Moderne Büros Wohlfühlen ist wichtiger als die Wandfarbe

Offene Großraumbüros oder Einzelbüro? Oft wird die Gestaltung der Arbeitsräume zur Glaubensfrage. Dabei ist das Betriebsklima weit wichtiger als das Design.

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In vielen Unternehmen werden feste Arbeitsplätze und Einzelbüros abgeschafft. Stattdessen erlebt das Großraumbüro eine Renaissance. Offene Strukturen statt abgeschottete Einzelbüros sollen Büroarbeiter zahlreichen Studien zufolge produktiver und kreativer machen. Gemeint sind allerdings nicht Arbeitsräume, die Legehennenbatterien ähneln, sondern offene Officelandschaften, die Arbeitsplätze zur Zusammenarbeit bieten, aber auch Rückzugsräume, Platz für Besprechungen und Konferenzen.

Die Konzepte sind unterschiedlich, dominierend sind allerdings zwei Schulen: Die eine setzt auf Reduktion, Sauberkeit und Transparenz. Der Mensch an seinem Arbeitsplatz soll von nichts abgelenkt werden. Clean-Desk-Policy wird es genannt, wenn Firmen private Dinge vom Schreibtisch verbannen.

Individuell oder Sauber

Die Idee kommt aus dem Lean Management, das aus der Automobilindustrie stammt. Beim Lean Management geht es darum, alle Aktivitäten optimal aufeinander abzustimmen und alles Überflüssige zu eliminieren. Darauf setzt beispielsweise die Boston Consulting Group an ihrem Standort in München, deren Berater ohnehin einen Großteil ihrer Zeit unterwegs sind. Wer einen Bürotag hat, bucht sich den Arbeitsplatz im Voraus – und nutzt dann den Schreibtisch, der gerade frei ist. Auch der Chef räumt abends seinen Schreibtisch leer. Auf diese Weise sparen Unternehmen natürlich Platz und Geld.

Die zweite Schule setzt zwar ebenfalls auf die offene Bürolandschaft, doch kann es dort gar nicht bunt und individuell genug sein. Bei Google beispielsweise haben die Mitarbeiter einen festen Arbeitsplatz und können ihn gestalten, wie sie möchten. Gerne dürfen sie ihn mit privaten Fotos, komischen Kaffeetassen oder sonstigem Nippes zurümpeln. Kein Arbeitsraum in den Niederlassungen des Internetunternehmens gleicht dem anderen; Büros, Konferenzräume und Telefonzimmer sehen aus wie Themenparks. Ein Raum mit mehreren Arbeitsplätzen ist wie ein Ruderboot gestaltet, ein anderer wie ein Golfplatz. Natürlich dürfen auch Minigolfanlage, Tischtennisplatte oder Playstation nicht fehlen.

Chaos hilft beim Denken

Die schlanke Clean-Desk-Policy hat nämlich so ihre Tücken, zeigt eine Studie der Universität Groningen. Die Forscher stellten fest, dass Menschen in chaotischen Umgebungen klarer dachten. Sie ließen Probanden unter anderem an einem überhäuften Schreibtisch arbeiten. Trotz des zugestellten Arbeitsplatzes kamen die Testpersonen zu kreativen und effizienteren Problemlösungen. Die Forscher schlossen daraus, dass Durcheinander den Menschen dazu zwingt, besser zu fokussieren und genauer zu denken.

Manche Unternehmen setzen deshalb auf völlige Individualität am Arbeitsplatz, so zum Beispiel die Zeitung taz in Berlin, in deren Redaktionsräumen kein Büro dem anderen gleicht. Wichtig ist nur: Jeder darf sein, wie er ist. Auch der Arbeitsraum darf so eingerichtet und zugestellt werden, wie es der Nutzer braucht. Hauptsache, die Mitarbeiter können nachdenken und ihre Arbeit tun.

Firmen können durch Neugestaltung sparen

Die Frage, wie sich die Umgebung auf die Leistungsfähigkeit der Mitarbeiter auswirkt, bewegt eine ganze Beraterindustrie. Designer, Unternehmensberater und Architekten tummeln sich auf dem Markt für Bürogestaltung. Die einen planen, entwerfen und bauen die Fabriken und Großraumbüros des 21. Jahrhunderts, die anderen haben sich eigens auf die Beratung von Licht-, Farb- oder Schreibtischkonzepten spezialisiert. Wieder andere entwerfen lärmschluckende Büromöbel für das moderne Großraumbüro oder messen, wie sich der Umzug in neue Büroräume finanziell auswirkt.

