




Das Fazit von Robert Probst klang bitter. „Rattenlöcher“ seien das, „monumentaler Irrsinn“. So harsch urteilte Probst 1997, drei Jahre vor seinem Tod, über seine eigene Erfindung: Cubicles.
So heißen die Raumteiler, die die riesigen Flächen moderner Großraumbüros in winzige Einheiten trennen. Heute gelten die Stellwände als Inbegriff einer anonymisierten Arbeitswelt, die Mitarbeiter nur noch als Kostenfaktor sieht. Probst musste das als Pervertierung seiner Idee erscheinen: Ursprünglich sollte sein „Action Office“, erfunden in den Sechzigerjahren, Schreibtischarbeitern mehr Raum, Freiheit und Privatsphäre garantieren. In der Praxis aber geschah das Gegenteil: Unternehmen nutzten sein modulares Bürosystem, um mehr Menschen auf weniger Fläche zu sperren.
Die von Probst erhofften positiven Effekte konnten sich so nie einstellen, im Gegenteil: Wer in Cubicles arbeitet, ist nachweislich gestresster, ängstlicher und lustloser als Kollegen in Einzel- oder Teambüros – das zeigen Studien mittlerweile eindeutig. Demnach leiden 90 Prozent aller Angestellten im Großraumbüro an den seelischen und körperlichen Folgen, resümierte der Gesundheitsökonom Vinesh Oommen von der Technischen Universität Queensland in einer Übersichtsstudie.
Das Design wird unterschätzt
Zu beklagen seien „Reizüberflutung, Verlust von Privatsphäre, Identitätsverlust, niedrige Produktivität und geringe Zufriedenheit“. Trotzdem sitzen allein in den USA laut einer Studie der International Facility Management Association 70 Prozent der arbeitenden Bevölkerung im Großraum. Warum?
„Unternehmen unterschätzen die Bedeutung des Designs“, sagt der US-Psychologe Ron Friedman, der jetzt ein Buch über die unbewussten Kräfte geschrieben hat, die an unserem Arbeitsplatz wirken. Welch große Rolle die Gestaltung spielt, erkennen Forscher mittlerweile immer deutlicher: Räume beeinflussen unsere Art, zu denken und zu arbeiten. Sie können uns motivieren oder ermüden, den Teamgeist fördern oder uns zu Einzelkämpfern machen.
Knigge für das Großraumbüro
Im Großraumbüro sitzen die Menschen selten freiwillig zusammen oder weil sie sich besonders sympathisch sind – sondern, weil sie es müssen. Deshalb ist es wichtig, den Abstand zur Intimsphäre der Kollegen zu wahren. Der beträgt rund 80 Zentimeter. Absolut tabu: Sich auf den Schreibtisch des Kollegen zu setzen.
Ob Windhund oder Mops: Rein rechtlich liegt es in der Hand des Arbeitgebers, ob ein Hund im Büro erlaubt ist oder nicht. Studien belegen, dass die Anwesenheit von Hunden das kollegiale Klima befördert und das Wohlbefinden der Mitarbeiter fördert. Einerseits. Doch Hunde haben nicht nur weiches Fell und lassen sich ohne Unterlass streicheln – sie bellen schon mal und riechen auch nicht immer angenehm. Wen das stört oder wer gar unter Hundehaarallergie leidet, sollte den Kollegen darauf aufmerksam machen. Und zur Not auch den Chef mit ins Boot holen.
In fast jedem sozialen Gefüge gibt es besondere Charaktere, die einen besonderen Umgang erfordern – zum Beispiel Choleriker. Das Tückische: Der Ausbruch kommt oft völlig unerwartet. Ist es dann so weit, sollte man nicht noch Feuer ins Öl gießen. „Spielen Sie den Anlass nicht herunter, aber geben Sie auch nicht zu stark Kontra“, rät Knigge-Experte Horst Hanisch. Etwa indem man dem unreifen Schreihals zumindest in einigen Punkten recht gibt.
