Neue Angebote Elternzeit führt zum Karriereknick! Wirklich?

Vor allem Mütter nehmen häufig nach der Geburt ihres Kindes eine längere Auszeit und tappen damit in eine typische Karrierefalle Quelle: dpa

Wer nach der Geburt eines Kindes in den Job zurückkehrt, fürchtet oft Nachteile im Job. Das Start-up MyCollective will Väter und Mütter unterstützen, damit genau das nicht passiert.

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„Deine erste Führungsposition solltest du vor der Geburt deines Kindes erreicht haben“, solche Ratschläge hat Anne Jensen schon häufig gehört. Ungefragt. Und plump. Und das obwohl es keinen Grund gibt, der Wirtschaftsingenieurin Nachhilfe in Sachen Karriere zu erteilen: Jensen arbeitet seit 13 Jahren bei Airbus, eine lange Zeit, in der sie sich mit vielen ihrer Kolleginnen und Kollegen auf verschiedenen Ebenen vernetzt hat. Als Assistentin eines Airbus-Programmleiters reiste sie oft, koordinierte das Reporting und wichtige Besprechungen. Heute ist Jensen in der Logistik der Endmontagelinien in den USA und China tätig, im März kommenden Jahres erwartet sie ihr drittes Kind, eine einjährige Tochter und einen dreijährigen Sohn hat sie bereits.

Sätze, wie Jensen ihn zuhören bekam, sagen viel darüber aus, wie groß der Druck ist, der auf werdenden Eltern lastet. Die bangen, dass eine längere Elternzeit sie im Job zurückwerfen könnte, sie danach von ihrem Arbeitgeber beruflich abgeschrieben werden, nach dem Motto: aus den Augen, aus dem Sinn.

Dass ihr die nächste Elternzeit beruflich schaden könnte, glaubt Jensen nicht. Ihre Arbeit werde im Unternehmen gesehen und geschätzt, sagt die 34-Jährige. „Da spielt es keine Rolle, ob ich zwei oder 15 Monate weg bin.“ Was ihr auch hilft: Schon während ihrer beiden letzten Elternzeiten befasste Jensen sich aktiv mit ihrer Rückkehr an ihren Arbeitsplatz.

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In der zweiten Elternzeit hatte Airbus sie gefragt, ob sie am einem Programm teilnehmen wollte, das Eltern auf ihren Wiedereinstieg vorbereitet. Damals hatte der Flugzeugbauer sich gerade mit dem Start-up MyCollective zusammengetan, das Mitarbeitenden in Elternzeit ein Coaching- und Trainingsprogramm anbietet. Das 2019 gegründete Start-up arbeitet mittlerweile mit 15 Unternehmen zusammen, darunter sind Mittelständler aber auch Dax-Konzerne wie Beiersdorf und Airbus, die ihre besonders vielversprechenden Nachwuchskräfte zu MyCollective schicken.

Per App zum Wiedereinstieg

Wer teilnimmt, bekommt Zugangsdaten für eine App. Sechs Trainingsmodule in sechs Monaten können die Väter und Mütter dann absolvieren. Das Programm umfasst Einzelcoachings und E-Learning-Kurse über Resilienz, Kommunikation oder Zeitmanagement. Jeden zweiten Mittwoch gibt es Impulsvorträge, etwa zur Rentenlücke, die während der Elternzeit entsteht. Rechtlich ist ein solches Angebot unproblematisch, denn Arbeitnehmer dürfen in der Elternzeit zwar nicht mehr als 32 Stunden im Monat arbeiten. Weiterbildungen sind von der Regel aber ausgenommen.

Die Idee zu MyCollective kam Gründerin Ricarda Engelmeier, selbst dreifache Mutter, beim Spazieren in München. Im Englischen Garten begegneten ihr viele junge Eltern. „Das waren hochqualifizierte Top-Talente, die alle die gleichen Fragen umtrieben.“ Nämlich: Wie gestalte ich meine Elternzeit? Wie bleibe ich mit dem Team und den Vorgesetzten am besten in Kontakt? Und wie plane ich meine Rückkehr in den Job?

Wie groß das Potential von MyCollective ist, zeigen die Zahlen: Laut Statistischem Bundesamt haben rund 1,9 Millionen Menschen in Deutschland im Jahr 2021 Elterngeld erhalten, darunter sind 25,3 Prozent Väter, Tendenz steigend. Mit 3,7 Monaten bleiben Männer immer noch vergleichsweise kurz zuhause, während Frauen im Schnitt 14,6 Monate Auszeit nehmen. Gefragt, warum Väter deutlich knapper Elterngeld beziehen, gaben sie in einer Studie des Deutschen Instituts der Wirtschaft (DIW) finanzielle Nachteile und negative berufliche Konsequenzen an. Nach der Elternzeit steigen viele Frauen nicht wieder voll ein. Zweidrittel der erwerbstätigen Mütter arbeiten in Teilzeit, bei den Vätern sind es gerade einmal sieben Prozent.

