Männer in Elternzeit „In den Gehirnen von Vätern verändert sich körperlich etwas“

Ganz Innig: Vater und Kind. Quelle: Getty Images

Die wenigsten Väter nehmen Elternzeit. Manager Roman Gaida, Vater von Zwillingen, hält das für einen fatalen Fehler. Er fordert: Chefs müssen Elternzeit für Väter zur Normalität machen.

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WirtschaftsWoche: Herr Gaida, sind Sie durch die Geburt Ihrer Kinder ein besserer Chef geworden?
Roman Gaida: Die Empathie für das, was außerhalb des Arbeitsplatzes passiert, ist auf jeden Fall gestiegen. Das hat mir natürlich auch gerade während der Coronapandemie geholfen, alle Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen – ganz egal, ob Eltern oder nicht – zu unterstützen.

Sie räumen in Ihrem Buch ein, anfangs naiv in die Vereinbarkeit von Beruf und Familie gegangen zu sein. Was hatten Sie falsch eingeschätzt?
Dass einfach alles so weitergeht wie vorher. Nicht nur beruflich. Dass genauso viel Zeit für Hobbys bleibt, man weiterhin so reist wie bislang. Da war ich ziemlich naiv. Die 24 Stunden des Tages können ganz schön schnell vorbei sein, wenn man Job und Familie unter einen Hut kriegen will.

Sie schreiben, dass es 2017, als Sie Ihren neuen Job angetreten haben, noch nicht üblich war, dass eine Führungskraft in Elternzeit geht.
Ich glaube nicht, dass es selbst heute normal ist. Ich habe bislang in meinem Unternehmen noch niemanden in meiner Position gesehen, der Elternzeit genommen hat. In meinem Team sieht das anders aus, weil ich die Kollegen darauf anspreche, dass sie das unbedingt machen sollen. Allein im letzten Jahr haben vier Väter in Führungspositionen Elternzeit genommen.

Zur Person

Wie sähe Ihr Leben heute aus, wären Sie damals nicht zu Hause geblieben?
Ich glaube, ich hätte sonst auf jeden Fall nicht so eine intensive Bindung zu meinen Kindern, wie ich sie jetzt habe.

Warum halten Sie es für so wichtig, nach der Geburt zu Hause zu sein?
Studien zeigen, dass im Gehirn von Vätern beim Kontakt mit ihren Babys die Amygdala, das Zentrum für emotionales Lernen, aktiviert wird. Es verändert sich also körperlich etwas. Wenn man aber nicht von Anfang an Zeit mit seinem Kind verbringt, vermisst man das vermutlich auch nicht, hat also keinen Phantomschmerz, wenn man als Manager dann später ständig unterwegs ist. In die Falle laufen viele: Väter wissen schlicht nicht, was sie da eigentlich verlieren. 

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Generationen von Kindern sind mit weitgehend abwesenden Väter aufgewachsen. Welche Folgen hat das aus Ihrer Sicht für eine Gesellschaft?
Der Psychologe Björn Süfke beschreibt in seinem Buch „Männer“, dass es nicht um „Quality Time“ geht, sondern um „Quantity Time“. Das Eis oder der Zoobesuch am Wochenende reichen eben nicht. Kinder haben zu Hause gar kein Vorbild dafür, wie ein Mann damit umgeht, wenn er mal müde oder gestresst ist. Dieses soziale Lernen fehlt dann. Über die gesellschaftlichen Folgen will ich nicht spekulieren. Aber in der Wirtschaft wäre sicherlich viel mehr Verständnis für Vereinbarkeit da, wenn alle es vorgelebt bekommen.

Laut Statistischem Bundesamt waren 2019 rund 40 Prozent der erwerbstätigen Frauen mit einem Kind unter drei Jahren in Elternzeit, aber nicht einmal drei Prozent der Männer – dabei haben sie ebenfalls Anspruch auf bis zu drei Jahre. Wollen viele Väter vielleicht einfach gar nicht zu Hause bleiben?
In vielen Unternehmen trauen sich die Väter wahrscheinlich einfach gar nicht. Es reicht nicht, wenn Gesetzgeber und Unternehmen die Möglichkeit bieten. Es braucht Führungskräfte, die die Vereinbarkeit von Job und Familie zum Teil einer gesunden Unternehmenskultur machen. Leider ist das noch keine Selbstverständlichkeit und übrigens gibt es auch noch in Familien Vorurteile gegenüber Männern, die sich um ihre Kinder kümmern wollen. Wäre es gesellschaftlich akzeptierter, würden es vermutlich viel mehr Männer machen.

