Neue Berechnungen So teuer ist der Fachkräftemangel für Deutschlands Firmen

Die ausgeschriebenen Stellen für Handwerker stiegen im März 2022 um fast 70 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Quelle: imago images

Die Arbeitslosigkeit geht im April zurück – und der Fachkräftemangel spitzt sich zu. Wie viel Geld das Werben um neue Mitarbeiter verschlingt, ist umstritten. Die Jobplattform Stepstone hat die Kosten nun beziffert.

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Ein neuer Höchstwert, mal wieder. Seit Monaten verkündet Tobias Zimmermann für seinen Arbeitgeber Stepstone Rekordzahlen zu den ausgeschriebenen Stellen auf dem deutschen Arbeitsmarkt – und weiß jedes Mal: Auch das wird wieder nur ein Höchstwert auf Zeit sein. Mit ziemlicher Sicherheit verkündet er schon im nächsten Monat einen neuen. „Man gewöhnt sich sehr schnell daran“, sagt Zimmermann, Arbeitsmarktexperte bei Stepstone.

Der jüngste Rekord: Zwischen März 2022 und dem März des Vorjahres ist die Zahl der ausgeschriebenen Stellen um 55 Prozent gestiegen. „Und dabei war der März 2021 schon sehr stark“, betont Zimmermann. Vor allem im Personalwesen und der Logistik legten die Stellenausschreibungen um mehr als 80 Prozent zu. Dahinter folgen die beiden Sorgenbranchen Pflege (+70 Prozent) und Handwerk (+67 Prozent), in denen seit Jahren Fachkräfte fehlen.

Die Zahlen zeigen eindeutig, dass sich der Fachkräftemangel immer weiter zuspitzt. „Für Jobsuchende“, sagt deshalb auch Zimmermann, „brechen goldene Zeiten an“. Der Arbeitsmarkt erlebe seit Frühjahr 2021 einen Boom, „den niemand erwarten konnte.“ Und auch andere Daten belegen, dass etwa der Krieg in der Ukraine dem Arbeitsmarkt bislang wenig anhaben kann: Laut der Bundesagentur für Arbeit (BA) ist die Arbeitslosenquote im April auf 5,0 Prozent gesunken. Im Vergleich mit dem Vorjahresmonat ging die Quote damit um einen Prozentpunkt zurück, im Vergleich zum März 2022 um 0,1 Prozentpunkte. „Mit der Frühjahrsbelebung und den Lockerungen der Corona-Maßnahmen setzt sich die Erholung am Arbeitsmarkt fort, sagte Detlef Scheele, Vorstandsvorsitzender der BA bei einer Pressekonferenz zu den neuen Zahlen. Die Nachfrage nach neuem Personal bewege sich im April weiter „auf hohem Niveau“.

Auch das Arbeitsmarktbarometer des Münchner Ifo-Instituts liegt im April deutlich über dem Niveau vor der Pandemie und sogar über dem Niveau von Januar 2022 – ehe russische Truppen in die Ukraine einfielen. „Die Beschäftigung wird in Deutschland weiter steigen“, konstatiert das Ifo-Institut. Mit einer Ausnahme: „Insbesondere energieintensive Industrien wollen sich zurückhalten mit Einstellungen.“

von Varinia Bernau, Dominik Reintjes

So golden die Zeiten für Jobsuchende sein mögen, so düster sind sie für die Unternehmen: Eine unbesetzte Stelle kostet Geld. Genau zu beziffern, was der Fachkräftemangel die Wirtschaft kostet, ist aufwendig. Im vergangenen Jahr versuchte sich das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln daran – in Zusammenarbeit mit Stepstone und der Beratung Kienbaum Consultants International. Bis zum Jahr 2035 soll der Arbeitskräftemangel 326 Milliarden Euro kosten, so die Schätzung.

Jetzt beziffern Zimmermann und sein Team die Kosten für einzelne Berufsgruppen und verschiedene Unternehmensgrößen: Dafür haben sie unter anderem 600.000 Datensätze ausgewertet. Die detaillierten Ergebnisse lagen der WirtschaftsWoche vor Veröffentlichung vor. Die zentrale Erkenntnis: 29.000 Euro kostet es deutsche Unternehmen im Schnitt, wenn eine Stelle unbesetzt ist. Das sind einmalige Kosten. Bei der Bundesagentur für Arbeit waren im März dieses Jahres 838.533 offene Stellen gemeldet. Diese würden die deutsche Wirtschaft im Moment also einmalig 24,3 Milliarden Euro kosten, wenn man sie mit den Kosten für eine offene Stelle multipliziert.

Teurere Lücken in der IT

In den Daten von Stepstone lässt sich ein Trend ablesen: Je größer das Unternehmen, desto teurer wird die unbesetzte Stelle. Der Zusammenhang liegt nahe, da größere Firmen in der Regel höhere Gehälter zahlen können. „In Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitenden liegen die Kosten sogar bei über 73.000 Euro“, konstatiert Stepstone.

Zimmermann untersuchte mit seinen Kollegen auch einzelne Berufsgruppen. Demnach sind offene Stellen für ITler und Mitarbeiter im Gesundheitswesen, Ärzte und Pflegekräfte zum Beispiel, am teuersten: In Unternehmen mit mehr als 250 Mitarbeitern kostet eine offene IT-Stelle 96.228 Euro, ein unbesetzter Job im Gesundheitswesen sogar 97.414 Euro.

Die detaillierten Kosten können Sie in dieser Tabelle nachvollziehen:



Die Statistiker bei Stepstone haben für diese Werte das durchschnittliche Tagesgehalt mit der Vakanzzeit von Jobs der jeweiligen Berufsgruppe multipliziert. Die Vakanzzeit gibt die Anzahl der Tage an, die eine Stelle im Schnitt unbesetzt ist. Laut dem Arbeitsmarktexperten Zimmermann ist die Schätzung „sehr konservativ“. Schließlich interpretiert das Unternehmen das Gehalt als „Mindestwertschöpfung“, die ein Mitarbeiter für seinen Arbeitgeber generiert. Die Annahme ist also, dass das Gehalt genau dem Wert der Arbeit entspricht. „Realistisch muss die Mindestwertschöpfung aber über dem Lohn liegen, damit Unternehmen auch Gewinne erwirtschaften. Daher werden die tatsächlichen Kosten sogar oftmals noch höher liegen“, sagt Zimmermann. 

Bei den Daten ist zu berücksichtigen, dass Stepstone sie nicht nach einzelnen Branchen wie etwa der Chemiebranche oder dem Handel gliedert. Dadurch würden sich noch deutliche Unterschiede ergeben, da Gehälter und Vakanzzeiten in den Branchen teils stark variieren.

Blickt man einzig darauf, wie viel eine offene Stelle pro Tag kostet, dann sind unbesetzte Managerstellen für Unternehmen jeder Größe am teuersten. Schließlich ist der Lohn eines führenden Managers deutlich höher als der eines Softwareentwicklers. Aber nach Daten der Bundesagentur für Arbeit ist eine Stelle als Manager im Schnitt nur 80 Tage unbesetzt, die eines ITlers 118 Tage. Deshalb kommt die unbesetzte Stelle in der IT Unternehmen insgesamt auch teurer zu stehen als die eines Managers.

Am günstigsten sind für die Firmen übrigens unbesetzte Stellen in der Administration – also etwa als Sachbearbeiterin oder Büroassistent. Für kleine Firmen mit weniger als 50 Mitarbeitern fallen nur Kosten von gut 8400 Euro an, bei den großen Konzernen sind es etwas mehr als 40.000 Euro.

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