Die deutsche Wirtschaft steht vor tiefgreifenden Veränderungen: Seit Jahren schon müht sie sich mit der Digitalisierung –und muss sich nun auch noch der Frage stellen, welchen Wert menschliche Arbeit noch hat, wenn ChatGPT zu einem immer kompetenteren Kollegen wird. Gleichzeitig werden die Tücken der Globalisierung immer deutlicher, zwingen die Unternehmen ihre Lieferketten zu überdenken. Und über allem schwebt die Herausforderung des Klimawandels.
In der Bevölkerung wachsen die Zweifel, ob die hiesige Gesellschaft all dies stemmen kann. 38 Prozent der Deutschen betrachten China als das weltweit innovationsstärkste Land, gefolgt von den USA mit 30 Prozent. Die EU landete mit 13 Prozent auf dem letzten Platz. Das ergab kürzlich eine Civey-Umfrage im Auftrag des „Progressiven Zentrums“.
Die Frage ist, ob diese Warnsignale auch in der Politik angekommen sind.
Die Transformationswissenschaftlerin Maja Göpel hat daran ihre Zweifel, wie auf der Konferenz „Work in Progress“ deutlich wurde, die die Handelsblatt Media Group, zu der die WirtschaftsWoche gehört, gemeinsam mit Stepstone am 1. und 2. Juni in Düsseldorf veranstaltet. In einem Interview mit Horst von Buttlar, dem Chefredakteur der WirtschaftsWoche, betonte sie, dass sich Deutschland für mehr Nachhaltigkeit und eine klare Innovationspolitik ins Zeug legen müsse.
Die Politik als Innovationsbremse
Laut Göpel sind Fragen der Nachhaltigkeit längst noch nicht in den strategischen Zielen der Politik verankert: „Es mangelt nicht an guten Ideen, sondern vielmehr an Überzeugungen, wie diese auch tatsächlich umgesetzt werden können.“
Die Schuld dafür sieht die Wissenschaftlerin vor allem in der Politik: Machtspiele, wie sie derzeit vor allem in der Ampelregierung zu beobachten sind, haben laut Göpel enormes Zerstörungspotenzial. „Das Ziel von Politikern ist nicht mehr das Wohl der Allgemeinheit, sondern irgendwie wiedergewählt zu werden“, sagte die Ökonomin im Interview.
Egal ob es um E-Fuels oder Heizungsverbote geht, die Emotionalisierung und Skandalisierung von Klimaschutz führt laut der Forscherin derzeit dazu, dass wir den Blick fürs große Ganze verlieren: „Die derzeitige Situation macht mich traurig. Mit dem europäischen Green Deal sind wir 2019 noch international bewundert worden. Damals haben wir mit Courage und Klarheit eine kontinentale Strategie zur Dekarbonisierung vorgestellt“.
Heute ist dieses Momentum laut Göpel verloren. „Nach der Pandemie folgte eine Krise nach der anderen und wir haben es versäumt, das Thema langfristig im Blick zu behalten.“
Kleine Schritte, große Wirkung
Laut Göpel kann die „große Transformation“ nur gelingen, wenn sie als „Gemeinschaftswerk zwischen Politik, Wirtschaft und Bevölkerung betrachtet wird“. Dabei brauche es nicht viele „kleine Reförmchen“, sondern klare Strukturen: Schrittweise kleine Symptome zu bekämpfen ist im Zweifelsfall schädlicher, als einen gut angekündigten klaren Schnitt zu ziehen, betonte die Ökonomin.
Gleichzeitig brauche es Verlässlichkeit, damit Unternehmen Investitionen für eine ökologische Transformation anschieben können. Und auch der Bund müsse dafür Geld locker machen. „Ich denke nicht, dass wir einen Subventionswettlauf brauchen, aber allein zu sagen, wir nehmen die Steuerlast rüber oder wir schaffen jetzt endlich die 65 Milliarden an umweltschädlichen Steuern und Subventionen ab, das kann eine enorme Lenkungswirkung haben und Unternehmen überhaupt erst ermöglichen in nachhaltige Energien zu investieren.“
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