Wie gehen Sie damit in Ihrem Team um?
Ich arbeite die Elternzeit von Vätern und Müttern in den Karriere- und Entwicklungsplan mit ein, um von vornherein die Angst zu nehmen, dass es danach nicht weitergeht. Ein guter Mitarbeiter ist auch in zwei Jahren noch ein guter Mitarbeiter und dann nach einer Elternzeit auch viel motivierter. Gerade in dem jetzigen Arbeitnehmermarkt können es sich Unternehmen gar nicht leisten, einen Vater auf die Ersatzbank zu schieben.

„Mehr Elternzeit für Väter bietet zusätzliche Chancen für Frauen in Führungspositionen“, sagt Roman Gaida. Quelle: Presse

Was entgegnen Sie auf den Hinweis, dass Elternzeit die Abläufe in einer Firma massiv stört?
Das ist eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Wenn ein Chef Elternzeit als Störfaktor ablehnt, will sich ein Betroffener natürlich nicht monatelang diesem Zorn aussetzen und reicht den Antrag erst kurzfristig ein. Dann lassen sich Aufgaben nicht mehr leicht umverteilen. Bei mir kommen Männer hingegen schon sechs Monate vorher. Es bleibt genug Zeit, die Vertretung im Team zu koordinieren. Vielleicht bilden sich auch neue Leistungsträgerinnen heraus, die Aufgaben übernehmen möchten.

Was ist mit dem Chef einer kleinen Firma, wo sich nicht viel umverteilen lässt und dem die Aussicht auf einen hoch motivierten Mitarbeiter in zwei Jahren in seiner jetzigen Lage wenig hilft?
Ihm würde ich erst mal die Frage stellen: Was macht er denn bei Müttern? Wenn es die Mütter können, warum können es dann nicht die Väter? Man muss halt Lösungen finden. Natürlich ist es für kleine Unternehmen härter. Da kommt es darauf an, die Elternzeit gemeinsam zu planen. Vielleicht denkt man über Teilzeit nach oder sagt: jetzt drei Monate, nächstes Jahr drei Monate. Die Väter sind ja auch nicht komplett weg.  Oft hilft es, sich auf dem Laufenden zu halten, ohne gleich zu arbeiten. Aber vielleicht kann man sich alle paar Wochen für ein Telefonat verabreden, um Teammitgliedern bei Fragen zu helfen.

Sind Männer jetzt bei Vereinbarkeit auf der Entwicklungsstufe, wo Frauen vor etlichen Jahren waren?
Könnte man wahrscheinlich so sehen. Als Vater, der beides vereinbaren will, steht man auf jeden Fall vor ähnlichen  Problemen wie Frauen. Ich kann da sehr viel von Müttern lernen, die Karriere gemacht haben. Mir ist schon mal von einer Frau gesagt worden „Ihr habt es ja viel einfacher“ oder „Was beschwert ihr euch, das machen wir schon seit Jahrzehnten mit“. Das mag stimmen, hilft der Gleichberechtigung aber auch nicht. Es braucht heute Frauen in Vorständen, aber auch Männer, die sich gesellschaftlich akzeptiert um ihre Kinder kümmern. Das sind zwei Seiten derselben Medaille.

Viele Frauen fürchten, dass die Elternzeit ihre Karriere bremst. Wie sieht das bei Ihnen aus?
Wenn man Kinder bekommt und man mitten in der Karriere-Rushhour steckt, ist es vielleicht gar nicht schlecht, mal die eine oder andere Beförderung auszulassen, aufzuschieben oder zumindest nicht zu forcieren und sich einfach mal ein paar Jahre um die Kinder zu kümmern, die Partnerin zu unterstützen und  dauerhaft eine Beziehung auf Augenhöhe zu führen, anstatt die Karriere einfach weiterzutreiben wie vorher. 



