Schreinerei. „Die Chemie stimmt, fachlich lernt er eifrig dazu.“

Statt sich, wie früher als Versicherungsmanager, schon am Vorabend den Kopf über Gesprächsstrategien für den kommenden Tag zu zerbrechen, kommt Deege heute entspannt gegen 9 Uhr in die Schreinerei und geht „abends mit einem guten Gefühl nach Hause“ – mal um 18, mal um 20 Uhr. „Gehetzt wird nicht mehr“, sagt der Mann, der sein Telefon heute oft mal bewusst für ein paar Stunden ausschaltet und E-Mails nur alle paar Tage beantwortet. „Lieber lasse ich mir mehr Zeit.“ Schließlich müsse er sich „nicht mehr verbiegen, um Dinge bezahlen zu können, die ich eigentlich nicht brauche zum Glücklichsein. Die Zukunft gehört denen, die ihren Job gern machen.“

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