Denn durch eine Neugestaltung ihrer Büros kann eine Firma ordentlich sparen. Oft wird auch gleich der Arbeitsprozess verändert – sei es durch die Einführung von Vertrauensarbeitszeit oder von verstärkter Home-Office-Nutzung. Wie sich Kosten für Büroräume, Geräte und Strom reduzieren lassen, lässt sich einfach messen. Wie sich aber die Leistungen der Mitarbeiter durch die Umorganisation verändern, ist nach wie vor umstritten.

Der Schreibtisch im Wandel der Zeit
Die 70er-JahreAkten, Stempel, Telefon mit Wählscheibe: ein typischer Schreibtisch aus den 1970er Jahren. Rauchen am Arbeitsplatz war kein Problem, auch ein Gläschen Alkohol war nicht tabu.
Die 1980er-JahreTaschenrechner und Digitaluhren halten in den 1980er-Jahren Einzug ins Büro. Das Telefon bekommt Tasten - geschrieben wird aber noch weitgehend auf der Schreibmaschine.
Die 1990er-JahreIn den 1990er-Jahren löst der Computer die Schreibmaschine ab. Briefe werden am eigenen Arbeitsplatz ausgedruckt und per Fax verschickt, die Daten auf kleinen Disketten gespeichert.
Die 00er-JahreNotebooks lösen stationäre Computer ab. Das Faxgerät kann nun auch drucken, kopieren und scannen. Der Kaffee kommt nicht mehr aus der Büroküche, sondern vom Coffeeshop um die Ecke.
Die 10er-JahreDer eigene Schreibtisch wird zur Ausnahme, die Arbeitsfläche kleiner, gearbeitet wird auch mal im Stehen. Daten werden elektronisch archiviert, der Bildschirm wird größer, die Tastatur schrumpft.

Betriebsklima ist gut für die Leistung

Unbestritten allerdings ist, dass das Wohlbefinden der Mitarbeiter für ihre Leistungen entscheidend ist. Ein gutes Betriebsklima ist dafür besonders wichtig, sagen Unternehmensberater. Sie meinen nicht nur die Stimmung unter den Kollegen, sondern eine Mischung von mehreren Faktoren, etwa der Arbeitsplatzsicherheit und der Einhaltung von Arbeitsschutz und Gesundheitsvorsorge. Mitarbeiter müssen vor Lärm, Schmutz, Hitze oder Kälte, aber auch Dauerstress und Mobbing geschützt sein. Sie brauchen ein gutes Vertrauensverhältnis zu ihrem Vorgesetzten und den Kollegen.

Wichtig sind auch die Höhe des Einkommens, die Perspektiven und Entwicklungschancen. Wer mit seinem Job unzufrieden ist, bei wem der Lohn nicht zum Leben reicht oder wer unter so starkem Druck steht, dass er Burn-out-gefährdet ist, dem nützt auch ein aufgemotztes Büro mit Designermöbeln nichts. Ebenso sind das Gefühl von Teilhabe und die Möglichkeit betrieblicher Mitbestimmung wichtig.

Kontakt statt festem Platz

Die sollte bei einer geplanten Umgestaltung der Arbeitsräume gegeben sein. So mancher Arbeitgeber dürfte überrascht sein, dass die Wünsche der Mitarbeiter oft sogar den Open-Space-Konzepten entsprechen. So zeigte sich, dass die Unternehmensberater der Boston Consulting Group gar keine festen Arbeitsplätze in Einzelbüros für die wenige Zeit in der Zentrale wollten, sondern sich vielmehr einen intensiven Austausch und Kontakt mit ihren Kollegen wünschten. Bei der Gestaltung des Münchner Büros wurden diese Wünsche berücksichtigt – zur Zufriedenheit aller.

Die besten Ideen entstehen ungeplant

Durch die offenen Strukturen fühlen sich die Mitarbeiter tatsächlich verbundener. Im Haus gibt es viele Orte, die den Teams als Treffpunkt und zur Kommunikation dienen und rege genutzt werden. Sie könnten sich bezahlt machen. Forscher des MIT haben herausgefunden, dass mehr als vier Fünftel aller kreativen Ideen nicht in Entwicklungsabteilungen oder Einzelbüros entstehen, sondern durch ungeplante Kommunikation von Mitarbeitern. Wenn die Einrichtung der Arbeitsplätze solchen Austausch fördert und die Räume dazu noch gut aussehen, ist das die beste Grundlage für zufriedene und produktive Mitarbeiter.

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