Mehr als Rücken-Fit Mitarbeitergesundheit fängt bei der Psyche an

Mitarbeitergesundheit: Auch psychisches Wohlbefinden ist wichtig Quelle: Fotolia

Betriebliches Gesundheitsmanagement ist nicht nur Gratis-Fitnesstraining. Immer mehr Unternehmen haben auch Konzepte für die psychische Gesundheit entwickelt. Was sie tun und wo es noch hakt.

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Lutz Goerendt fühlt sich für das Wohlbefinden von rund 9000 Menschen verantwortlich. Die Mitarbeiter der Sick AG sollen mit ihren Führungskräften gut zurechtkommen, mit ihren Kollegen ebenfalls. Sie sollen auch nur so viel arbeiten, wie sie in ihrer Arbeitszeit gut schaffen können. Und um das Rundum-Sorglos-Paket komplett zu machen, möchte Goerendt auch dafür sorgen, dass niemand Rückenprobleme bekommt oder ein Burn-Out erleidet.

Nicht viele Unternehmen leisten sich einen eigens zuständigen Gesundheitsmanager, der auf all diese Dinge achtet. Die Sick AG, Hersteller von intelligenten Sensoren aus Waldkirch hat mit Goerendt bereits seit 2017 einen. Das Institut für betriebliche Gesundheitsberatung hat bei Unternehmen nachgefragt, was sie dagegen tun. Ergebnis: Ein Drittel der 825 befragten Organisationen haben überhaupt kein Personal für Gesundheitsthemen.

Dabei ist es so, dass bei einem von sechs Mitarbeitern (16,6 Prozent) im Falle von Arbeitsunfähigkeit ein psychisches Problem die Ursache ist. Das haben die betrieblichen Krankenkassen in ihrem Gesundheitsreport 2017 ermittelt.

Als Goerendt 2017 Leiter des Gesundheitsmanagements wurde, war die To-Do-Liste lang. Das Gesundheitsmanagement existiert zwar bereits seit 2006. Trotzdem stand die Frage im Raum: wo anfangen? Natürlich, die Rücken, die sollen heile bleiben. Ein regelmäßiger medizinischer Check-Up schadet sicher auch nicht. Aber: „In einem guten Gesundheitsmanagement hat auch die psychische Gesundheit einen hohen Stellenwert“, sagt Goerendt.

Eine goldene Regel dafür, was ein Gesundheitsmanagement zuerst angehen sollte, gibt es nicht. Daher passiert es oft, dass Arbeitgeber viel wollen, einiges anbieten, aber manches nicht zu Ende denken.

Goerendt startete in seine Arbeit mit einer Mitarbeiterbefragung. Er wollte herausfinden, wie es den Mitarbeitern der Sick AG wirklich geht. Also bekam jeder Mitarbeiter einen Fragebogen mit Fragen zu Wohlbefinden, Arbeitslast und allgemeiner Gesundheit. Goerendts Team wertete die Antworten zusammen mit einem Forschungsinstitut aus. Und siehe da: Nicht überall lief es rund. „Wenn zwei Personen nicht miteinander auskommen, kann sich das auf das gesamte Team auswirken“, sagt Goerendt. Diese Konflikte können in der Regel mithilfe externer Mediatoren gelöst werden.

Umfragen wie diese erfolgen in der Regel ohne individuelles Feedback für die Mitarbeiter. Genau das kritisieren Lilian Gombert und Anne-Kathrin Konze. Die Arbeitspsychologinnen forschen am Leibniz Institut für Arbeitsforschung. „Die Mitarbeiter erfahren nicht, was ihre Antworten für ihre eigene Gesundheit bedeuten“, sagt Konze. „Es möchte ja auch niemand, dass der Chef weiß, was er oder sie angekreuzt hat.“ Sie empfiehlt, Gesundheitsbefragungen mit einem individuellen Feedback durchzuführen.

Dazu muss jedoch gewährleistet werden, dass die individuellen Gesundheitsergebnisse innerhalb der Organisation anonym bleiben. Eine persönliche Zuordnung von Ergebnissen zu Kollegen, Vorgesetzten, oder Mitarbeitern darf nicht möglich sein. Der Auswerter schickt das Ergebnis dann beispielsweise an eisbär25 und nicht an Frau Müller.

