WirtschaftsWoche: Frau Pohlink, haben wir heute weniger Sex als früher?
Carla Pohlink: Auf jeden Fall. Gerade die männliche Lustlosigkeit hat seit der Jahrtausendwende stark zugenommen. Das gab es früher kaum.
Was hat sich seitdem geändert?
Der Druck hat sicherlich zugenommen. Zum einen verfügen wir heute über sehr viel mehr Informationen. Durch Internet und Pornografie ist jeder noch so exotische Fetisch nur einen Mausklick entfernt. Wer eher konservativ im Schlafzimmer ist, hat deshalb heute schnell das Gefühl, langweilig zu sein. Zudem gibt es die verbreitete Vorstellung, dass die Partner wechselseitig für den Orgasmus des anderen verantwortlich sind. Das hat aber zur Folge, dass wir beim Verkehr kaum noch bei uns sind und stattdessen für den anderen performen. Sex dient heute oft dem narzisstischen Beweis, ein toller Liebhaber zu sein. Aber wir haben zum anderen auch zu viel Stress. Bei der Hälfte der Paare, die zu mir kommen, ist das die Ursache für ihre sexuellen Probleme.
Woran liegt das?
Vor allem an ihrer Anspruchshaltung: Die Menschen wollen Übereltern sein, den Haushalt ordentlich halten und Karriere machen. Das klappt aber nicht.
Auch weil heute beide Partner Karriere machen wollen?
Grundsätzlich können natürlich beide Partner berufstätig sein und ein ausgefülltes Sexualleben haben. Ich komme aus der DDR, da haben in der Regel Männer und Frauen gearbeitet und wir sind auch nicht ausgestorben. Es liegt eher daran, was in der Gesellschaft honoriert wird. Und das sind heute vor allem Dinge, die ich vorzeigen kann - wie zum Beispiel das Auto, die Kinder oder das Gehalt. Den klassischen Familientätigkeiten wird hingegen weniger Bedeutung zugeschrieben.
Wie lässt sich das ändern?
Die Paare müssen lernen, strenger mit ihrer Zeit zu sein. Je strenger sie damit sind, desto besser funktioniert ihre Sexualität. Man muss zeitliche Freiräume für die Beziehung schaffen. Nicht nur für Sex - nebeneinanderliegen und Zeitung lesen ist auch mal okay. Das wichtigste ist, dass Paare überhaupt die Muße für Sex finden. Heute hat doch jeder ständig eine To-Do-Liste abzuarbeiten. Für Sex braucht es aber den Moment der gesunden Langeweile.
Wie erreichen wir den?
Zunächst einmal mit einer Reizminimierung. Wenigstens in der Freizeit sollten Smartphone, Laptop und Fernseher auch mal ausgeschaltet werden. Am besten ist es, eine Stunde am Tag einfach mal nichts zu tun. Das Ziel dabei ist es, wieder spüren zu können, worauf man wirklich Lust hat.
Haben wir das verlernt?
Wir leben in einer vernetzten Welt, sobald wir das Smartphone in der Hand haben, werden wir permanent mit Dingen konfrontiert, die wir gerade verpassen. Unser Gehirn ist aber so konditioniert, dass es das, was ihm angeboten wird, auch haben will. Und solange wir mit anderen Reizen zugeschüttet werden, wird sich das Verlangen nach Sex nicht einstellen.
Woran liegt das?
So großartig unser Gehirn auch ist, in manchen Belangen funktioniert es relativ schlicht. Zum Beispiel erinnert es sich immer an das letzte befriedigende Ereignis. Wer sich also kürzlich über ein tolles Steak gefreut hat, den erinnert das Gehirn an dieses Ereignis und verlangt es erneut.
Funktioniert das nicht auch mit Sex?
Auf jeden Fall. Der Mensch muss nur regelmäßig Intimität zu spüren, damit sich das Gehirn daran erinnert. Damit meine ich auch nicht ausschließlich Sex. Es geht um alle angenehmen körperliche Empfindungen. Zum Beispiel ein Wannenbad, Sauna oder Massage.