Meinungsfreiheit im Job Querdenker riskieren ihre Karriere

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Maulkörbe sind keine Lösung

Heute verschwimmen die Grenzen zwischen Arbeits- und Freizeit, auch weil der Arbeitgeber es so will: Berufliche E-Mails werden auch nach Feierabend, am Wochenende und im Urlaub geschrieben. Der Job ist bestenfalls Berufung, die Angestellten sollen sich mit ihrer Tätigkeit identifizieren, ihre Persönlichkeit einbringen. Das hat zur Folge, dass Mitarbeiter auch ihre Weltbilder ins Büro tragen – und die weichen naturgemäß stark voneinander ab. Wie viel Meinungsfreiheit sollen Arbeitgeber zulassen? Wie gelingt der Spagat zwischen „Corporate Conduct“ und der „Creativity“ der Mitarbeiter? Und wo verläuft die Grenze zwischen dem Sagbaren und dem Unsäglichen?

Eigentlich ist die Situation klar: Artikel 5 des Grundgesetzes schützt die Meinungsfreiheit, solange die Äußerungen nicht strafbar sind. Trotzdem gibt es Ansichten, die rechtlich einwandfrei, aber, im Namen eines Unternehmens geäußert, problematisch sind – weil sie Kunden verprellen oder den Ruf ruinieren. Wer seine Meinung zu undiplomatisch formuliert und offensiv kursieren lässt, muss damit rechnen, dass seine Karriere langsamer, mitunter gar nicht mehr voranschreitet. „Man kann sich einiges an Meinung erlauben“, sagt Christian Oberwetter, Fachanwalt für Arbeitsrecht aus Hamburg, „aber wenn man mit bedenklichen Äußerungen in Verbindung gebracht wird, bedeutet das oft die Kaltstellung.“

Zu seinen Mandanten gehören Betriebsräte, die vor allem eine Frage umtreibt: Kann man einen Mitarbeiter mit ungewollten Ansichten entlassen? Nein, kann man nicht. Wenn jemand die Grenzen für Flüchtlinge schließen oder Frauen die Vorstandsetage vorenthalten will, sei das kein Kündigungsgrund. „Das sind private Meinungen“, sagt Oberwetter, „und Unternehmen haben es aus gutem Grund schwer, sie zu untersagen.“

Maulkörbe zu verteilen ist auch für Iris Bleck keine Lösung. Als Vice President setzt sie in der Deutschen Bank konzernweit Regulierungsvorgaben um. In einem Großkonzern sind die Meinungen der Kollegen so verschieden wie ihre Hintergründe, sagt Bleck und: „Gerade in großen Projekten profitiert man von den fachlichen und persönlichen Unterschieden der Mitarbeiter.“

Doch Pluralität ist nicht umsonst zu bekommen. Sie raubt Zeit und Nerven, verlangt Abstimmung und Ausgleich. Während fachliche Fragen meist schnell geklärt seien, sei das beim Streit um politische Ideen oder persönliche Haltungen nicht ganz so einfach. „Grundsätzlich befürworte ich eine transparente, freie Meinungsäußerung in jeder Diskussion“, sagt Bleck, „aber das hört auf, wenn ein Teammitglied die Werte eines anderen auf respektlose Art und Weise angreift.“ Als Führungskraft wird von ihr erwartet, dass sie bei Verstößen das Gespräch sucht, moderiert – und zur Not Mitarbeiter sanktioniert.

Offenbar ist das mit der „Diversity“ komplizierter als gedacht. Das Wort hat in den vergangenen Jahren Karriere gemacht. Vereinfacht gesagt meint es, dass verschiedene Talente, Biografien, Nationalitäten und Geschlechter besonders gut zusammenarbeiten, dass Perspektivenvielfalt Diskussionen befeuert und Lösungen erleichtert. Man brauche „weniger Stromlinienförmigkeit“, forderte Volkswagen-Chef Matthias Müller im Oktober 2015. „Wir haben 23 Millionen Kunden, und die sind sehr vielfältig“, sagt Innogy-Personalvorstand Uwe Tigges, „so vielfältig sollte auch die Belegschaft sein.“

Tatsächlich hat Vielfalt messbare Vorteile. 1991 wies Taylor Cox, damals Professor für Organisationspsychologie und Personalmanagement an der Universität von Michigan nach, dass heterogene Gruppen Probleme kritischer hinterfragen und dadurch bessere Entscheidungen treffen. Die US-Forscherin Jennifer Rhodes erkannte, dass sich eine vielfältig zusammengesetzte Belegschaft besser in die Wünsche der Kunden hineinversetzen kann. Und als die EU-Kommission vor einigen Jahren mehrere Hundert Unternehmen befragte, erfuhr sie, dass Diversity-Strategien das Arbeitgeberimage verbesserten, die Motivation der Mitarbeiter stärkten und Innovationen förderten.

Die Nachteile der Vielfalt

Doch bei allen offensichtlichen Vorteilen werden die Nachteile der Vielfalt schnell übersehen. „Aus Sicht der Teamforschung ist Diversität ein zweischneidiges Schwert“, sagt Martin Högl, Professor am Institut für Leadership und Organisation der LMU München. Menschen tun sich schwer damit, mit Kollegen zusammenzuarbeiten, die sehr verschieden sind. Der Austausch mit Gleichgesinnten ist leichter und angenehmer – aber eben nicht kreativer. Unerwartete Ideen entstehen eher dort, wo es Reibung gibt. Das bedeutet, dass Arbeitgeber Konflikte zugleich provozieren, steuern und beherrschen müssen – und genau daran hapert es.

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