Chefs müssen Burn-Out auch erkennen

Probleme müssen aber nicht immer mit externer Unterstützung und Workshops gelöst werden. Um Differenzen auf dem kurzen Dienstweg zu klären, gibt es bei Sick 120 sogenannte Kümmerer. Das sind Mitarbeiter, die als Ansprechpartner bei Konflikten oder Sorgen dienen - wie Ersthelfer für die Psyche. Die Qualifikation zum Kümmerer erhalten sie durch eine Schulung zu psychischer Gesundheit und Teammanagement.

Konze und Gombert merken an, dass Beratungsangebote häufig nicht genutzt werden. Nicht, weil sie schlecht sind, sondern weil viele Menschen selbst nicht merken, dass sie gefährdet sind, an Depressionen oder Burn-Out zu erkranken. „Wir haben einmal ein Unternehmen betreut, das ein Sorgen-Telefon eingerichtet hat“, sagt Konze. „Die Rückmeldung war jedoch recht mau.“ Es könnte daran liegen, dass einige sich nicht trauen und es anderen schwer fällt, sich einzugestehen, Hilfe zu brauchen.

„Sensibilisierung“, sagt Gombert. Das ist ihr Lieblingswort, wenn es um den Umgang mit psychischen Erkrankungen geht. „Es reicht nicht aus, einen Mitarbeiter zum „Feel-Good-Beauftragten“ oder „Happiness-Manager“ zu berufen, ohne die Belegschaft inklusive Chefs für das Thema Burnout zu sensibilisieren“, bemängelt Gombert. Die Unternehmen haben verstanden, dass sie handeln müssen und investieren viel Geld in Gesundheitskonzepte – sie vergessen aber diesen ersten Schritt."

Für gute Rahmenbedingungen und eine gesundheitsbewusste Unternehmenskultur sind Führungskräfte zuständig. Ein Beispiel, wie dies organisiert werden kann, ist die Wirtschaftsauskunftei Schufa. 850 Menschen arbeiten dort. Erlangt einer von ihnen eine Führungsposition, hat er seine Mitarbeiter gesundheitsbewusst zu führen. So steht es in den Führungsleitlinien. Die Chefs werden also unter anderem daran gemessen, wie gut es ihren Mitarbeitern geht.

Das ist noch längst nicht in allen Unternehmen in Deutschland der Fall. Nur diejenigen mit ausgeprägtem Gesundheitsmanagement haben Führungsleitlinien, die die Mitarbeitergesundheit mit einschließen. Das hat die Befragung des Institutes für betriebliche Gesundheitsberatung ergeben.

Bevor Führungskräfte die Probleme ihrer Mitarbeiter erkennen können, sei es laut Konze und Gombert aber wichtig, sich selbst einschätzen zu können. „Erst wer weiß, wie er selbst abschneidet, kann die psychische Gesundheit anderer beurteilen“, sagt Konze. Führungskräfte müssten lernen, Burn-Out-Symptome zu erkennen und sich mit ihren eigenen Empfindungen auseinanderzusetzen. Das zu lernen, brauche Schulungen und Zeit.

Auch Silvia Mieth braucht Zeit, damit die Gesundheitsmaßnahmen der Schufa bei jedem Mitarbeiter ankommen. Sie ist Koordinatorin im betrieblichen Gesundheitsmanagement dort. Mieths Abteilung gibt es erst seit 2015. Eine der wichtigsten Erkenntnisse der drei Jahre: „Nicht alle Aktionen kommen gut an“, sagt sie. Die Schufa hatte ein Stressmanagement-Seminar im Angebot, das einstündige Treffen über acht Wochen vorsah. Doch der Ansturm der Mitarbeiter blieb aus. „Das ist aber nicht schlimm, denn jetzt können wir uns verbessern.“

Die Dienste der Kümmerer der Sick AG hingegen werden stark nachgefragt. Denn sie sind genau dort, wo Probleme entstehen, die zum Gesundheitsproblem werden können – an ihrem Arbeitsplatz.

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