Einmal akzeptiert, gibt es keinen Weg zurück: Wer sich aufs Duzen einlässt, kann es nur sehr schwer rückgängig machen. Deshalb sollte man sich genau überlegen, wie nah man Kollegen verbal kommt. Wer deutlich macht, lieber erst mal beim Sie bleiben zu wollen, begeht keinen Fauxpas. Eine vorläufige Absage impliziert nämlich auch, dass sich das künftig noch ändern kann.
Ob Döner mit Knoblauchsoße, Schnitzel mit Pommes oder eine Stulle mit Leberwurst: Nahrungsmittel haben am Arbeitsplatz grundsätzlich nichts zu suchen. Und das nicht nur aus hygienischen Gründen: Das Mittagessen am Schreibtisch einzunehmen ist schlicht ungesund.
Wegen eines lockeren Spruchs sollte das Bürogefüge nicht gleich ins Wanken geraten. Aber nicht jeder Kollege kann mit flapsigen Bemerkungen umgehen. Also lieber eine Pointe zu wenig als eine zu viel.
Egal, ob der Kollege nebenan viel und laut telefoniert oder die Kollegin hinten links einen penetranten Klingelton eingestellt hat: Der Geräuschpegel ist Dauerstreitpunkt im Großraumbüro. Kleiner Trick, große Wirkung: Bitten Sie die Kollegen Bescheid zu sagen, wenn ein langes Telefonat ansteht – und kündigen an, das Büro während dieser Zeit zu verlassen. Dann sollte er merken, dass es Sie stört.
Jeder Mitarbeiter sollte seinen Arbeitsplatz sauber halten – abgekaute Apfelreste oder eine Sammlung leerer Pfandflaschen sind im Büro tabu.
Sprechen Sie Kritik immer als Ich-Botschaft aus: „Ich bin gegen Kälte sehr empfindlich – vielleicht könntest du das Fenster wieder schließen?“ So fühlt sich der Kollege nicht persönlich angegriffen.
Dieses Thema führt häufig zu Konflikten – Väter und Mütter schulpflichtiger Kinder wollen meist gleichzeitig frei nehmen, kinderlose Kollegen müssen die Stellung halten. Da empfiehlt sich frühzeitige Planung – am besten hängen Sie einen großen Plan sichtbar im Büro auf, dann sind alle auf dem gleichen Stand.
Karneval, Oktoberfest oder Halloween: Ob zu solchen Anlässen gefeiert werden soll, lässt sich in größeren Büros selten einstimmig lösen. Wenn jemand verkleidet im Büro erscheint, ist das meist in Ordnung. Wer aber auf laute Karnevals- oder Blasmusik und das Fässchen Bier nicht verzichten mag, eckt schon mal an. Am besten vorher erkundigen, wie die Kollegen das in der Vergangenheit gehandhabt haben.
Auch wenn es nur eine Büroklammer ist: Sich etwas ungefragt vom Tisch des Kollegen zu leihen ist tabu. Auch schlecht: Sich munter am Kaffee zu bedienen, ohne sich finanziell zu beteiligen.
Ob kurzes Röckchen, knielange Shorts oder schulterfreies Oberteil: Wer sich vom Anblick nackter Haut gestört fühlt, sollte das ansprechen. Weisen Sie den Kollegen einfach höflich auf den Büro-Dresscode hin.
Ein Großraumbüro ist nichts anderes als eine große, sozial sensible Zone – da muss jeder Mitarbeiter auch mal schlucken, was ihn nervt. „Stört aber etwas so penetrant, dass die eigene Arbeit davon beeinträchtigt wird, muss es natürlich angesprochen werden“, sagt Knigge-Experte Horst Hanisch.
Kollegen, die immer alles besser wissen, gibt es in jeder Bürogemeinschaft. Wenn es Ihnen zu viel wird, müssen Sie den Kollegen ansprechen. Weisen Sie höflich darauf hin, dass Sie seinen Rat sehr zu schätzen wissen, aber ihre Arbeit machen müssen.
Sie haben den Kollegen schon gefühlte 20 Mal auf seine nervigen Privattelefonate angesprochen und trotzdem beschallt er das Büro täglich mit seinen Problemen? Suchen Sie den Kollegen erneut auf und machen Sie deutlich, dass Sie sich ja nicht beim Chef beschweren wollen, aber langsam wisse man einfach nicht weiter. Passiert wieder nichts, suchen Sie das Gespräch mit Ihrem Vorgesetzten.
