Apple-Chef Tim Cook hat mit seinem Kommando zurück ins Büro sogar einen seiner wichtigsten Mitarbeiter verloren. Selbst drei Tage Anwesenheitspflicht pro Woche waren für Ian Goodfellow, einen der führenden Experten für Künstliche Intelligenz, offenbar eine zu große Zumutung. Der Topmanager kündigte. Angeblich aus Protest.
Das abrupte Ende der großen Freiheit sorgt auch in Deutschland vielerorts für Unmut. Nicht allerdings bei Malt, einem Marktplatz für Freeelancer. Und das liegt vermutlich auch daran, dass das Pariser Unternehmen die Standortfrage lange vor der Pandemie ohne Druck für sich klären konnte – zugunsten des Büros. „Wir haben gelernt, dass Full Remote zwar großartig ist, aber uns nicht ausreicht“, sagt Firmenchef Vincent Huguet.
Zu wenig Platz in der eigenen Wohnung
Für diese Erkenntnis brauchte es einige Zeit. Nach der Gründung von Malt im Jahr 2013 hatten alle Kollegen zunächst aus der Ferne zusammengearbeitet. Weniger aus einer New-Work-Überzeugung heraus als aus reinem Pragmatismus, wie Huguet erzählt. Sein Lebensmittelpunkt lag in Paris, Mitgründer Hugo Lassiége wohnte damals hingegen in Lyon. „Außerdem hatten wir anfangs einfach kein Geld, um ein eigenes Büro zu finanzieren.“ Dass das zumindest für ihn kein Dauerzustand war, erkannte Huguet rasch. „Ich habe viel Zeit in meiner kleinen Pariser Wohnung verbracht. Aber ich bin ein Netzwerker und hatte schnell das Bedürfnis, in einen Co-Working-Space zu wechseln.“
Um den Teamgeist zu stärken, setzte Malt auf Betriebsausflüge ins Ausland. Und es war solch ein Zusammentreffen, dass den Anstoß für den Wechsel ins Büro gab. Sechs Jahre ist das her. „Das war ein Aha-Erlebnis für mich“, berichtet der Firmenchef. „Danach hat das Team nur noch von 'vor Sevilla' und 'nach Sevilla' geredet“, erinnert sich Huguet. In ihm reifte die Überzeugung: Kreatives Denken und Innovation, aber eben auch ein gutes Betriebsklima, kann es nur geben, wenn die Kollegen wirklich zusammenkommen. Je öfter, desto besser. „Wir sind einfach soziale Wesen.“
Huguet mietete also das erste Büro – auch, wenn er dort zunächst lediglich mit einem Kollegen saß.
Heute unterhält Malt Büros in Paris, Lyon, Madrid, Amsterdam, Brüssel und München. Jedes Team in der Belegschaft mit mehr als 300 Beschäftigten kann für sich die passende Balance zwischen Homeoffice und Anwesenheit vor Ort finden. „Für die meisten Teams hat sich ein Rhythmus von zwei Tagen Homeoffice und drei Tagen im Büro als beste Lösung herauskristallisiert“, erzählt Dirk Henke, der das Geschäft im deutschsprachigen Raum führt.
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Nur keine festen Bürotage
Ein ähnliches Modell hatte sich auch Cook bei Apple überlegt. Er unterstrich in einem Schreiben an die Belegschaft die „unersetzlichen Vorzüge einer persönlichen Zusammenarbeit“. Ab Ende Mai sollten die Mitarbeiter wieder montags, dienstags und donnerstags ins Büro kommen, mittwochs und freitags sollte Homeoffice möglich sein. Für Goodfellow, Leiter der Abteilung für Machine Learning, war diese Ansage ein Grund zu kündigen. „Ich bin davon überzeugt, dass mehr Flexibilität für mein Team am besten gewesen wäre“, schrieb er zum Abschied an seine Kollegen.
Auch Malt-Manager Henke hält feste Bürotage für kontraproduktiv. „Unterschiedliche Jobs haben unterschiedliche Anforderungen. Da funktionieren keine klaren Vorgaben, dass alle jeden Montag oder Dienstag im Büro zu sein haben“, findet er. Mit hundert Prozent Homeoffice hätte er allerdings ebenfalls so seine Probleme. In Deutschland komme das schon allein deshalb nicht infrage, weil der Markt hierzulande noch aufgebaut werde und beispielsweise unter den Kollegen in München erst eine gemeinsame Betriebskultur entstehen müsse. „Das funktioniert erst durch gegenseitiges Vertrauen und dass man gemeinsam Zeit verbringt“, findet Henke. Insbesondere der Start in einen Job, davon sind sie bei Malt überzeugt, sollte vor Ort erfolgen. „Die Einarbeitung klappt im Büro viel besser, da man im Arbeitsalltag um sich herum Gespräche mitverfolgen und die Leute schneller kennenlernen kann“, sagt Henke.
Viele Unternehmen versuchen, ihre Mitarbeiter mit Anreizen zurück ins Büro zu locken. Goldman Sachs etwa bot kostenloses Frühstück und Mittagessen an, die allerdings auch schnell wieder abgeschafft wurden. Auf solcherlei Belohnungen für den Weg ins Büro verzichtet Malt. „Der größte Anreiz ist eine gesunde Team- und Vertrauenskultur“, betont Huguet. „Wir haben bereits vor der Pandemie auf Vertrauensbasis gearbeitet und der Belegschaft signalisiert, dass wir gute individuelle Lösungen finden.“ Dass das Bekenntnis zum Büro die umworbenen Fachkräfte abschreckt, kann Henke nicht bestätigen. Ganz im Gegenteil: Er beobachtet eine Sehnsucht nach dem Büro: „Wir haben viele Bewerber, die sagen, dass sie nicht dauerhaft von zu Hause aus arbeiten möchten.“
Es braucht mehr als das Feierabendbier
Damit diese Erwartungen ans Büro aber auch wirklich erfüllt werden, müssen Arbeitgeber laut Huguet einiges tun. Mit einem Feierabendbier auf der Terrasse sei es nicht getan. „Das Büro sollte einen besseren Arbeitsplatz bieten als die eigenen vier Wände“, findet der Firmenchef. „Deswegen haben wir beispielsweise in unserem Pariser Büro ein Stockwerk, in dem keine Videoanrufe oder ähnliches gemacht werden, sondern wo man still arbeiten kann.“
Im Gegenzug sollen Kollegen im Homeoffice auf den digitalen Kanälen den Kontakt ins Büro halten, etwa, indem sie sich morgens kurz per Slack oder Zoom melden. Für Huguet ist letzten Endes die Balance entscheidend. „Der Arbeitsalltag soll so gestaltet werden, dass es zu gleichen Maßen flexibel und produktiv ist, aber wir die soziale Komponente nicht vergessen“, findet er. „Es muss Spaß machen, ins Büro zu gehen.“
Bei Apple suchen sie diese Balance noch. Nach den Protesten, für die der Abschiedsbrief von Goodfellow nur der deutlichste Ausdruck war, dürfen nun doch wieder alle im Homeoffice bleiben. Offiziell begründet hat der Konzern dies allerdings mit der steigenden Zahl an Coronainfektionen.
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