Wiedereinstieg kaum erforscht

Während es etliche Studien zur hohen Teilzeiterwerbstätigkeit bei Müttern gibt, fehlen Daten zur deren Wiedereinstieg fast völlig. Formal haben alle Eltern bei ihrer Rückkehr Anspruch auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz. Wie sie den Wiedereinstieg aber wirklich erleben, ob sich Aufgaben verändert haben oder wie zufrieden sie in ihren neuen, alten Jobs sind, ist bisher kaum wissenschaftlich untersucht worden. Bekannt ist nur, dass Väter sogar höhere Gehälter und bessere Aufstiegschancen haben als kinderlose Männer, während Mütter niedrigere Löhne erzielen und seltener befördert werden.

Solche strukturellen Probleme kann das Start-up nicht lösen, das weiß auch Gründerin Engelmeier. Sie will Eltern trotzdem ermutigen, denn viele kämen weniger selbstbewusst zurück. „Dabei muss die Elternzeit kein berufliches Manko sein, im Gegenteil“, sagt sie. „Man lernt als Eltern wahnsinnig viel dazu, sich besser zu organisieren, effizienter zu planen, das hilft später auch im Arbeitsalltag.“ Damit die Rückkehr gelingt, empfiehlt Engelmeier allen: Am Ball bleiben. „Nicht den Kontakt abreißen lassen und sich nicht nur mit Vorgesetzten, sondern auch mit Mentorinnen und Kollegen regelmäßig austauschen, die beispielsweise von Restrukturierungen im Unternehmen betroffen sind“. Trotzdem sagt sie auch: „Um Eltern zu unterstützen, braucht es vor allem fluide Arbeitsmodelle. Auch eine Karriere in Teilzeit muss 2022 möglich sein.“

Dass es vielerorts an Personal mangelt und jetzt eine Generation auf den Arbeitsmarkt kommt, die von vornherein seltener Vollzeit arbeiten will, könnte diesen Kulturwandel in den Unternehmen beschleunigen, sagt Katharina Wrohlich, Leiterin der Forschungsgruppe Gender Economics am DIW Berlin und Professorin an der Universität Potsdam. „Väter und Mütter, die Teilzeit arbeiten, dürfen nicht abgeschrieben werden. Nach dem Motto: Aha, das war es jetzt bei der oder dem mit der Karriere.“

von Jannik Deters, Svenja Gelowicz, Dominik Reintjes

Selbstbewusster auftreten, organisierter arbeiten, direkter kommunizieren - hilft all das am Ende wirklich, um einen Karriereknick nach der Elternzeit zu verhindern? Eine Evaluation des Programms steht aus, räumt Engelmeier ein: MyCollective sei noch zu jung, um schon jetzt bewerten zu können, wo Absolventinnen und Absolventen, im Vergleich zu einer Kontrollgruppe ohne entsprechende Begleitung stehen. Eine Forschungs-Kooperation mit der Universität St. Gallen soll die Daten aber in der kommenden Jahren liefern können.

Bei MyCollective sind es aktuell zwischen 20 und 25 Personen, die das Programm absolvieren, weitere 50 haben es bereits beendet. Inzwischen arbeitet das Start-up mit rund 25 freiberuflichen Trainern zusammen. Nicht alle sind als Coaches zertifiziert, bringen aber durchweg Führungserfahrung aus dem Industriesektor mit und seien selber Eltern, sagt Engelmeier. Wie hoch die Gebühr pro Person ist, die die Betriebe für die Weiterbildung ihrer High Potentials zahlen, dazu macht sie keine Angaben.

Keine Investorengelder

Peu à peu sollen es mehr Teilnehmer werden: Einige der Unternehmen, mit denen MyCollective kooperiert, stellen das Programm inzwischen all ihren Mitarbeitenden zur Verfügung. Derzeit betreffe das 300 bis 500 Arbeitnehmer, schätzt Engelmeier. Gelder von Investoren hat und will sie zur Ausweitung des Programms nicht einsammeln. „In unseren Kursen klären wir die Frage, wie man am besten zurückkommt. Aber die ein, zwei Jahre danach sind oft auch noch sehr schwer.“ Deshalb möchte Engelmeier künftig auch die Zeit nach der Rückkehr begleiten.

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Jensens Teilnahme ist inzwischen eineinhalb Jahre her. Auch wenn der Kurs keinen unmittelbaren Bezug zu Airbus oder ihren Aufgaben dort hatte, zieht sie rückblickend eine sehr positive Bilanz. „Mich mit gleichgesinnten Frauen auszutauschen, das hat mich während der Elternzeit bestärkt und mir unglaublich gut getan.“ Den Befürchtungen anderer zum Trotz bekam sie nach ihren zwei Elternzeiten bereits mehrere Führungsposition angeboten – und lehnte ab. „Gerade ist nicht die Zeit dafür, aber die wird sicherlich kommen.“

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