Ein kurzes Gespräch mit dem Kollegen ist auch im Großraumbüro erlaubt – sollte es allerdings länger als ein paar Minuten dauern, ist es höflicher sich in die Küche oder einen Besprechungsraum zurückzuziehen.
Vom Rosenblüten-Raumspray bis zum Pausenbrot mit altem Gouda: Gerüche können so nerven wie die Lautstärke – jeder Kollege ist an anderer Stelle sensibel. Grundsätzlich sollten Sie auf Extreme verzichten – was den einen erfrischt, könnte der Büronachbar als unangenehm empfinden.
Jegliche Art von Bildern oder Sprüche mit sexistischen, politischen oder religiösen Motiven haben am Arbeitsplatz nichts zu suchen.
Frischluftfanatiker versus Heizkörperhocker – dieser Konflikt ist vermutlich genauso alt wie das Großraumbüro selbst. Da gibt’s nur eines: Miteinander reden und einen Kompromiss schließen.
Geben Sie ihren Kollegen immer erst die Chance, ihr Verhalten zu ändern. Direkt mit dem Gang zum Chef zu drohen schießt über das Ziel hinaus und wirkt auf Dauer unglaubwürdig.
Ob Einzelkemenate oder Massenbüro: Kranke Mitarbeiter sollten grundsätzlich zu Hause bleiben. Aber gerade im Großraumbüro kann ein mit Viren verseuchter Kollege verheerenden Schaden anrichten.
„Sprechen Sie Konflikte nicht im Eifer des Gefechtes an, sondern atmen Sie erst einmal tief durch und lassen Sie etwas Zeit vergehen“, sagt Knigge-Experte Hanisch. Suchen Sie das Gespräch an einem neutralen Ort, wie etwa der Kaffeeküche und nicht vor den anderen Kollegen.
Xenophobie – also die feindliche Einstellung gegenüber Fremden – hat im Großraum wirklich keinen Platz. Diese Kollegen sollten sich schleunigst ein Einzelbüro suchen.
Wenn der Kollege vor seinem Bildschirm regelmäßig einen Lachanfall bekommt oder das Video gar ohne Kopfhörer anschaut, sollten Sie das Gespräch suchen – am Arbeitsplatz hat das nichts verloren.
Der Schreibtisch sollte in erster Linie Arbeitsplatz sein und kein Ausstellungsort für Souvenirs, Porzellanpuppen oder andere Sammelleidenschaften. Grundsätzlich ist es positiv, wenn sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohlfühlen, aber auch hier gilt: Die eigene Freiheit endet dort, wo die des Kollegen beginnt.
Zahlreiche Studien erforschen die Wirkung des Designs. Sie belegen, dass Büros mit hohen Decken unsere Kreativität fördern, Grünpflanzen Energie geben und leichtes Hintergrundgemurmel unseren Geist stärker fördert als absolute Stille.
Selbst die Frage, wie weich ein Bürostuhl idealerweise sein sollte, lässt sich mittlerweile wissenschaftlich beantworten: Wer sich konzentrieren oder eisern verhandeln muss, sollte eine harte Auflage wählen. Offenbar, so die Annahme, beeinflusst das Gefühl von Härte das Verhalten – und macht streng und stur. Unternehmen setzen die Erkenntnisse nur langsam um, sagt Friedman: „Es fehlt an der Vermittlung von der Theorie in die Praxis.“
Viele Arbeitgeber nutzten das in der Vergangenheit als Entschuldigung fürs Nichtstun. Sie gestalteten ihre Büros bewusst einheitlich und pressten immer mehr Mitarbeiter auf immer kleinere Flächen. Dadurch sank die Durchschnittsgröße amerikanischer Büros in den vergangenen Jahrzehnten dramatisch: Seit den Siebzigerjahren hat sie sich mehr als halbiert – auf heute durchschnittlich 18 Quadratmeter pro Mitarbeiter. Der deutsche Arbeitsschutz schreibt mittlerweile für Büro- und Bildschirmarbeitsplätze mindestens acht Quadratmeter vor.