Also ein Stillstand als Investition in mehr privates Glück?
Stillstand ist da das falsche Wort. Wenn man sich wirklich Gedanken darüber gemacht hat, was Erfolg für einen bedeutet, dann fühlt es sich nicht wie Stillstand an. Ich bin in Anlehnung an das Kaizen-Prinzip von Toyota dafür, ständig daran zu arbeiten, dass die Karriere in die richtige Richtung geht. Wichtig ist nicht der direkt nächste Schritt, sondern die Frage, welchen Job ich nach dem übernächsten Job machen will. Darauf aufbauend kann man dann die Zwischenschritte planen. Viele Menschen wurden auf einen Job befördert, den sie eigentlich gar nicht wollten. Sie hatten sich vorher darüber aber keine Gedanken gemacht.

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Die Geburt des ersten Kindes ist da eine gute Gelegenheit für eine solche Zwischenbilanz?
Man sollte sich immer Gedanken machen, nie blind einem Karrieredogma „höher, schneller, weiter“ folgen, ohne zu wissen, wohin es gehen soll. Die Karriere ist ja kein Sprint, sondern ein Marathon. Es ist ziemlich traurig, wenn jemand irgendwann versucht, mit seinem 17-, 18-jährigen Kind doch noch eine Beziehung nachzuholen, weil es der Job dann zulässt. Wenn wir Glück haben, haben wir rund 40 Jahre Berufsleben vor uns. Warum sollten wir alles in die mittleren fünf Jahre packen? Wir sprechen ja auch immer mehr über Altersdiversität in Unternehmen. Warum können wir nicht mal drei, vier Jahre später an unserer Karriere weiterarbeiten?

Wie lange waren Sie selbst in Elternzeit?
Zwei Monate.

Nicht gerade lange.
Ich hatte auch Angst, bisher Erreichtes aufs Spiel zu setzen. Heute weiß ich es besser. Als meine Kinder kamen, war ich noch in der Probezeit, habe nebenbei einen MBA gemacht, meine Frau ein Wirtschaftspsychologie-Studium. Sollten wir noch ein Kind bekommen, würde ich aber wahrscheinlich länger in Elternzeit gehen. Mehr Elternzeit für Väter bietet zusätzliche Chancen für Frauen in Führungspositionen. Wer wann und wieviel Elternzeit nimmt, ist sehr individuell. Die Möglichkeiten sind so vielfältig wie alle anderen Themen in einer Beziehung auch. Da kommt es auf Kommunikation an.

Was raten Sie einem werdenden Vater: Wie sollte er die Elternzeit in der Firma angehen?
Man muss das gar nicht künstlich forcieren. Man kann einfach sagen „Ich werde Vater“ und andere Mütter und Väter nach Tipps fragen, wie die es mit der Vereinbarkeit gemacht haben und wie es bei ihnen mit der Elternzeit gelaufen ist. Und danach das offene Gespräch mit dem Vorgesetzten suchen.

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Was würden Sie jemandem raten, bei dem absehbar ist, dass der Chef sich querstellt?
Man kann sich Unterstützung bei Väter-Netzwerken holen oder selbst eines gründen. In einem größeren Konzern gibt es bei der Vereinbarkeit außerdem manchmal große Unterschiede. Da lohnt sich vielleicht ein interner Wechsel. Außerdem sind nicht alle Vorgesetzten gleich. Bevor man die Kündigung einreicht, sollte man mit dem nächsthöheren Vorgesetzten sprechen. Als gut ausgebildete Fachkraft hat man heute natürlich die besten Karten in der Hand. Vereinbarkeit ist für Unternehmen kein „Nice to have“ mehr, um Mitarbeiter zu halten. Sondern im Ringen um Talente ein „Must have“.

Wie haben Ihre Kinder Ihren Blick auf den Job verändert?
Ich kann für mich behaupten, dass es fast nichts Erfüllenderes gibt, als Kinder zu haben. Natürlich strengen die mich auch an. Aber ich darf Zeit mit meinen Kindern verbringen. Wir reden so viel von Purpose im Unternehmen. Wenn ich nach Hause komme und die dreijährige Tochter springt mir auf den Arm und freut sich, dass ich da bin, dann weiß ich, wo mein Purpose liegt. Das gibt einem natürlich viel mehr. Ich verstehe, wenn Menschen mehr Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen.

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