An Dittrichs Arbeitsplatz riecht es nach Gummi statt nach Nordseeluft. Neben seinem Schreibtisch hängt ein Bild von der Hamburger Speicherstadt. Mehr als 600 Kilometer trennen ihn davon. Wenn alles glattgeht, schafft er es in drei Stunden. Meistens aber dauert es länger, so wie heute. Weil er spontan schon am Donnerstag nach Hause zurückkehren möchte, gibt es keinen Flug mehr vom nahen Baden-Baden. Also muss er ins 90 Kilometer entfernte Stuttgart fahren. Katastrophe? Nicht für Dittrich. „Als Air Berlin noch die Strecke bedient hat, wurden wir ein paar Mal in Busse verfrachtet und dorthin umgeleitet. Kommt halt mal vor.“
Nach zwei Stunden mit dem Hamburger hat man das Gefühl, dass es doch gehen kann: Pendeln und Karriere machen ohne Stress. Man hat aber auch eine Ahnung, was Psychologen wie Sabine Siegl meinen: „Nicht jeder ist fürs Pendeln geschaffen“, sagt sie. „Pendeln kann krank machen.“
Ihr Tipp: Auf keinen Fall sollten Pendler versuchen, am Wochenende alles nachzuholen, was von Montag bis Freitag auf der Strecke geblieben ist. „Entspannen Sie sich, und kommen Sie zur Ruhe“, rät die Psychologin. Damit das gelingt, muss aber auch der Partner mitspielen. „Wenn zu Hause jemand wartet, der sich nach Aktivität und Unternehmungen sehnt, drohen Konflikte“, warnt Bevölkerungsforscher Norbert Schneider.
Sabine Siegl empfiehlt Pendlern deshalb, schon auf den Fahrten abzuschalten und die Gedanken schweifen zu lassen. „Nutzen Sie die Zeit nicht zum Arbeiten, sondern um Abstand zum Tag zu gewinnen.“ Ihr Tipp: Musikhören und aus dem Fenster schauen statt telefonieren und auf den Bildschirm starren. Oder einfach nur die Mitreisenden beobachten.
Jule Körber kennt ihre Mitfahrer im Regionalexpress nach Gütersloh inzwischen ganz gut. Die Anzugträger fahren zu den vielen kleinen Firmen auf dem Land. Die Jura-Studenten sind auf dem Weg zur Uni nach Bielefeld. Die Mädchengruppe, die immer so laut lacht, fährt noch eine Station weiter zur Friseurausbildung an die Berufsschule.
Anfangs hatte Körber noch große Zweifel, ob sie wirklich pendeln soll. Gerade wenn der Zug wieder durch Orte wie Neubeckum oder Oelde schlich. „Man sieht echt nicht ein, wieso der Zug hier halten muss“, sagt Körber. Noch in der Probezeit merkt sie: Der Großteil ihrer Kollegen teilt ihr Schicksal. „Die haben auch Verständnis, wenn der Zug mal zu spät kommt.“
Kurz hinter Rheda-Wiedenbrück, die Sprechanlage knackst. „Verehrte Reisende, die Weiterfahrt verzögert sich um wenige Minuten, wir werden von einem Fernverkehrszug überholt“, meldet eine knarzende Stimme. Körber zuckt mit den Schultern. „Das passiert öfter“, sagt sie. „Dafür kann man dann auch mal in den ICE umsteigen, wenn der Regionalexpress ausfällt.“
Ein schwacher Trost, irgendwie weiß Körber das wohl selbst. Wie lange sie sich die täglichen Reisen noch antut? „Keine Ahnung“, sagt sie. Nur eins weiß sie genau: „Familie haben und pendeln – das kann ich mir nicht vorstellen.“